«Vielleicht hätten wir ‹Tech› auf die Pyjamas schreiben sollen»: wie das Schlaf-Startup Dagsmejan sich gegen die Vorlieben von Schweizer Investoren durchsetzte Tech, Pharma und Daten: Schweizer Kapitalgeber favorisieren Jungunternehmen aus gewissen Branchen. Wer mit Bekleidung kommt, muss sich etwas einfallen lassen – trotz dem Erfolg von On.
Tech, Pharma und Daten: Schweizer Kapitalgeber favorisieren Jungunternehmen aus gewissen Branchen. Wer mit Bekleidung kommt, muss sich etwas einfallen lassen – trotz dem Erfolg von On.
Es ist nicht immer logisch, wofür manche Leute ihr Geld ausgeben. Sie zahlen über 1000 Franken für eine Skijacke, die sie eine Woche im Jahr tragen – bei gutem Wetter. Dagegen verbringen sie siebzehn Wochen im Jahr mit Schlaf, aber dafür reicht ihnen ein altes T-Shirt. Dagsmejan möchte das ändern. Das Schweizer Startup stellt hochwertige Pyjamas her, in denen Fasern aus Eukalyptus oder Buchenholz sowie Merinowolle verarbeitet sind. Die Kombination aus Ober- und Unterteil kann über 200 Franken kosten, soll aber auf die Körpertemperatur reagieren und so den Schlafkomfort fördern.
Gegen vegane Burger haben es Pyjamas schwer
Dagsmejan kämpft gegen die Gewohnheit in den Schlafzimmern. Aber zuvor musste sich das Jungunternehmen gegen eine andere Gewohnheit behaupten: die Vorlieben von Investoren. Denn obwohl es in der Schweiz viel Geld zur Finanzierung von Startups gibt, verkauft sich eine Pyjama-Geschäftsidee nicht im Schlaf. Das war eine ernüchternde Erfahrung. «Die meisten Investoren interessieren sich für Fintech, Biotech, Medtech, Foodtech», sagt die Mitgründerin Catarina Dahlin. «Vielleicht hätten wir ‹Tech› auf die Pyjamas schreiben sollen. ‹Sleeptech›», sagt sie. Inzwischen verwendet Dagsmejan den Begriff in der Produktbeschreibung.
Eigentlich hat die in Zürich domizilierte Firma das nicht mehr nötig. Das Konzept ging nämlich auf: Seit 2018 sind die Pyjamas im Markt, der Umsatz ist stetig gewachsen. 2021 lag er bei mehr als 10 Millionen Franken. In einigen Jahren wurden schon Cash-Überschüsse erzielt. «Wir liegen in unserem Businessplan, wie er vor fünf Jahren entwickelt wurde. Auch bei den Geschäftszahlen», sagt Andreas Lenzhofer, der die Firma mit Dahlin gegründet hat und sich mit ihr die Chefrolle teilt. Inzwischen gehören auch Schlafsocken, Schlafmasken und Bettbezüge zum Programm – Hauptsache, Schlaf.
Doch die Resonanz an Investorenkonferenzen sei frustrierend gewesen, so Lenzhofer. Auch in der Textilbranche stiessen die Gründer auf Unverständnis. Dabei sei es nicht um Bedenken wegen Preis oder Marge gegangen. Vielmehr fehlte der Glaube, dass die Leute ein Interesse an Premium-Pyjamas haben könnten. Auch fehlte ein gewisses Momentum: «Letztes Jahr gab es einen Hype um alternative Nahrungsmittel. Wenn man einen veganen Burger hatte, wurde man mit Geld überschüttet. Für Pyjamas gab es nie einen Hype», sagt Dahlin.
Tatsächlich sind Startup-Geldgeber nicht immer gleich aufgeschlossen. «Bei gewissen Themen oder Trends verspüren Investoren vielleicht einen Druck, sich zu beteiligen», sagt Alexander Schatt, Startup-Experte bei der Wirtschaftsberatung EY Schweiz. Auf der anderen Seite blieben manche Investoren lieber in den Bereichen, in denen sie sich auskennen, etwa Pharma oder Fintech. In diesen Sektoren, genau wie unter anderem bei Informatik, Kommunikation, Biotech und Medizintechnik, bietet die Schweiz für Startups ideale Bedingungen. Dazu tragen auch die ETHs in Zürich und Lausanne sowie die Wirtschaftsförderung bei.
