Mehr Mathematik, mehr Unternehmertum für die Schweiz: UBS und ETH Zürich lancieren eine 40-Millionen-Partnerschaft Die Hochschule und die Grossbank wollen mehr Jugendliche für technische Fragen begeistern und ETH-Startups bessere Bedingungen bieten.
Die Hochschule und die Grossbank wollen mehr Jugendliche für technische Fragen begeistern und ETH-Startups bessere Bedingungen bieten.
Die Schweiz gehört zu den innovativsten Ländern der Welt, muss aber mehr tun, um oben zu bleiben: Diese Überzeugung steht hinter einer umfassenden Partnerschaft, welche die Grossbank UBS und die ETH Zürich Anfang Woche vereinbart und an diesem Donnerstag publik gemacht haben.
Die UBS spendet bis zu 40 Millionen Franken, die in zwei Initiativen fliessen – für mehr Unternehmertum und für den mathematisch-technischen Nachwuchs – sowie in ein neues Gebäude an der ETH Hönggerberg. Den Kooperationsvertrag legen die Parteien dabei offen.
Dank ihrer Innovationskraft habe die Schweiz die Pandemie oder die Euro-Krise 2012 überwinden können, sagt Sabine Keller-Busse, die Chefin der UBS Schweiz, gegenüber der NZZ. «Wir brauchen aber generell mehr Menschen, die in der Lage sind, die Innovation in der Schweiz weiter hoch zu halten.» Joël Mesot, der Präsident der ETH Zürich, möchte mit den Initiativen auch den Wissens- und Wirtschaftsstandort Schweiz stärken. «Die Konkurrenz schläft nicht.»
Es gibt zu wenig Informatikerinnen
Die Initiative für mehr Mint-Kräfte (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) wird in der Primar- und Sekundarschule ansetzen. Die ETH wird dabei ihre bestehenden Programme einbringen, zum Beispiel den «Cybathlon@School»: Schüler entwickeln dabei Exoskelette für Menschen mit Querschnittslähmung, ETH-Studierende leiten diese Workshops.
Im ersten Schritt soll auf dieser Basis die Plattform «STEM@School» entstehen. Die UBS sorgt mit ihrer Finanzierung und ihrem Netzwerk – unter anderem Freiwillige, die sich bereits in Schulprojekten engagieren – dafür, dass diese Programme deutlich mehr Schulen erreichen.
Man müsse die Basis an Mint-Fachkräften verbreitern, sagt Keller-Busse. Dafür müssten die Berührungsängste gegenüber Mathematik und Technik bereits in der Schule abgebaut und die Leidenschaft für diese Fächer entfacht werden. Keller-Busse vergleicht die Aufgabe mit dem «UBS Kids Cup», dem Leichtathletik-Förderprogramm, das die Bank seit 2011 mit den Sportverbänden ausgerollt hat: Je mehr Kinder das Programm erreicht, desto grösser ist auch die Chance, dass ein Supertalent entdeckt wird.
Die sechs Medaillen an der Europameisterschaft von voriger Woche seien auch darauf zurückzuführen, dass mehr Kinder überhaupt den Weg in die Leichtathletik fanden. Mesot formuliert das Ziel der neuen Initiative entsprechend so: «Wir suchen die Kambundjis von morgen für den Mint-Bereich.»
Ein spezielles Augenmerk will man auf Gruppen legen, die bis jetzt in den Natur- und Technikwissenschaften untervertreten sind. Einerseits sind das Talente aus bildungsfernen Familien, die bisher kaum Zugang zu Universitäten hatten. Andererseits ist das ungenutzte Potenzial vor allem bei Mädchen gross. Seit Jahr und Tag sind die jungen Männer in Studiengängen wie Maschinenbau sowie Elektrotechnik und IT klar in der Überzahl. In der Schweiz ist dieses Missverhältnis dabei grösser als in vielen anderen Ländern.
«Wir haben früher klar zu wenig Frauen auf Professuren berufen», sagt Mesot. Doch in den vergangenen drei Jahren habe die ETH den Frauenanteil bei Berufungen auf über 40 Prozent erhöhen können. «Das schafft wichtige Vorbilder für die Studentinnen.» Dennoch brauche es auch mehr und bessere Basisarbeit. Er verweist dabei auf Erfahrungen, die etwa das Paul-Scherrer-Institut mit Schülerlaboren gemacht hat: Mädchen gingen genauso kreativ und gewandt mit Technik um wie Buben; aber nur, wenn sie in geschlechtergetrennten Gruppen arbeiteten.
Mehr Unternehmer
Die zweite Initiative setzt bei den Studierenden an und soll unternehmerisches Denken und Handeln fördern. UBS und ETH wollen in Workshops Kompetenzen vermitteln, die für Jungunternehmerinnen und -unternehmer wichtig sind, zum Beispiel Marketing, Rechnungslegung und breiteres Finanzwissen.
In einem weiteren Format sollen sich die Studenten regelmässig mit erfahrenen Unternehmern austauschen können, um von ihnen zu lernen. Darüber hinaus sollen ETH-Spin-offs an einem dedizierten Investorentag potenzielle Geldgeber kennenlernen und sich an einem Innovationstag vertieft mit Führungs- und Fachkräften aus Drittfirmen zu grossen strategischen Herausforderungen austauschen können.
