Die Lager sind voll: Weshalb es sich lohnen kann, mit dem Velokauf nicht bis zum Frühling zu warten Knappheit bei Fahrrädern oder Möbeln? Das war einmal. Mittlerweile sind die Lager bei den Händlern voll, denn sie erhalten nun mit Verspätung die Ware, die sie während der Pandemie gebraucht hätten – teilweise zur Unzeit.

Knappheit bei Fahrrädern oder Möbeln? Das war einmal. Mittlerweile sind die Lager bei den Händlern voll, denn sie erhalten nun mit Verspätung die Ware, die sie während der Pandemie gebraucht hätten – teilweise zur Unzeit.

 

Die Lager sind sowohl bei den Importeuren als auch bei den Händlern so voll wie nie um diese Jahreszeit. Bild: unsplash

Haben Sie vor, sich zu Weihnachten ein Fahrrad oder ein E-Bike zu kaufen, oder wünschen Sie sich eines? Wenn nicht, sind Sie in guter Gesellschaft. Velos stehen hierzulande selten unter dem Christbaum, ausser es handle sich um Kinderfahrräder. Bei den Erwachsenenvelos startet die Verkaufssaison typischerweise im März.

Dieses Jahr könnte es sich allerdings lohnen, alte Gewohnheiten zu durchbrechen und bereits ein paar Monate früher an Velos zu denken. Dies gilt vor allem, wenn man zu jenen gehört, die sich während der Corona-Zeit ein neues Fahrrad oder E-Bike kaufen wollten, aber das gewünschte Modell wegen der weltweit explodierten Nachfrage und der Probleme beim Nachschub nicht gefunden haben.

Von der Knappheit in den Überfluss

Denn von Knappheit kann derzeit keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Die Lager sind sowohl bei den Importeuren als auch bei den Händlern so voll wie nie um diese Jahreszeit. Seit einigen Monaten liefern die Hersteller deutlich mehr Fahrräder aus, als verkauft werden können.

Der Grund für dieses Überschiessen beim Nachschub liegt darin, dass die Händler angesichts des pandemiebedingten Velobooms ihre Bestellungen in den Jahren 2020 und 2021 hochfuhren wie noch nie. Weil Velos jedoch eine lange Vorlaufzeit von bis zu zwei Jahren haben und zudem viele Fabriken geschlossen waren und der internationale Frachtverkehr stockte, konnte diese Ware nicht beziehungsweise nur teilweise geliefert werden.

Diese Grossbestellungen drängen nun mit bis zu eineinhalb Jahren Verspätung auf den Markt, nachdem die Produktion wieder auf Touren gekommen ist und sich die Frachtraten weitgehend normalisiert haben. Und sie erreichen die Händler zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Nachfrage auf hohem Niveau bereits wieder beruhigt hat beziehungsweise auch saisonbedingt eher schwach ist.

«In den vergangenen zwei Monaten sind bei uns viele Lieferungen eingetroffen, die wir 2021 bestellt haben und die eigentlich im vergangenen Winter für die Saison 2022 hätten ankommen sollen», sagt etwa der Geschäftsführer von Veloplus, Dominique Metz. «Ein Platzproblem haben wir zwar noch nicht, weil wir unsere Lagerkapazitäten ausbauen konnten. Aber irgendwann sollten dann auch noch die Bestellungen für 2023 eintreffen.»

Gartenmöbel zum Überwintern

Veloplus ist mit dieser Situation nicht allein. Auch bei anderen Händlern sind die Regale voll. Gut verfügbar sind mittlerweile fast alle Arten von Bikes, abgesehen vielleicht von den besonders angesagten Gravelbikes und von gewissen SUV-E-Bikes. Das eine sind Rennräder, mit denen man auch auf Schotterstrassen fahren kann, das andere gefederte E-Mountainbikes, die dank Schutzblech und Beleuchtung auch City-tauglich sind.