Nachtwäsche ist ein riskantes Geschäftsmodell
Umgerechnet 2,7 Milliarden Euro Risikokapital wurden vergangenes Jahr in der Schweiz in Jungunternehmen investiert, wie eine EY-Erhebung zeigt – der siebte Platz in Europa und für die Grösse des Landes bemerkenswert viel. Doch die Textilindustrie zählt nicht zu den favorisierten Branchen. «Sie hat die Schweizer Wirtschaft über viele Jahrzehnte wesentlich mitgeprägt. Aber heute bekundet sie Mühe, neue Geschäftsfelder zu entwickeln», sagt Schatt.
Tatsächlich variierten die Neuerungen bei Pyjamas in den vergangenen Jahrzehnten zwischen Streifen- und Punktmustern, abgewechselt durch Karos und Tiere, und das alles meist in Baumwolle. Die Pyjamabranche gilt als konservativ. «Vielleicht haben sie unser Konzept nicht verstanden», sagt Lenzhofer. «Oder sie haben verstanden, dass das ein riskantes Geschäftsmodell ist.»
Es gibt Kriterien, die Investoren bei jedem Startup beachten. Für den EY-Experten Schatt zählen drei Dinge dazu: Erstens, ob ein Jungunternehmen ein sehr grosses Bedürfnis abdeckt. Zweitens, wie disruptiv das Geschäftsmodell ist, wo es etwas anders macht – «das Disruptive muss im ganzen Auftritt spürbar sein». Drittens, wie leicht das Modell skalierbar ist, wie leicht es wachsen kann: «Wenn man weniger auf externe Partner, Rohmaterial und Lieferketten angewiesen ist, ist das ein Vorteil.»
Leider ist all das bei Textilien nicht so einfach. Um die neuartigen Pyjamas zu entwickeln, arbeiteten die Gründer Lenzhofer und Dahlin mit Forschern der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa) in St. Gallen, der Hochschule Luzern und der Universität Stockholm zusammen. Geprüft wurden 150 Faserkombinationen und Materialvarianten. Gefördert wurde das von Innosuisse, einer staatlichen Agentur für wissenschaftsbasierte Startups. Die Tests beanspruchten die ersten anderthalb Jahre nach der Unternehmensgründung im Jahr 2016.
Anschliessend half eine Kickstarter-Kampagne, um herauszufinden, was die Kunden mögen. Eine Erkenntnis war, dass bei dem hohen Preis die Verpackung wertiger sein muss, um den Anspruch als Premiumprodukt zu transportieren. Auch lernte man viel für die Produktion: welche Grössen mehrheitlich verlangt werden und welche Farben unter der Bettdecke funktionieren – Weiss zum Beispiel überhaupt nicht. Und acht von zehn Männern wollen Navy-Blue.
Zwei ungewöhnliche Gründer
Das konnte das Gründerpaar nicht wissen. Die 46-jährige Dahlin kommt aus dem Marketing und hat zwanzig Jahre für schwedische Unternehmen gearbeitet. Lenzhofer, mit 54 Jahren auch nicht im typischen Gründeralter, war zwei Jahrzehnte in der strategischen Unternehmensberatung tätig. Er sagt, er habe in jeder Branche gearbeitet – nur nicht in Textilien. «Wir waren bei der Gründung in der Mitte unseres Lebens und gaben dafür unsere Jobs auf. Aber wir waren überzeugt, dass es ein Bedürfnis im Markt gibt, das nicht befriedigt wird», sagt Dahlin.
Das ist nicht so leicht wie zum Beispiel bei einem Fintech, das eine digitale Anwendung mit nur geringen Zusatzkosten an immer mehr Kunden verkaufen kann. «Ich war überrascht, wie kompliziert die Textilbranche ist, vor allem die Entwicklung der Produktionskette», sagt Catarina Dahlin. «Es fühlte sich an wie der Bau einer Mondrakete.»
