«Es braucht viel Mut» – was Junge in den Führungsetagen verändern wollen Eine operative Geschäftsführerin, ein Mitglied der Geschäftsleitung und eine Leiterin Cybersecurity erzählen, wie sie es in die Position geschafft haben, wie sie ältere Kollegen führen und was sie anders machen als ihre Ex-Chefs.
Eine operative Geschäftsführerin, ein Mitglied der Geschäftsleitung und eine Leiterin Cybersecurity erzählen, wie sie es in die Position geschafft haben, wie sie ältere Kollegen führen und was sie anders machen als ihre Ex-Chefs.
Sabrina Storck war gerade einmal 28 Jahre alt, als sie ihre erste Führungsposition antrat. Als Leiterin einer Vertriebsorganisation bei SAP führte sie gleich ein Team von rund 40 Mitarbeitenden. «Es brauchte viel Mut, sich für die ausgeschriebene Führungsposition zu bewerben», erinnert sich Storck, die heute als Chief Operating Officer (COO) der Geschäftsleitung von SAP (Schweiz) angehört. Der HR-Manager war zunächst überrascht über ihr Interesse an der Stelle, traute Storck die Aufgabe aber zu und hatte seinerseits den Mut, ihr den Job zu übertragen.
Eine solche Besetzung ist in der Unternehmenswelt nach wie vor selten. Zum einen schrecken junge Führungskräfte davor zurück, sich als Kandidaten ins Spiel zu bringen, und zum anderen bevorzugen Entscheidungsträger erfahrene Managerinnen und Manager, weil sie kein Risiko eingehen wollen.
Fast nur Männer
Als Storck die Führungsposition antrat, waren ihre Kollegen auf Managementstufe fast ausschliesslich Männer, die auf eine langjährige Führungskarriere im Technologiekonzern zurückblicken. Dies hat sich teilweise geändert. Laut Storck werden Managementpositionen vermehrt auch von jungen, weiblichen Führungskräften besetzt. Es gebe manchmal noch Sprüche wegen ihres Alters, doch die Zusammenarbeit im Team funktioniere gut, sagt Storck. Sich selbst sieht sie als Teamplayer: «Man muss andere Meinungen hören wollen und auf dieser Basis entscheiden.» Anders als einige ihrer früheren Vorgesetzten betreibt sie auch kein Mikromanagement: «Ich frage meine Teammitglieder nie, ob sie eine Aufgabe erledigt haben.»
Storck, die heute als Chief Operating Officer rund 50 Mitarbeitende führt, trat gleich nach dem Abitur als Auszubildende ins Unternehmen ein und absolvierte berufsbegleitend ein Wirtschaftsstudium und machte einen MBA-Abschluss. Ihre fachliche Expertise und ihr breites Netzwerk, das sie sich in den ersten knapp zehn Berufsjahren aufgebaut habe, hätten ihr geholfen, ihre erste Führungsposition zu bekommen. Heute, fünf Jahre später, will sie auch ein Vorbild für andere junge Führungskräfte sein.
Erfahrungen sammelt nur, wer eine Chance bekommt
Es müsse selbstverständlicher werden, dass junge Talente Führungsrollen übernähmen. «Erfahrungen kann man nur sammeln, wenn einem jemand die Chance gibt», sagt Storck. Möglich sei es etwa, den Jungen zuerst eine Projektleitung zu übertragen, um ihre Führungsqualitäten zu testen. Bewährt habe sich auch das Mentoring durch erfahrene Managerinnen und Manager sowie eine Übergangsperiode nach der Einstellung, während der die jungen Führungskräfte den Job gemeinsam mit den bisherigen Vorgesetzten ausübten und von ihnen lernten.
Für Storck, die ihre Erfahrungen im Rahmen von Mentorings weitergibt, geht es bei der beruflichen Entwicklung grundsätzlich darum, sich zu fragen, in welcher Rolle man mit seinen Fähigkeiten den grössten Wert für das Unternehmen bietet. So mancher Berufseinsteiger, der eine Führungsposition anstrebe, sei von seinen Fähigkeiten und seinem Charakter her viel eher für eine andere Rolle geeignet und müsste sich als Führungskraft regelrecht verbiegen und verstellen.
In hektischen Zeiten auch zusammen lachen
William White, der Leiter Asset- und Arealmanagement und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Immobiliengesellschaft Cham Group, gibt seinen Mitarbeitenden viel Freiraum, damit sie ihre Aufgaben selbständig erledigen. Für den 35-Jährigen ist es wichtig, dass man im Team auch in hektischen Zeiten zusammen lachen kann. «Ich will nicht in meiner Rolle, sondern als Person wahrgenommen werden», sagt er. In seinem Team würden sich alle persönlich kennen, und man wisse, wie es den anderen gehe.