Ähnlich wie bei den Velos sieht es in der Möbelbranche aus. Auch dort treffen derzeit Lieferungen ein, die im Frühling hätten kommen sollen, und füllen die Lager. Beim Möbelhaus Pfister etwa liegt der Lagerbestand laut dem CEO Paul Holaschke derzeit deutlich über dem von 2019. Man habe die Kapazitäten aufgrund des anhaltenden Wachstums um rund 30 Prozent ausgebaut, um mehr Artikel sofort verfügbar zu haben, sei aber trotzdem praktisch voll. Auch für Möbel ist der Dezember eher Nebensaison; vor Weihnachten sind bei Pfister besonders Accessoires und Geschenke gefragt.

Immerhin: Fahrräder oder Möbel sind weder verderblich, noch unterliegen sie so schnelllebigen Trends wie die Modeindustrie. Die Gartenmöbel von 2023 dürften kaum anders aussehen als jene von 2022, und auch die Velohersteller sind davon abgekommen, die Modelle jährlich zu erneuern. Die Möbel- und Velohändler müssen somit keine Angst haben, im Frühling auf veralteter Ware zu sitzen, die sie nur noch mit grossen Rabatten verkaufen können.

Durchzogene Konsumentenstimmung

Aber Lagerhaltung ist teuer, und sie bindet Liquidität. Das muss man sich als Unternehmen leisten können. Hinzu kommt, dass derzeit alles andere als klar ist, wie lange die Bevölkerung noch in Kauflaune ist. Der Index der Konsumentenstimmung, den das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) vierteljährlich per Umfrage erhebt, lag im Oktober so tief wie noch nie seit Beginn der Messung. Laut Dagmar Jenni, der Direktorin der Swiss Retail Federation, spüren die Händler allerdings bis jetzt nichts davon. Die schlechten Verkäufe im Oktober werden nicht auf fehlende Konsumlaune zurückgeführt, sondern darauf, dass wieder mehr Leute in die Ferien verreist sind.

Eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage der Swiss Retail Federation bringt auch nicht viel mehr Klarheit darüber, wie gut sich der Konsum in der Weihnachtszeit und darüber hinaus halten wird. So gaben 48 Prozent der Befragten an, sich angesichts steigender Preise voraussichtlich einschränken zu müssen. Fast gleich viele – 45 Prozent – verneinten dies. Das tönt nicht allzu positiv. Die Situation ist allerdings deutlich besser als in Deutschland, wo sogar 76 Prozent der Befragten angaben, sie müssten sich voraussichtlich einschränken.

Die Swiss Retail Federation zieht daraus den Schluss, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer wegen der Inflation noch nicht allzu viele Sorgen machen und weiter Geld ausgeben. Es gibt jedoch auch kritischere Stimmen. Patrick Kessler vom Handelsverband.swiss warnte vor kurzem an einer Branchenveranstaltung die Detailhändler davor, sich auf gute Geschäfte in den zwei letzten Wochen vor Weihnachten zu verlassen: «Die Konsumenten warten dieses Jahr förmlich auf Black-Friday-Angebote, und sie werden versuchen, ihre Weihnachtsgeschenke günstig einzukaufen.»

Vorteile von antizyklischem Einkaufen

Velos gehörten bis jetzt nicht zu den typischen Black-Friday-Angeboten. Ob es angesichts der vollen Lager nächste Woche auch Fahrräder und E-Bikes vergünstigt zu kaufen geben wird, ist selbst für Insider unklar, denn bis jetzt hatte die Branche diese vorweihnachtlichen Rabatttage gar nicht auf dem Radar.

Auch Dominique Metz ist gespannt, was passieren wird. Veloplus plane keine speziellen Aktionen, meint der Geschäftsführer, zumal man grundsätzlich gegen Ideen wie den Black Friday sei und auch kein Liquiditätsproblem habe. Aber es sei durchaus denkbar, dass andere Firmen, die Geld brauchten, dieses Jahr mit Aktionen vorpreschten.

Aber selbst ohne starke Preisnachlässe gibt es gute Gründe, sich in den kommenden Wochen nach einem Velo oder E-Bike umzuschauen: Die Auswahl ist riesig, der Andrang saisonbedingt bescheiden.

Andrea Martel, «Neue Zürcher Zeitung»

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