Aktuelle Teuerung kein Grund für Panik Die Schweizer Inflation lag im Juni 2022 bei 3,4 Prozent – damit seit längerem und spürbar oberhalb desjenigen Bereichs, der gemäss Nationalbank mit Preisstabilität zu vereinbaren ist.
Die Schweizer Inflation lag im Juni 2022 bei 3,4 Prozent – damit seit längerem und spürbar oberhalb desjenigen Bereichs, der gemäss Nationalbank mit Preisstabilität zu vereinbaren ist.
Die Schweizer Inflationsrate hat im Juni mit 3,4 Prozent – gegenüber dem Vorjahresmonat – erstmals seit Mitte 2008 wieder über 3 Prozent erreicht. Auch wenn die Teuerung damit deutlich tiefer als in anderen Industriestaaten liegt, übersteigt sie in der Schweiz den oberen Rand des seitens der Schweizer Nationalbank (SNB) mit Preisstabilität zu vereinbarenden Bereiches von Null bis unter 2 Prozent. Die seit mehr als einem Jahrzehnt de facto abwesende Inflation ist mit Macht zurück!
BAK Economics erklärt dazu: «Dennoch halten sich unsere Sorgen als Konjunkturbeobachter bezüglich der weiteren Inflationsentwicklung in Grenzen. Zwar muss ein Szenario anhaltend hoher Inflation oder gar von Stagflation ebenfalls im Auge behalten werden, jedoch spricht viel dafür, dass das Basisszenario eintreten wird: Die Inflation wird in den kommenden Monaten zu sinken beginnen und bereits 2023 mit einem Jahresdurchschnitt um 1 Prozent das Stabilitätskriterium der SNB wieder klar einhalten.» Die wichtigsten Gründe für diese Einschätzung sind das Nachlassen der ungewöhnlich grossen exogenen Schocks und der Rückgang der Übernachfrage. Zudem hat die SNB mit ihrer energischen Reaktion im Juni gezeigt, dass sie die Gefahr erkannt hat und nicht bereit ist, weiterhin derart hohe Inflationsraten zu akzeptieren.
Die wichtigsten Teuerungstreiber verlieren an Kraft
Ein Grossteil des Teuerungsschubes seit Mitte 2021 geht auf wiederholte, ungewöhnlich grosse exogene Schocks zurück: Zu nennen sind insbesondere preistreibende Angebotsengpässe sowie die Rohstoff- und Energiepreishausse. Ursächlich für diese Schocks sind vorrangig die vielfältigen Auswirkungen der Covid-Pandemie sowie die durch den Angriff Russlands ausgelöste geopolitische Wende. Beide Faktoren dürften spätestens im Verlauf des Jahres 2023 ihren preistreibenden Einfluss verlieren. Auch wenn sie weiterhin für hohe Preise sorgen können, so ist das Potenzial für weitere Preissteigerungen durch diese Treiber begrenzt.
Bezüglich der Pandemie und der damit einhergegangenen Übernachfrage können im Gegenteil sogar preissenkende Entwicklungen die Oberhand gewinnen. Die von Nachholeffekten geprägte überraschend kräftige Post-Covid Erholung läuft aus und die Nachfragestruktur normalisiert sich wieder. Während der Pandemie hat eine starke Verschiebung der Nachfrage stattgefunden — weg von Dienstleistungen, hin zu Gütern. Viele Produzenten waren hierauf nicht eingestellt. Lieferengpässe und kräftige Preissteigerungen waren die Folge. Mit der Normalisierung der Situation verkehren sich die preistreibenden Auswirkungen nun ins Gegenteil. Zudem wird eine global schwächere Konjunktur die Nachfrage ebenfalls dämpfen.
Erste Anzeichen einer nachfragebedingten Entspannung an der Preisfront werden bereits sichtbar. So ist bei einigen Rohstoffen zuletzt bereits eine Abwärtsbewegung zu beobachten. Auch wenn in den kommenden Monaten eine sehr volatile Entwicklung zu erwarten ist, gehen wir für 2023 bei nahezu allen wichtigen Rohstoffen wie Öl, Gas, oder Metallen von tieferen Werten als im laufenden Jahr aus. Hieraus ergibt sich seitens der Energie- und Treibstoffe im Jahresdurchschnitt 2023 ein negativer Teuerungsbeitrag.