UBS und ETH erhoffen sich auch von dieser Initiative Breitenwirkung: «Wir müssen die Innovation aus der ETH auch in die Unternehmenswelt führen. Erst das schafft Arbeitsplätze in der Schweiz», sagt Keller-Busse. Von diesem Wissenstransfer sollen auch KMU profitieren, welche die ETH noch nicht so gut erreicht. Mesot nennt Cybersicherheit als Beispiel, wo dieser Transfer heute noch harzt: An der ETH seien effiziente Methoden entwickelt worden, um auch kleine Unternehmen wirkungsvoll vor Hackerangriffen zu schützen. Doch bei KMU seien diese Lösungen noch zu wenig bekannt, obwohl auch sie durch Cyberattacken bedroht sind.
Doch brauchen die Zürcher ETH-Studenten überhaupt mehr Unternehmertum? Der Track-Record der Hochschule ist heute schon recht gut. Jahr für Jahr gründen ETH-Abgängerinnen rund 25 Startups. Wie Untersuchungen der Universität St. Gallen zeigen, haben diese Startups eine sehr hohe Überlebenschance; und sie gelangen auch zusehends an Kapital. Aber besser geht immer: Israel oder die Cluster rund um die britischen Spitzenuniversitäten sind der Schweiz punkto Startup-Förderung in vielen Belangen voraus.
Die UBS hat nach eigenen Angaben eine Kundenbeziehung mit jedem zweiten Unternehmen in der Schweiz. Die Bank versteht sich zudem immer stärker als technologische Plattform, die Geldgeberinnen und Kreditnehmer direkt miteinander verknüpfen kann (also nicht nur über ihre eigene Bilanz). Auch ETH-Startups, die eine Finanzierung suchen, sollen zu diesem Netzwerk künftig besseren Zugang erhalten.
Mehr Finanzierung wäre durchaus willkommen. Die ETH-Spin-offs spielten 2022 bereits mehr als 600 Millionen Franken von Wagniskapitalgebern ein. Insbesondere für sehr grosse Finanzierungsrunden, im Bereich von etwa über 100 Millionen Franken, reichen die Schweizer Netzwerke meist noch nicht aus. «Wir müssen für solche grossen Runden noch zu oft mit internationalen Partnern arbeiten», sagt Mesot.
Noch immer ziehen überdies zahlreiche Startups aus der Schweiz weg, wenn eine grosse Finanzierungsrunde ansteht. «Zahlreiche Länder versuchen unsere Startups abzuwerben», sagt Mesot, zum Teil hätten diese zu diesem Zweck eigene Büros in Zürich eröffnet.
Zu diesen zwei Initiativen kommt wie erwähnt ein neuer Bau am Hönggerberg: Er soll alle bestehenden und über dem Campus verstreuten Initiativen für Startups und Unternehmertum an einem Ort zusammenbringen. Es soll hier auch Werkstätten geben, ausgerüstet etwa mit 3-D-Printern, die allen Studierenden zur Verfügung stehen.
Auch mehrere ETH-Studierendenverbände sollen im Center for Students & Entrepreneurs ein neues Zuhause erhalten. Wenn das Projekt wie geplant vorankommt, wird es ab 2024 gebaut und 2027 eröffnet. Die Hochschule sucht für das Gebäude noch weitere Donatoren; gemäss Mesot laufen hierzu bereits konkrete Gespräche.
Transparenz von Anfang an
Was hat die UBS von der Sache? Keller-Busse verweist auf das grosse Ganze. Als Grossunternehmen habe die UBS eine gesellschaftliche Verantwortung. Darüber hinaus profitiere man auch direkt, wenn der Heimmarkt floriere. «Wenn die Schweiz als Land erfolgreich ist, hat das eine Strahlkraft auf unsere ausländische Kundschaft», sagt Keller-Busse.
Als die UBS 2012 der Universität Zürich 100 Millionen Franken zukommen liess, um das UBS Center for Economics in Society aufzubauen, brandete Kritik auf, es handle sich um einen Geheimvertrag und die Bank kaufe die Forschung. Wie die Erfahrung gezeigt hat, stimmt das zwar nicht: Das Center macht unabhängige und hochstehende Forschung und stärkt den Wissensstandort Schweiz. Universität und Bank veröffentlichten später und auf Druck von aussen dennoch die Details der Zusammenarbeit.
Die jetzigen Initiativen von UBS und ETH sind anders gelagert: Sie tangieren Forschung und Lehre nicht. Das wird im Kooperationsvertrag, welcher der NZZ vorliegt, auch nochmals ausdrücklich festgeschrieben.
Auch darüber hinaus werden Rechte und Pflichten säuberlich aufgelistet. Die UBS wird zum Beispiel für 25 Jahre das Recht erhalten, im neuen Gebäude bis zu vier Firmenanlässe pro Jahr durchzuführen und vor Ort sichtbar zu sein, etwa mit einem Co-Working-Space oder einer Kaffeebar. Den Namen des Gebäudes suchen ETH und UBS gemeinsam aus, wobei die Hochschule abschliessend darüber entscheidet. Sie legt auch fest, welche Nutzergruppen den Neubau verwenden dürfen.
Mesot sagt, dass die ETH 1855 gegründet worden sei, um die Schweiz zu modernisieren, und dass sie dabei stets mit Unternehmen zusammengearbeitet habe. «Wir sind stolz auf diese Partnerschaft und haben nichts zu verbergen.»