Importierter Wasserstoff soll die Schweizer Energiewende retten Wie wird die Schweiz bis 2050 klimaneutral? Das funktioniert laut einer Studie dann, wenn in rauen Mengen Wasserstoff importiert werden kann. Ungemütlich wird es, sollte die Technologie nicht bereit und die Schweiz nur schlecht in Europas Strommarkt integriert sein.
Wie wird die Schweiz bis 2050 klimaneutral? Das funktioniert laut einer Studie dann, wenn in rauen Mengen Wasserstoff importiert werden kann. Ungemütlich wird es, sollte die Technologie nicht bereit und die Schweiz nur schlecht in Europas Strommarkt integriert sein.
Wie bekommt die Schweiz es hin, bis 2050 klimaneutral zu werden? Das kann nur gelingen, wenn der Verkehr und das Heizen weitgehend ohne fossile Energien auskommen. Und dies ist wiederum nur realistisch, wenn die Schweiz deutlich mehr Strom produziert als heute. Sollte 2050 kein Schweizer Kernkraftwerk mehr laufen, weil sie dannzumal 60 Jahre in Betrieb gewesen sein werden, klafft eine riesige Stromlücke, die es zu schliessen gilt.
Der Verband der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen (VSE) rechnet in einer neuen Studie mit einem Defizit von 37 bis 47 Terawattstunden, was bis zur Hälfte des für dannzumal geschätzten Verbrauchs von 80 bis 90 Terawattstunden entspricht. Heute liegt der Stromkonsum bei 62 Terawattstunden.
Enorme Stromlücke muss geschlossen werden
Der VSE hat zusammen mit der Empa nun verschiedene Szenarien durchgerechnet. Dabei geht es immer um die Frage, wie die Schweiz zu geringsten Kosten bis 2050 klimaneutral werden kann. Die Szenarien unterscheiden sich dabei in zwei Dimensionen: Wie weit ist die Schweiz in den europäischen Strommarkt integriert, und wie umfassend können neue Technologien wie alpine Solaranlagen, Windkraftwerke und Wasserstoff eingesetzt werden? Im offensiven Szenario werden dabei 1,3 Terawattstunden an Erneuerbaren pro Jahr zugebaut – hier müsste man somit enorm an Tempo zulegen. Den Szenarien lassen sich vier Hauptergebnisse entnehmen:
- Ohne importierten Wasserstoff geht es nicht. Wird Strom immer mehr mit Sonne und Wind hergestellt, braucht es fürs Back-up flexible Alternativen. Und diese liefern Gas- und Dampf-Kombikraftwerke, die mit Wasserstoff betrieben werden. Wasserstoffbetriebene Kraftwerke bilden neben der Wasserkraft und Solaranlagen neu den dritten Pfeiler der Schweizer Stromproduktion – Wasserstoff wird darüber hinaus für industrielle Prozesse eingesetzt. Die Schweiz würde den Wasserstoff fast vollständig importieren. Zwar gibt es auch hierzulande im Sommer einen Überschuss an Solarstrom. Doch um Anlagen für die Elektrolyse auszulasten, die mit Solar- oder Windstrom aus Wasser Wasserstoff gewinnen, reicht der Überschuss nicht aus.
- Die Stromimporte im Winter nehmen zu. Gegenwärtig importiert die Schweiz 3 Terawattstunden oder knapp 10 Prozent des Stromverbrauchs im Winter. Dieser Anteil dürfte laut der VSE-Studie im Jahr 2050 je nach Szenario 7 bis 9 Terawattstunden betragen. Deutlich grösser ist die Importabhängigkeit vorübergehend im Jahr 2040. Dannzumal ist nur noch Leibstadt in Betrieb, die Schweiz jedoch noch nicht an die europäische Wasserstoffwirtschaft angeschlossen. Im Winter würde man deshalb 27 Prozent des Stroms importieren, falls die Schweiz gut in den europäischen Markt integriert wäre. So stark auf Importe zu setzen, scheint indes gefährlich. Was ist, wenn es einen harten Winter gibt?
- Ohne Wasserstoff explodieren die Kosten – oder die Importe. Was passiert, wenn entgegen den Annahmen 2050 kein Wasserstoff durch Pipelines in die Schweiz kommt? In diesem Fall muss die Solarenergie noch viel stärker ausgebaut werden als im Basisszenario, sofern die Schweiz schlecht in den europäischen Strommarkt integriert ist. Die Nachfrage lässt sich in diesem Fall trotzdem nicht zu jedem Zeitpunkt decken, weshalb die Versorgung teilweise unterbrochen würde. Dieser Effekt treibt die Systemkosten um 7 Milliarden Franken pro Jahr in die Höhe. Sofern die Schweiz dagegen vollständig in den europäischen Strommarkt integriert ist, wird einfach Strom importiert, was das Zeug hält. Allzu realistisch scheint auch dies nicht.
