Schweizer Verwaltungsräte: der grosse Frauenimport Der Frauenanteil in den Verwaltungsräten nimmt weltweit zu, allerdings nur langsam. Weibliche Verwaltungsratsmitglieder von Schweizer Unternehmen haben zu mehr als 75 Prozent einen ausländischen Pass.

Der Frauenanteil in den Verwaltungsräten nimmt weltweit zu, allerdings nur langsam. Weibliche Verwaltungsratsmitglieder von Schweizer Unternehmen haben zu mehr als 75 Prozent einen ausländischen Pass.

 

In der Schweiz sind lediglich 2,9 Prozent der untersuchten CEO-Positionen und 6,1 Prozent der CFO-Positionen von Frauen besetzt. Bild: unsplash

Schweizerinnen schaffen es kaum in die Verwaltungsräte grosser Firmen. Die Verwaltungsrätinnen von Schweizer Unternehmen kommen stattdessen aus dem Ausland – ein grosser Frauenimport also. Das ist etwas zugespitzt das Ergebnis einer Untersuchung des Personalberaters Egon Zehnder zur Diversität in Verwaltungsräten. 75,8 Prozent der weiblichen Verwaltungsratsmitglieder in der Schweiz haben laut Studie einen internationalen Hintergrund. Dieser Anteil liegt weit über dem westeuropäischen Durchschnitt.

Dass die Frauen im Verwaltungsrat aber immer noch unterrepräsentiert sind, ist nicht verwunderlich. Der gängigste Weg in einen Verwaltungsrat eines Grosskonzerns führt über eine vorgängige Managementposition, und zwar entweder als Firmen- oder Finanzchef(in). In der Schweiz sind allerdings lediglich 2,9 Prozent der untersuchten CEO-Positionen und 6,1 Prozent der CFO-Positionen von Frauen besetzt. Der potenzielle Nachwuchs ist also immer noch sehr männlich geprägt. Das macht die Suche nach Verwaltungsrätinnen aufwendiger.

Die EU ist weiter

«Dass der Talent-Pool für weibliche Verwaltungsratsmitglieder in der Schweiz hauptsächlich im Ausland liegt, gibt zu denken», sagt Simone Stebler, Leiterin Diversity & Inclusion bei Egon Zehnder Schweiz. Insgesamt liegt der Anteil der weiblichen Verwaltungsräte hierzulande mit 29,1 Prozent unter dem westeuropäischen Durchschnitt von 35,5 Prozent. Weltweit nimmt der Frauenanteil in den Verwaltungsräten zwar zu, aber nur langsam. Das Tempo des Wandels scheint sich allerdings zu beschleunigen. Mit Blick auf ganz Westeuropa hat sich der Frauenanteil in den Verwaltungsräten in den vergangenen zwei Jahren schneller gesteigert als in den zehn Jahren zuvor.

Trotz der offenbar dünnen Auswahl an hiesigen Kandidatinnen stehen die Schweizer Unternehmen in der Pflicht, den Frauenanteil zu erhöhen. Es gibt zwar anders als in der EU keine vorgeschriebene Frauenquote. Allerdings gilt seit der 2020 vom Parlament beschlossenen Aktienrechtsrevision eine sogenannte Frauenquote light. Es handelt sich um einen Richtwert von 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 20 Prozent Frauen in der Geschäftsleitung. Werden diese Anteile nicht eingehalten, ist das Unternehmen verpflichtet, die Gründe anzugeben und Massnahmen zur Verbesserung darzulegen. Für Verwaltungsräte gilt der Geschlechterrichtwert ab 2026, für die Geschäftsleitung gibt es eine längere Übergangsfrist bis 2031.

Die Studie sei ein Weckruf für die Unternehmen, Frauen zu fördern, so Stebler. Die Bereitschaft der Unternehmen, diesen Pool aufzubauen, ist indessen unterschiedlich ausgeprägt. Einem Teil der Firmen sei dies sehr wichtig. Doch für gefühlt mehr als die Hälfte der Unternehmen handle es sich um eine Pflichtübung, so Stebler. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass man in vielen Unternehmen nicht von den Vorteilen der Geschlechterdiversität überzeugt ist oder deren Kosten als zu hoch erachtet.

Ressentiments von Männern

Tatsächlich gibt es bereits Ressentiments von Männern, die sich zurückgesetzt fühlen und fragen, ob sie noch die gleichen Karrierechancen hätten wie früher. Manche Männer hätten inzwischen den Eindruck, dass alle Verwaltungsratssitze an Frauen gingen. «Dem ist aber nicht so», sagt Stebler.

Bei den in der Studie berücksichtigten Schweizer Unternehmen wurden im vergangenen Jahr 10,6 Prozent der Positionen im Verwaltungsrat neu besetzt. 64 Prozent davon gingen an Männer, 36 Prozent an Frauen. Ein Anteil für «Diverse» wurde übrigens nicht ausgewiesen. Von einem 50-zu-50-Verhältnis ist man damit noch weit entfernt. Berücksichtigt wurden in der Untersuchung internationale Grossunternehmen mit einer Börsenkapitalisierung von mindestens 6 Milliarden Franken.

Teilzeitarbeit verringert die Karrierechancen

Ein anderer Aspekt sind die Frauen selbst. Wenn man eine Kandidatin wolle, müsse man mehr Aufwand bei der Suche betreiben, das Netz weiter auswerfen und zum Teil stärker auf das Potenzial denn die Erfahrung setzen, so Stebler. Es bestätige sich zudem immer wieder, dass sich Frauen seltener eine Position zutrauten, deren Anforderungsprofil sie noch nicht zu 100 Prozent erfüllten.

Ein weiterer limitierender Faktor ist die in der Schweiz stark verbreitete Teilzeitarbeit. Ab einer gewissen Stufe sei es mit einem Pensum unter 80 Prozent schwierig, Karriere zu machen, sagen viele Personalfachleute.

Wegen der anvisierten Richtwerte gibt es in der Schweiz inzwischen verstärkte Bestrebungen, auch heimische Nachwuchskräfte sowohl für den Verwaltungsrat als auch für die Managementfunktionen aufzubauen. Allerdings ist das Thema auf der Stufe der Geschäftsleitungen noch nicht so in den Köpfen angekommen wie auf der Ebene des Verwaltungsrates. Die Ursache dafür sieht Stebler darin, dass sich viele Initiativen zunächst auf die Verwaltungsräte fokussiert hätten.

Schleppende Internationalisierung der Verwaltungsräte

Unabhängig vom Geschlecht liegt der durchschnittliche Anteil von Verwaltungsratsmitgliedern mit internationalem Hintergrund auf globaler Ebene bei etwa einem Viertel – und sinkt seit 2012 in fast allen Weltregionen. Westeuropa verzeichnet mit einem Durchschnitt von fast 39 Prozent als einzige Region einen kontinuierlichen, wenn auch eher langsamen Aufwärtstrend. Die Schweiz ist hier eine Ausnahme und liegt mit einem Anteil von 63,5 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.

Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»

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