WC-König und Wohltäter – Heinrich Geberts Vermächtnis für die Schweiz Der Unternehmer Heinrich Gebert schuf einen Weltkonzern – und gründete die grösste private Innovationsstiftung des Landes. Sie beflügelt bis heute die Startup-Szene.
Der Unternehmer Heinrich Gebert schuf einen Weltkonzern – und gründete die grösste private Innovationsstiftung des Landes. Sie beflügelt bis heute die Startup-Szene.
Philanthropie sorgt in der Schweiz selten für Schlagzeilen, schon gar nicht im Boulevard. Aber für einmal ist alles anders: «WC-König verschenkt 220 Millionen», titelt der «Blick» 1998. Und tatsächlich ist die Ankündigung des Unternehmers Heinrich Gebert, eine Stiftung zur Förderung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes zu gründen, eine Sensation. Das hat mit der hohen Summe zu tun und damit, dass Gebert mit dem Geschäft am stillen Örtchen reich wurde. Aufsehenerregend ist aber auch, wie da einer offensiv-amerikanisch kommuniziert, dass er Gutes vorhat – anders als viele Mäzeninnen und Mäzene alter Schule, die geben und schweigen, weil man über Geld doch nicht redet.
Diese Zahlen wären ganz im Sinne des 2007 verstorbenen Stifters Heinrich Gebert, der einst aus einem Kleinbetrieb einen Weltkonzern formte und damit ein glänzendes Kapitel Schweizer Wirtschaftsgeschichte schrieb.
Revolution in der Nasszone
Die erste Generation schafft das Vermögen, die zweite verwaltet es, und die dritte studiert Kunstgeschichte. So lautet ein Bonmot in Unternehmerkreisen. Als der 35-jährige Heinrich Gebert 1952 in dritter Generation die familieneigene Spenglerei übernimmt, stehen die Vorzeichen tatsächlich schlecht. Zwar ist Gebert nicht Kunsthistoriker geworden, sondern Kaufmann. Aber die Geschäfte laufen so harzig, dass der 1874 in Rapperswil gegründete 35-Mann-Betrieb hoch verschuldet ist. Zusammen mit seinem Bruder Klaus versucht Heinrich, die Firma Geberit zu retten. Sie spezialisieren sich auf WC-Anlagen, sind innovativ und initiativ. Sie tüfteln mit neuen Materialien und Technologien, wagen die Expansion nach Deutschland, wo sie anfangs als die «kleinen Schweizer» belächelt werden – und haben rasch Erfolg.
Schon im Jahr der Übernahme entwickelt Geberit den ersten aus Kunststoff hergestellten weissen Spülkasten, der zum Megaseller wird: In der Nachkriegsmoderne sind Fortschritt und Design auch in den Nasszonen der vielen Neubauten gefragt, die nun dank dem Wirtschaftsaufschwung hochgezogen werden. In der Sanitärtechnik folgen weitere Revolutionen made in Rapperswil: die Vorwandinstallation, also die hinter der Wand versteckte Montage des Spülkastens und der Leitungen, etwas später dann ein Dusch-WC, eine berührungslose Urinalsteuerung mittels Infrarot oder eine Zwei-Mengen-Spültechnik, die den Wasserverbrauch dosiert.
Heinrich Gebert ist ein klassischer Patron, der trotz seinem Erfolg bescheiden bleibt und noch lange selbst im Volkswagen durch Europa fährt, um seine Spülkästen zu bewerben. Gegenüber den Mitarbeitenden zeigt er sich grosszügig, haut aber auch auf den Tisch, wenn ihm etwas nicht passt. So wird aus Geberit der Branchenprimus in Westeuropa, bald expandiert er mit seinen Produkten auch nach Übersee. Selbst tiefe Konjunktureinbrüche haben kaum Auswirkungen auf das Unternehmen – aufs WC muss man in guten wie in schlechten Zeiten. Und längst hat Geberit sein Angebot vergrössert und kümmert sich um den ganzen Wasserkreislauf in Gebäuden, also auch um die hinter Putz verlegten Installationssysteme für Frisch- und Abwasser. Dutzende Millionen Franken werden pro Jahr in Forschung und Entwicklung gesteckt. Wie wichtig Fortschritt für Heinrich Gebert ist, zeigt sich im Designwettbewerb von Geberit zum Thema «Visionen zum WC der Zukunft».
Als die Firma 1997 mangels familiärer Nachfolgeregelung verkauft wird, zählt sie weltweit 3400 Mitarbeitende und erzielt einen Umsatz von knapp einer Milliarde Franken. Der Erlös an die Eigentümer beträgt 1,8 Milliarden Franken. Die Gebrüder Gebert verteilen 30 Millionen als Geschenk an die Angestellten. Zwei Wochen nach dem Verkauf bedankt sich Heinrich Gebert bei seinem langjährigen Rechtsberater Peter Forstmoser, der den Deal über die Bühne gebracht hat. Und sagt zu ihm: «Das Geld brauche ich nicht, ich will etwas Gutes für die Schweiz tun.» Damit beginnt seine zweite Karriere als Stifter, für die er einen Grossteil seines Vermögens zur Verfügung stellt.
Im Tal der Tränen
Das Ziel der wenig später gegründeten, mit 220 Millionen Franken dotierten Gebert-Rüf-Stiftung (benannt nach dem Stifter und dessen erster Ehefrau) ist die «Stärkung des Wirtschafts- und Lebensstandorts Schweiz» durch wissenschaftliche Innovationen – hierzulande noch eine eher exotische Idee für eine gemeinnützige Stiftung. Bis heute stehen Talente aus der Wissenschaft im Zentrum der Förderaktivitäten. Junge Leute, die unkonventionelle Ideen haben und für deren Umsetzung Risikokapital benötigen. Man sei «im Tal der Tränen» tätig, heisst es im Leitbild der Stiftung, also dort, wo im Innovationsprozess eine finanzielle Lücke klafft zwischen guter Idee und Marktreife – und deshalb viele zukunftsträchtige Projekte scheitern.
Der unternehmerische Geist von Heinrich Gebert ist bis heute auch in der Organisationsstruktur sichtbar: Die Geschäftsstelle besteht aus nur vier Personen, der Stiftungsrat aus namhaften Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft, die in die Projektauswahl eingebunden sind. So haben sich früh geförderte Startups wie Versantis, Planted oder Climeworks zu erfolgreichen Unternehmen entwickelt. Der Stiftungsratspräsident und ETH-Professor Roland Siegwart sagt: «Als ich noch studiert habe, war die Förderung des Unternehmertums kein Thema an den Hochschulen. Das hat sich geändert – nicht zuletzt dank der Gebert-Rüf-Stiftung.»
Der Erfolg kostet. Rund 15 Millionen Franken investiert die Stiftung jährlich. Heinrich Geberts ursprüngliche Idee war, nur die Kapitalerträge zu investieren. Davon ist man inzwischen abgerückt, man setzt auf schnelle Wirkung, wie sie sich der Stifter erhoffte: «Impact now» heisst das Motto. Wenn eine Stiftung die Förderaktivitäten wegen Turbulenzen an den Finanzmärkten reduzieren oder gar aussetzen müsse, werde sie zu einem unzuverlässigen Partner, sagt der Stiftungsratspräsident Siegwart. 86 Millionen sind nach einem Vierteljahrhundert noch im Stiftungsvermögen und sollen unternehmerisch und wirksam eingesetzt werden. Zum Wohl der Schweiz. Oder wie es Heinrich Gebert einmal ausdrückte: «Das ist doch viel besser, als eine Jacht zu kaufen.»