- Neue AKW spielen eine untergeordnete Rolle. Das letzte konventionelle AKW (Leibstadt) wird laut den Annahmen im Jahr 2044 stillgelegt. Die Studie geht gleichzeitig davon aus, dass ab 2045 kleine modulare Reaktoren (Small Modular Reactors, SMR) installiert werden könnten, die je eine Leistung von 300 MW haben, was etwa einem Viertel von Leibstadt entspricht. Deren Verbreitung würden jedoch enge Grenzen gesetzt. Mit mehr Strom aus Solaranlagen schwankt die Produktion stärker. Ein Ausgleich über flexible, mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke, die tiefe Kapitalkosten haben, sei günstiger als über SMR mit hohen Kapitalkosten, heisst es auf Nachfrage.
Überraschend ist auf den ersten Blick, dass die Systemkosten, also die annualisierten Ausgaben für Investitionen, den Betrieb, Brennstoffkosten und Unterhalt nach der Umstellung geringer ausfallen als heute. Derzeit betragen sie 29 Milliarden Franken im Jahr, bei offenen Grenzen und offensivem Ausbau der Erneuerbaren gehen diese bis 2050 auf 24 Milliarden Franken zurück. Wenn man den notwendigen Ausbau des Netzes berücksichtigt, werden es noch 1 bis 2 Milliarden Franken mehr sein. Die Systemkosten wären aber immer noch niedriger als heute.
Auf den zweiten Blick ist dieses Resultat nicht ganz so erstaunlich. Denn obwohl die Bevölkerung von 8,7 auf 10,4 Millionen zunimmt und die Wirtschaft wächst, wird in der Studie davon ausgegangen, dass dank Effizienzmassnahmen der Basisverbrauch sogar leicht rückläufig ist. Zudem spart man 7 Milliarden Franken, die man nicht mehr für fossile Energieträger ausgeben muss. Insgesamt kostet der Umbau des Energiesystems bis 2050 rund 100 Milliarden Franken, wozu noch Netzkosten von mindestens 30 Milliarden kommen dürften.
Wasserstoffdiplomatie
Das Hauptszenario mit der enormen Einfuhr von 27 Terawattstunden Wasserstoff mutet optimistisch an. Besonders die Lücke, die sich um das Jahr 2040 auftut, ist riskant. Deutschland und andere Länder bauen bereits eine Wasserstoffdiplomatie auf, um dereinst von sonnenreichen Ländern Wasserstoff (H2) zu beziehen. Auch unser nördlicher Nachbar setzt also ganz auf Importe aus Ländern wie Marokko oder Spanien.
Um sich vor bösen Überraschungen zu schützen, kommt deshalb eine Option ins Spiel, die kürzlich die Nuclear Energy Agency (NEA) für die Schweiz durchgerechnet hat, die aber in der VSE-Studie nicht erwogen wird. Mit Abstand am günstigsten, um die Schweiz 2050 klimaneutral zu machen, wäre es laut NEA, wenn die beiden grossen Kernkraftwerke Leibstadt und Gösgen statt 60 sogar 80 Jahre am Netz blieben.
Auch neue Kernkraftwerke sollten nicht von vornherein abgeschrieben werden, auch wenn sie in der VSE-Studie eine untergeordnete Rolle spielen. So zeigt die Studie, dass sich damit die Importabhängigkeit im Winter deutlich verringern liesse, was aber im Vergleich zu Wasserstoff etwas höhere Gesamtkosten hätte. In der Schweiz dürfen gemäss Energiegesetz indes keine neuen AKW gebaut werden. Demgegenüber haben die Niederlande gerade angekündigt, bis 2035 zwei neue Reaktoren errichten zu wollen, damit die Stromproduktion 2040 CO2-neutral ist.
Auch in dieser Studie zeigt sich zudem, dass Isolation eine sehr teure Angelegenheit wäre, wobei es hier auch den Willen der EU braucht, eine Lösung zu finden. Solange die Schweiz vollständig in den europäischen Strommarkt integriert ist, muss sie ihre Kapazitäten nicht übermässig ausbauen. Und sie muss auch nicht Strom dann importieren, wenn er besonders teuer ist. Kann die Schweiz dagegen nur sehr begrenzt mit dem Ausland Stromhandel treiben, kostet dies pro Jahr rund 4 Milliarden Franken mehr als bei vollständiger Integration.