Konzernverantwortung: Die Schweizer Firmen müssen sich wohl bald auf strengere Regeln einstellen Die Volksinitiative zur Unternehmensverantwortung ist knapp gescheitert, doch ihre umstrittenen Kernforderungen dürften in der Schweiz bald wieder aufs Tapet kommen. Die jüngsten Entwicklungen in der EU und der neuste Bundesbericht illustrieren Handlungsbedarf für die Schweiz.
Die Volksinitiative zur Unternehmensverantwortung ist knapp gescheitert, doch ihre umstrittenen Kernforderungen dürften in der Schweiz bald wieder aufs Tapet kommen. Die jüngsten Entwicklungen in der EU und der neuste Bundesbericht illustrieren Handlungsbedarf für die Schweiz.
Der Abstimmungskampf war emotional, das Verdikt war knapp: Die Volksinitiative zur Konzernverantwortung erreichte vor zwei Jahren an der Urne 50,7 Prozent der Ja-Stimmen und scheiterte nur am Ständemehr. Wie so oft bei Volksinitiativen klang das Ziel des Vorstosses sympathisch: die weltweite Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards durch Schweizer Unternehmen. Umstritten waren dagegen die verlangten Instrumente. Etwa die direkte Haftung von Schweizer Mutterfirmen für Verfehlungen ausländischer Töchter und abhängiger Lieferanten. Oder die Anwendung von Schweizer Recht für ausländische Vorgänge. Oder der Grundsatz, dass bei Schäden die Sorgfaltspflichten bis zum Beweis des Gegenteils als verletzt gelten.
Ein Kernargument des Bundesrats gegen die Initiative ging wie folgt: Der Vorstoss gehe weit über internationale Standards hinaus, und die Schweiz solle gescheiter «international abgestimmte» Regeln haben. Letzteres signalisierte die Ausrichtung auf die EU und war laut der Regierung mit dem Gegenvorschlag zur Initiative erfüllt. Diese Gesetzesänderung durch das Parlament brachte für börsenkotierte Firmen und nichtkotierte Finanzdienstleister ab 500 Mitarbeitern nach EU-Muster Berichterstattungspflichten zu Themen wie Umwelt, Menschenrechten und Korruption. Hinzu kommen für Firmen über einer bestimmten Grösse spezifische Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten zu Kinderarbeit und heiklen Mineralien.
Verschärfte Berichtspflichten
Die Ausführungsverordnung des Bundesrats zu den neuen Schweizer Regeln ist seit Anfang dieses Jahres in Kraft. Doch die nächste Verschärfung ist schon absehbar, denn die EU ist nicht stehengeblieben. Seit Ende November definitiv beschlossen ist die Ausweitung der Berichterstattungspflichten von EU-Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit. Zu den Änderungen zählen die Ausweitung des Kreises der betroffenen Firmen, eine detailliertere Umschreibung der Berichterstattungspflichten und der Zwang zur Zertifizierung der gelieferten Informationen durch anerkannte externe Prüfer.
Die neuen EU-Regeln gehen weiter als das geltende Schweizer Recht, wie ein Bericht des Bundesamts für Justiz von Ende November deutlich macht. Hier drei der genannten Hauptdifferenzen: Der Kreis der betroffenen Firmen ist in der EU-Richtlinie grösser (Firmen ab 250 Mitarbeitern gegenüber dem Schweizer Schwellenwert von 500 Angestellten), die verlangten Informationen gehen weiter, und in der Schweiz ist derzeit keine Pflicht zur Prüfung von Nachhaltigkeitsinformationen durch eine externe Revisionsstelle vorgesehen.
Der Bundesrat hat deshalb am vergangenen Freitag bei den Schweizer Regeln «Anpassungsbedarf» geortet und das Justizdepartement beauftragt, bis spätestens im Sommer 2024 ein Gesetzesprojekt für die Vernehmlassung vorzubereiten. Die neuen EU-Berichterstattungspflichten gelten für EU-Firmen schrittweise ab den Geschäftsjahren 2024 bis 2026. Für Konzerne aus der Schweiz und anderen Drittländern mit Ableger in der EU und mit EU-Umsätzen über 150 Millionen Euro pro Jahr gelten die Regeln ab dem Geschäftsjahr 2028.
