Wie funktioniert ein gutes Brainstorming? Schicken Sie Ihren Chef in die Pause! Psychologen haben untersucht, wie ein Team kreative Ideen entwickelt. Ob eine Sitzung online oder offline stattfindet, ist nicht unbedingt das Entscheidendste.
Psychologen haben untersucht, wie ein Team kreative Ideen entwickelt. Ob eine Sitzung online oder offline stattfindet, ist nicht unbedingt das Entscheidendste.
Sollen zwei Menschen innovative Ideen entwickeln, so treffen sie sich am besten im selben Raum. Ein Videogespräch bringt weniger kreative Ideen hervor. Dies berichtete jüngst die Fachzeitschrift «Nature». Laut den Autoren könnte der Blick auf den Bildschirm die Gedanken zu sehr einengen. Müssen sich Teams also physisch treffen, um der Kreativität freien Lauf lassen zu können? So einfach ist es nicht.
Aus psychologischer Sicht beeinflussen viele Faktoren die Kreativität eines Teams. Der Sitzungsort ist nur einer davon.
Die Grösse der Gruppe ist entscheidend
Durch mündlichen Austausch im Team gute Ideen zu entwickeln – auch «Brainstorming» genannt –, funktioniert nur in Kleinstgruppen. Zählt man in Experimenten die Zahl der Ideen, die Versuchspersonen durch Brainstorming finden, so zeigt sich: Schon bei Gruppen von drei Personen finden die Einzelpersonen in der gleichen Zeit mehr unterschiedliche Lösungen für ein Problem als die Gruppe. Je grösser die Gruppe, desto mehr Ideen gehen verloren.
Dieses klassische Experiment ist mehrfach bestätigt. Aus diesem Grund haben die Forscher der Columbia-Universität in ihrer Studie auch nur Zweierteams untersucht, also die beste Situation, um kreative Ideen zu entwickeln.
Die Erklärung für den Einfluss der Gruppengrösse ist einfach: Die Redezeit ist beschränkt. Wer dem Gedankengang des anderen folgt, der hindert den eigenen Gedankenfluss – besonders, wenn der Kollege oder die Kollegin ein Vielredner ist. Insgesamt entsteht so in Sitzungen nur ein Bruchteil der möglichen Ideen, und nur ein Teil davon wird ausgesprochen.
Hierarchien schaden der Kreativität
Je grösser das Team, desto mehr leidet die Innovationskraft. Denn zusätzlich zur schwindenden Zahl der Ideen werden die kreativsten nicht geäussert – sie werden Opfer der Selbstzensur. Ist eine Idee etwa sehr neu? Dem Chef könnte sie abwegig erscheinen. Der Mitarbeiter will sich nicht blamieren.
Oder aber die Chefin hat bereits eine andere Idee begeistert notiert. – Warum sollte ein Mitarbeiter da Gefahr laufen, mit einer neuen Idee abzublitzen? Lieber steigt er auf den fahrenden Zug auf: Die Idee, die bereits im Raum steht, wird also weiter ausgeführt.
Der Wunsch nach Anerkennung beeinflusst das Verhalten während des Brainstormings im Team. Die Gedanken der Mitarbeiter werden dadurch verzerrt und eingeschränkt. Soll ein Team möglichst innovative Ideen entwickeln, so lassen sich diese sozialpsychologischen Erkenntnisse auf eine Regel herunterbrechen: Verringern Sie während der Ideenfindung die Hierarchien. Salopper formuliert: Schicken Sie den Chef in die Kaffeepause. Jegliche Form der Evaluation schadet der Kreativität.
«Brain-Writing» schlägt das Brainstorming
Diesen empirischen Erkenntnissen zum Trotz arbeiten im beruflichen Alltag oft grössere Teams gemeinsam an der Ideenfindung – beispielsweise weil unterschiedliches Fachwissen berücksichtigt werden soll. Dann gibt es nur eins: Wenden Sie sich vom klassischen Brainstorming ab.