Dagsmejan braucht sowohl Hersteller der hochwertigen Faserstoffe, aus denen die Pyjamas gemacht sind, als auch Nähereien. Die Merinowolle kommt von zwei Farmen in Uruguay. Die Wolle und die Fasern fühlen sich verschieden an, je nachdem, ob die Saison warm oder kalt, nass oder trocken war. «Damit rechnet man nicht bei einer Firmengründung», sagt Andreas Lenzhofer.
Aber die Qualität muss immer stimmen. Alle Auftragsfertiger sind in Europa: Die Stoffe werden in der Schweiz, in Deutschland, Österreich und Litauen hergestellt; nähen lässt Dagsmejan in Rumänien und Portugal. Um die Produktion zu steigern, müssen wegen der ausgelasteten Kapazitäten oft neue Betriebe gefunden werden. Anfangs, als sich das Startup noch keinen Ruf erarbeitet hatte, musste die Herstellung komplett vorab bezahlt werden. Gleichzeitig macht Dagsmejan den Grossteil des Geschäfts im Winter und muss vorher die Lager füllen. All das macht die Finanzplanung schwieriger als bei anderen Jungunternehmen.
Mit On kommt die rettende Idee
Ohne neue Geldgeber konnte die Massenproduktion, die in der Textilbranche zur Senkung der Kosten entscheidend ist, nicht gestemmt werden. Aber woher nehmen? Der Ausweg: Die Gründer erinnerten sich an die vielleicht grösste Schweizer Startup-Erfolgsgeschichte der jüngsten Vergangenheit – On Running. Die Laufschuhhersteller aus Zürich hatten bewiesen, dass man als Neueinsteiger in der Bekleidungsbranche Erfolg haben kann. Auch gegen Platzhirsche wie Adidas, Asics und Nike, und das in einem scheinbar gesättigten Markt.
Lenzhofer und Dahlin sprachen im Jahr 2019 gezielt jene Investoren an, die am Anfang On unterstützt hatten – und sagten ihnen: «Was die mit Schuhen gemacht haben, machen wir mit Pyjamas.» Daraufhin stiegen sieben On-Geldgeber bei Dagsmejan ein, unter ihnen der Banker Peter Fanconi und der Unternehmer Beat Curti.
Es zeigt Wirkung, wenn die Erstrundeninvestoren einer Firma mit 5,7 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung sich für ein scheinbar schläfriges Thema wie Nachtwäsche interessieren. Inzwischen hat Dagsmejan drei Finanzierungsrunden hinter sich und hat insgesamt 4 Millionen Franken aufgenommen. Ein privater Investor aus dem Silicon Valley ist auch dabei. Die beiden Gründer halten noch eine «komfortable Mehrheit», was ihnen sehr wichtig ist. Selbst Banken schöpfen Vertrauen.
Die Schweiz tickt anders als Kalifornien
Aber was, wenn es On Running nicht gegeben hätte? «Dann wären wir wohl nach Kalifornien geflogen», sagt Lenzhofer. Dort tummeln sich nicht nur grundsätzlich viele Geldgeber, dort ist man auch mit dem Vertriebsmodell von Dagsmejan besser vertraut: Das Unternehmen verkauft in den allermeisten Fällen direkt an die Konsumenten. Der Vertrieb findet zu 85 Prozent über den eigenen Webshop statt und nicht über externe Händler.
In Nordamerika ist Direct-to-Consumer (D2C) ein etablierter Vertriebsweg. Zahlreiche Marken mit dieser Strategie sind im Silicon Valley gegründet worden. In Europa ist das Modell noch nicht so bekannt – sowohl bei Geldgebern als auch bei Konsumenten. In der Schweiz sind Dagsmejan-Pyjamas deshalb auch in den Regalen ausgewählter Detailhändler zu finden. Das gebe Glaubwürdigkeit und stärke die Marke, sagt Dahlin. Selbst zwei Pop-up-Stores hat man in Zürich aufgemacht, als Testballon. Liebe zu alten T-Shirts ist offenbar schwer zu überwinden.