Gefragt und trotzdem entlassen Obschon die Arbeitsmarktchancen von über Fünfzigjährigen besser sind als früher, werden sie trotz aller Diversity- und Inklusion-Versprechen aktuell deutlich häufiger entlassen als Mitarbeitende anderer Altersgruppen. Das sind nicht die einzigen Widersprüche im Arbeitsmarkt.
Obschon die Arbeitsmarktchancen von über Fünfzigjährigen besser sind als früher, werden sie trotz aller Diversity- und Inklusion-Versprechen aktuell deutlich häufiger entlassen als Mitarbeitende anderer Altersgruppen. Das sind nicht die einzigen Widersprüche im Arbeitsmarkt.
«Die Arbeitsmarktchancen von über 50-Jährigen stehen gut», sagen Pascal Scheiwiller, CEO des Outplacement-Unternehmens von Rundstedt und Simon Wey, Chefökonom beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. «In der Schweiz sogar noch besser als im umliegenden Ausland», so Wey. «2021 war die Erwerbstätigenquote der über 50-Jährigen nur in Island, Schweden, Norwegen und Dänemark noch höher.» Pensionierungswelle und Fachkräftemangel sollten ihre Einstellungschancen eigentlich weiter verbessern. Doch die Fakten widersprechen dem. «Einmal aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden, müssen über 50-jährige oft empfindliche Lohneinbussen hinnehmen, selbst wenn sie wieder angestellt werden», sagt Wey. «Zudem brauchen sie länger als Menschen anderer Altersklassen, um eine neue Beschäftigung zu finden.» Deshalb seien jene Massnahmen die wichtigsten, die dafür zu sorgen, dass sie ihre Stelle nicht verlieren.
Einen Widerspruch zwischen ökonomischem Geschehen und tatsächlichem Verhalten der Arbeitgebenden ortet auch Pascal Scheiwiller: «Die demografische Alterung ist eines der grössten Schreckgespenster der Wirtschaft. Man sollte meinen, dass sich die Lage der Ü50 dadurch verbessert. Die Realität sieht in der Praxis jedoch anders aus. Noch immer klagen Ü50 über Schwierigkeiten und Benachteiligungen bei der Stellensuche.» Nicht selten sei das Alter ein explizites oder implizites Ausschlusskriterium. Auch das Konzept der Bogenkarriere habe sich noch nicht durchgesetzt.
Appell an Arbeitgebende
Das, obschon sich auch der Arbeitgeberverband zunehmend stark dafür macht, dass ältere Arbeitnehmende auf dem Stellenmarkt bessere Chancen bekommen. Der Appell scheint nicht zu fruchten. «Zwar weicht ihre Arbeitslosenquote nicht bedeutend vom Gesamtdurchschnitt ab, doch wird ihnen jetzt erstmals häufiger gekündigt», sagt Scheiwiller. In Zahlen heisst das:
Lag der Anteil der über 50-Jährigen letztes Jahr bei 31,5 Prozent der Arbeitsbevölkerung, bewegte sich deren Kündigungsquote in den letzten Jahren zwischen 30 und 32 Prozent. Im vergangenen Jahr stieg sie jedoch erstmals auf 39 Prozent an. «Das liegt massiv über dem Referenzwert und bedeutet, dass über 50-Jährige derzeit überdurchschnittlich häufig von Kündigungen betroffen sind.» Scheiwiller führt dieses Verhalten auf das «gute Marktumfeld für Stellensuchende» zurück. «Arbeitgebende machen sich keine grossen Sorgen um die Betroffenen und fürchten sich nicht mehr vor Reputationsschäden durch negative Presseberichterstattungen.»
Ältere verschmähen und sich von Wunschdenken leiten lassen: Noch verhalten sich viele Arbeitgebende so. Doch Wey sieht Dynamik im Thema: «Arbeitgebende sind zunehmend bereit, Konzessionen gegenüber Arbeitnehmenden zu machen. So ist es in vielen Branchen beispielsweise kaum mehr möglich, bei Stellenausschreibungen auf die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit zu verzichten.» Dass der Druck auf Unternehmen steigt von starren Vorstellungen abzurücken, glaubt auch Pascal Scheiwiller: «Es ist nur eine Frage der Zeit, beziehungsweise der Dringlichkeit. Nehmen die Probleme wegen unbesetzter Stellen zu, steigt die Toleranz und Flexibilität ruckartig.»