Lassen Sie das Team die Ideen nicht aussprechen, sondern niederschreiben. Organisationspsychologen sprechen von «Brain-Writing». Konkret bedeutet dies, dass jedes Teammitglied seine Ideen zu Papier bringt. Danach schiebt jeder seinen Zettel dem nächsten Kollegen zu, der diesen seinerseits mit weiteren Ideen ergänzt.
Geht es wirklich darum, die beste Idee zu finden, so lässt sich der Prozess der Ideenfindung noch zusätzlich optimieren. Laut neueren Experimenten findet ein Team die meisten Ideen, wenn es zwischen individueller Ideenfindung und «Brain-Writing» wechselt. Jeder Einzelne generiert signifikant mehr kreative Ideen, wenn er vorher an einem «Brain-Writing» im Team teilgenommen hat. Dies berichten Forscher im «Journal of Experimental Social Psychology».
Überlassen Sie die Beurteilung der Ideen jemand anderem
Hat ein Team auf diese Weise erst eine ansehnliche Menge von Ideen entwickelt, gilt es, die jeweils beste auszuwählen. Hier bietet die neue Studie aus den USA eine weitere Erkenntnis: Auch wenn Teams in Online-Sitzungen eine kleinere Anzahl kreative Ideen entwickeln – es ist trotzdem möglich, dass am Ende die bessere Idee ausgewählt wird.
Die Forscher liessen in einem Feldexperiment 1400 Ingenieure Ideen für ein neues Produkt entwickeln. Kollegen evaluierten diese anschliessend. Wie im Laborexperiment entstanden auch im Feldexperiment weniger Ideen, wenn die Sitzung online stattgefunden hatte. Doch mussten die Teams ihre beste Idee nennen, so leisteten die Teams im Videogespräch bessere Arbeit.
Melanie Brucks, Autorin der Studie und Assistenzprofessorin an der Columbia-Universität, meint dazu, der Prozess der Ideenfindung und der Prozess der Evaluation der Ideen müssten separat betrachtet werden. Im Alltag würden sich Teams oft nicht für die kreativsten Ideen entscheiden. Brooks sieht einen Grund dafür darin, dass Ideen immer mit einer Geschichte verknüpft seien; beispielsweise der Entstehung einer Idee. Dies beeinflusse den Entscheidungsprozess.
In der Praxis kann es sich also lohnen, die Evaluation der Ideen jemand anderem zu überlassen – oder sich nochmals online für eine Entscheidungsfindung zu treffen.
Als Alternative: Lassen Sie die Höflichkeiten einmal beiseite
Manchmal kann die Praxis den statistischen Ergebnissen aus wissenschaftlichen Experimenten widersprechen. So gibt es grosse Teams, deren mündliches Brainstorming hochkreativ und effektiv ausfällt. Das kreative Team der satirischen Nachrichtensendung «The Daily Show» soll ein Beispiel dafür sein. Der Ablauf dieser mündlichen Brainstorming-Sitzungen könnte Beobachter sprachlos zurücklassen.
Jedwede Höflichkeitsregel wird vernachlässigt. Den Kollegen höflich ausreden lassen? Fehlanzeige. Es fallen keine Sätze wie: «Ergänzend zu dieser glänzenden Idee des Kollegen möchte ich anfügen, dass . . .» Nein! Ideen werden so, wie sie entstehen, in den Raum geworfen: als Stichworte und unvollständige Gedankenstränge – oft wild durcheinander.
Der Organisationspsychologe Adam Grant hat das amerikanische Satireteam beobachtet und beschreibt dessen Art der Interaktion als «burstiness» – innerhalb kurzer Zeit sprechen viele Gruppenmitglieder fast gleichzeitig. Die Diskussion ist dadurch nicht kontinuierlich, sondern Phasen kreativer Ausbrüche wechseln sich ab mit relativ ruhigen Phasen.
Was für das kreative Team einer Satireshow funktioniert, lässt sich wohl nicht eins zu eins in den normalen Arbeitsalltag übersetzen. Trotzdem könnte es sich lohnen, die Bedingungen kreativer Ideenfindung zu reflektieren, bevor die Mitarbeiter zur nächsten Sitzung einberufen werden. Denn ob diese online oder offline stattfindet, entscheidet nicht unbedingt darüber, ob eine innovative Idee entsteht.