Neue Haftungsregeln absehbar
Bei der Ausweitung der Berichterstattungspflichten wird es nicht bleiben. In der EU sind auch Verschärfungen absehbar, die zentrale Themen der Debatte über die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative betreffen. Die EU-Kommission hat diesen Februar eine Richtlinie vorgeschlagen, die für Unternehmen ab einer gewissen Grösse ausdrückliche Sorgfaltspflichten zu Umwelt und Menschenrechten vorsieht.
Dabei sollen die Unternehmen im Grundsatz nicht nur die eigenen Tochtergesellschaften prüfen, sondern auch die ganze Lieferkette. Vorgesehen ist auch ein Punkt, der bei der Schweizer Volksinitiative besonders stark umstritten war: eine direkte zivilrechtliche Haftung von Firmenzentralen für die von Konzerngesellschaften in aller Welt verursachten Schäden in Sachen Umwelt und Menschenrechte. Bedingung für die Haftung ist eine Verletzung von Sorgfaltspflichten der Zentrale.
Eine solche Haftung ist im Prinzip in der EU wie auch nach Schweizer Recht schon jetzt denkbar, doch die Verankerung ausdrücklicher Haftungsregeln zu Umwelt und Menschenrechten würde die Chancen von Klägern erhöhen. Der Vorschlag der EU-Kommission ist erst ein Entwurf. Bereits bekannt ist aber, dass auch das EU-Parlament ähnliche Verschärfungen will. Und nun ist klarer, dass auch die EU-Mitgliedländer die gleiche Stossrichtung anstreben. Dies zeigte vergangene Woche der Positionsbezug des EU-Ministerrats, der die Mitgliedländer vertritt.
Die EU-Vorschläge gehen in gewissen Punkten weniger weit als die Forderungen der Schweizer Konzernverantwortungsinitiative. So gibt es etwa breitere Ausnahmen für Klein- und Mittelbetriebe. Und bei den Haftungsregeln ist keine automatische Umkehr der Beweislast in Sachen Sorgfaltspflichten vorgesehen; die diskutierte EU-Richtlinie würde es den Mitgliedstaaten überlassen, ob bei belegten Schäden die Beweislast in Sachen (nicht) erfüllte Sorgfaltspflichten bei den Klägern oder den beklagten Firmen läge.
Bundesrat wartet ab
Mit einem definitiven Entscheid der EU zur Verschärfung von Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln ist wohl frühestens 2023 oder 2024 zu rechnen. Und danach werden die Mitgliedländer noch Zeit haben, die europäischen Vorgaben ins nationale Recht umzusetzen. Doch nach derzeitigem Stand ist absehbar, dass die künftigen EU-Regeln klar strenger sein werden als das geltende Schweizer Recht. Darauf nehmen auch die Urheber der Schweizer Konzernverantwortungsinitiative Bezug, die vergangene Woche bei der Bundeskanzlei eine Petition mit fast 220 000 Unterschriften für strengere Schweizer Regeln eingereicht haben.
Der erwähnte Bericht des Bundesamts für Justiz spricht von «erheblichen» Differenzen zwischen den EU-Vorschlagen und dem Schweizer Recht. Und dies betrifft nicht nur die erwähnten Haftungsregeln. So sind zum Beispiel die ausdrücklich genannten Sorgfaltspflichten im EU-Vorschlag wesentlich breiter, und die EU-Mitgliedländer müssten eine unabhängige nationale Aufsichtsbehörde mit Sanktionskompetenz schaffen. Letzteres hatte nicht einmal die Schweizer Volksinitiative ausdrücklich gefordert.
Die geplanten EU-Verschärfungen sollen auch für schweizerische und andere Nicht-EU-Konzerne mit bedeutenden Geschäften in der EU gelten. Inwieweit diese Betroffenheit auch die Haftung von Konzernzentralen umfassen würde, ist laut Schweizer Bundesjuristen zurzeit unklar. Der Bundesrat hat am vergangenen Freitag zu den EU-Diskussionen über Sorgfaltspflichten und Haftungsregeln noch keinen verbindlichen Beschluss gefällt. Deklarierter Grund: Die definitiven EU-Regeln und ihre Folgen seien noch schwer absehbar. Die Regierung will laut ihren eigenen Angaben «bis Ende 2023 die Auswirkungen der künftigen EU-Richtlinie vertieft analysieren».