Fehlende Anpassungsfähigkeit durch Rekrutierungsfehler
Die Lücken zwischen aktuellen und künftig benötigten Fähigkeiten, die älteren Mitarbeitenden oft zum Vorwurf gemacht werden, rühren für Scheiwiller auch aus früheren Rekrutierungsfehlern. «Unternehmen betrachten bei Stellenbesetzungen fast nur die Passung der Fachkompetenzen und vernachlässigen alles andere .» Beispielsweise Soft Skills wie Agilität und Veränderungsbereitschaft. Das wirke sich dann später aus.
Nicht nur die «richtige» Rekrutierung, auch Weiterbildung trage dazu bei, Fähigkeitslücken zu schliessen. Dass ältere Mitarbeitende in Betrieben weniger Weiterbildung erhalten, kann Wey nicht bestätigen. «Die Bereitschaft ist da, in Mitarbeitende zu investieren. Weiterbildung muss aber einen Bezug zum ausgeübten Job haben.» Idealerweise gehe dem eine Standortbestimmung voraus, mit der Arbeitnehmende und Arbeitgebende die nächsten Schritte klären. Das nimmt auch Scheiwiller wahr, doch: «Es gibt nur wenige Betriebe, die gezielt und systematisch in die Entwicklung älterer Mitarbeitender investieren und dafür ein Budget haben.
Arbeitgebende und Arbeitnehmende wenig loyal
«Ältere Mitarbeitende sind zu teuer» – ein anderes, weitverbreitetes Vorurteil. Doch selbst wenn sie bereit sind, einen niedrigeren Lohn in Kauf zu nehmen, gelten sie als «unglaubwürdig». Ein Widerspruch? «Niemand verzichtet freiwillig gern auf einen Teil seines Lohns», sagt Scheiwiller. «Deshalb muss jemand glaubhaft machen, dass er eine Reduktion von über 20 Prozent in Kauf nimmt.» Unternehmen wüssten aber aus Erfahrung, dass solche Mitarbeitende oft nicht loyal seien und abspringen, sobald sie ein besseres Angebot erhalten, das näher zu ihrem vorherigen Salär liegt. «Deshalb funktioniert auch die Bogenkarriere nur bedingt.» Das liesse sich nur mit einer konsistenten Geschichte, persönlicher Glaubwürdigkeit und Vertrauen auflösen. Die Verantwortung, Arbeitnehmenden ein tieferes Salär schmackhaft zu machen, ortet Wey deshalb auch bei den Arbeitgebenden. «Firmen müssen älteren Mitarbeitenden alternative Arbeitsmodelle aufzeigen. Etwa solche zu einem etwas tieferen Pensum und etwas weniger Verantwortung.» Solche Beispiele gäbe es mehr, als man denke. «Sie sind einfach noch zu wenig sichtbar. Es ist aber wichtig, darüber zu sprechen, denn Ältere orientieren sich wie Jüngere an Rollenmodellen.»
Neue Rollenmodelle für Ältere
Auch oft gehört: «Sie bleiben ja nur noch wenige Jahre, wir wollen aber eine längere Zusammenarbeit.» Das, obschon Jüngere häufig nach nur zwei, drei Jahren wechseln. Wie erklärt sich diese kognitive Dissonanz? «Ja, das ist ein Widerspruch», bestätigt Scheiwiller. «Insbesondere, weil Arbeitgebende heute selbst keine längere Zusammenarbeit garantieren können.» Verbindlichkeit und Loyalität seien Werte, die an Bedeutung verlören. «Arbeitgebende und Arbeitnehmende verhalten sich aber gleichermassen. Firmen brauchen eine flexible Personalplanung, um der Veränderungsynamik der Märkte gerecht zu werden, während Arbeitskräfte möglichst grosse persönliche Freiheit wollen.» Ähnlich sieht das Wey: «Unternehmen gehen bei jüngeren Mitarbeitenden oft davon aus, dass sie länger bleiben. Sie übersehen dabei, dass Jüngere ihre Stelle viel öfter wechseln als früher.» Auch das Bild des «fixen Pensionsalters» sei in den Köpfen stark verankert: «Dass jemand mit Erreichen des Pensionsalters aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet, ist immer weniger der Fall. Viele der Ü65 sind weiterhin erwerbstätig.» Um diesen Mythos zu entkräften, helfe nur Sensibilisierung und das Aufzeigen gegenteiliger Beispiele.
Corinne Päper ist die Chefredaktorin des Fachmagazins für Personalverantwortliche, HR Today.