Wenn die die Inflation befeuernden exogene Schocks an Einfluss verlieren, stellt sich die Frage, ob der bisherige Preisschub ausgereicht hat, um eine davon unabhängig Inflationsspirale in Gang zu setzten. Hierfür gibt es bisher wenig Anzeichen. Bisher sind die Lohnsteigerungen moderat und bis zu den grossen Lohnverhandlungen im Herbst dürfte der stärkste Inflationsdruck überwunden sein. Zudem sorgt die breite Diskussion für ein Bewusstsein der Gefahren einer Lohn-Preis-Spirale, was die Gefahr einer solchen Spirale senkt. Auch entfalten eine Reihe struktureller Faktoren weiterhin ihren preissenkenden Einfluss, auch wenn Ihre Kraft im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt nachlässt. Zu nennen sind hier beispielsweise die Globalisierung sowie die verstärkte Individualisierung am Arbeitsmarkt.
Stabilitätsorientierte Geldpolitik, effizientes Instrumentarium
Einen wesentlichen Beitrag zur Rückkehr der Preisstabilität im Jahr 2023 leistet die SNB. Sie befindet sich derzeit in einer komfortablen Situation: Für die Erfüllung ihres Auftrags, der Gewährleistung der Preisstabilität, steht ihr mit dem Schweizer Franken ein effektives und schnell wirksames Mittel zur Verfügung. Der beherzte Zinsschritt Mitte Juni und die veränderte Kommunikation bezüglich des Franken-Aussenwertes zeugen davon, dass die SNB gewillt ist, den Wechselkurs aktiv bei der Inflationsbekämpfung einzusetzen.
Ein höherer Aussenwert des Frankens reduziert die importierte Teuerung bei Vorleistungen, Rohstoffen und Konsumgütern. Zusätzlich schwächt ein stärkerer Franken die Nachfrage nach Schweizer Produkten und Dienstleistungen und lenkt die hiesige Kaufkraft ins Ausland, was sich ebenfalls preismindernd auswirkt. Bei der Dämpfung der Nachfrage gilt es zwar Augenmass zu wahren, um die Konjunktur nicht in eine Rezession zu treiben. Die robuste Verfassung der Schweizer Wirtschaft mit Engpässen am Arbeitsmarkt gibt jedoch Spielraum für eine restriktivere Gangart. BAK Economics rechnet nach weiteren Zinsschritten noch im Jahr 2022 mit dem Ende der Negativzinsen. Mit der wieder moderaten Inflation dürfte 2023 hingegen von einer Zinspause geprägt sein.
Risikoszenario: Länger anhaltende Inflation
Besonders zwei Entwicklungen könnten zu weiteren Preisschüben führen und die Inflation abweichend von unserer Basisprognose hochhalten. Einerseits sind dies weitere exogene Schocks, beispielsweise eine massive Rückkehr der Pandemie im Winter oder eine Ausweitung des Kriegs in der Ukraine auf NATO-Territorium. Andererseits besteht ein Risiko, dass im Ausland durch eine mangelhafte Inflationsbekämpfung eine dauerhafte Inflationsspirale entsteht, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Schweiz. Vor allem Europa erscheint gefährdet: Ist die EZB angesichts der hohen Staatsverschuldungen nicht in der Lage, die Gelpolitik ausreichend zu straffen, und treten gleichzeitig stärker als erwartet preistreibende Faktoren auf, beispielsweise durch die direkten und indirekten Kosten des Ukraine-Konflikts oder durch übermässige Lohnsteigerungen, könnte die Inflation in Europa aus dem Ruder laufen.
Die Wahrscheinlichkeit dieser Risikoszenarien einer dauerhaft höheren Inflation ist in den vergangenen Monaten gesunken und im Gegenzug die Wahrscheinlichkeit des Basisszenarios, eines deutlichen Nachlassens der Inflation 2023, gestiegen. Ganz ad acta gelegt werden sollten die Risikoszenarien jedoch noch nicht.