Ein guter Chef muss aus seiner Sicht offen sein, auf die Leute eingehen, die Mitarbeitenden stützen sowie die Verantwortung für die Teamleistung übernehmen. Auch das Einfordern von Feedback gehöre dazu. White erwartet von den Mitarbeitenden, dass sie ihm regelmässig Feedback geben – auch zu seinem Führungsverhalten: «Das ist Teil unseres Vertrauensverhältnisses und unserer Zusammenarbeit auf Augenhöhe.»
In Whites Team war auch ein Angestellter, der nach 48-jähriger Betriebszugehörigkeit kurz vor der Pensionierung stand. Nachdem die Cham Group das Papiergeschäft aufgegeben hatte, verblieb der Mitarbeiter als einer der wenigen im Unternehmen und war seither als Facility-Manager tätig. «Für mich war es nicht einfach der Hauswart, sondern ein Know-how-Träger – jemand, der sehr viel über die Geschichte des Unternehmens und das Areal wusste», sagt White. Er habe von diesem Angestellten viel gelernt.
Zwischen der Führung von jüngeren und älteren Kolleginnen und Kollegen sieht White keine bedeutenden Unterschiede: «Unabhängig von ihrem Alter wollen Menschen wertgeschätzt werden und morgens gerne zur Arbeit kommen.» Er habe allerdings festgestellt, dass Ältere vermehrt einen längeren Planungshorizont und Jüngere eher das Spontane schätzten.
Schlaflose Nächte
So viel Freude ihm die Führungstätigkeit auch bereite, sie bringe auch schlaflose Nächte mit sich, wenn er zum Beispiel nicht wisse, wie er ein Problem lösen könne. Ausserdem müsse man in der «Sandwich-Position» zwischen Geschäftsleitung und Team-Mitarbeitenden manchmal auch Entscheide vertreten, hinter denen man nicht stehen könne. Wer Führungsverantwortung übernehmen wolle, solle sich diese Aspekte ebenfalls vor Augen führen, sagt White. «Man muss sich gut überlegen, ob man bereit ist, die Verantwortung zu tragen.»
White hat das Immobiliengeschäft von der Pike auf gelernt und kann deshalb seinen Mitarbeitenden auch im Tagesgeschäft den einen oder anderen Tipp geben. Schon nach wenigen Jahren im Beruf hatte er die Möglichkeit erhalten, die Teamleitung zu übernehmen. Seither hat er sich als Vorgesetzter weiterentwickelt und beispielsweise gelernt, die Mitarbeitenden stärker in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Dass er einmal Führungskraft werden wollte, wusste der Immobilienspezialist schon in frühen Jahren. «Ich habe mich immer als jemanden gesehen, der einem Team vorsteht und den Weg vorgibt.»
Eine Managerin, die ihren Purpose lebt
«Es war nie mein erklärtes Ziel, Managerin zu werden», sagt dagegen die Cybersecurity-Spezialistin Alina Matyukhina. Die 28-Jährige leitet bei Smart Infrastructure von Zug aus ein globales Team, das für die Cybersicherheit in der Gebäudetechnik zuständig ist. «Meine Motivation und mein Antrieb ist es, die Welt zu einem sichereren Ort zu machen.»
Alle 39 Sekunden werde weltweit ein Cyberangriff verübt, und zusehends griffen Hacker kritische Infrastrukturen wie Spitäler oder Energieversorger an. «Menschen müssen verstehen, was Cybersicherheit bedeutet und wie man sich vor Attacken schützt», beschreibt Matyukhina ihre Mission. Die Leitungsposition bei Siemens (Schweiz) bietet ihr die Möglichkeit, ihren Purpose zu leben, ihr Wissen zu teilen sowie mehr Bewusstsein für die Cyber-Problematik zu schaffen.
«Ich wollte diese Position aber auch, weil sie meinem Charakter entspricht», sagt die Informatikerin mit Doktortitel, «ich bin offen und direkt, meine grösste Stärke ist die Kommunikation.» Ausserdem gefalle ihr das Multitasking und dass sie in ihrer Rolle jeden Tag neue Aufgaben anpacken könne.
Als die gebürtige Ukrainerin vor vier Jahren zum Unternehmen stiess, musste sie zunächst mit ihrer Durchsetzungskraft an Sitzungen überzeugen und ihre Fachexpertise unter Beweis stellen. Für Matyukhina war dies nicht ungewohnt; bereits während ihres Studiums der Computerwissenschaften hatte sie als einzige Frau in der Klasse gelernt, sich auf ihre Expertise zu fokussieren. Ihr Fachwissen hat ihr auch beim Industrieunternehmen Türen geöffnet.
«Ohne die Erfahrung der Älteren läuft nichts»
Den Umgang mit den meist langjährigen Fachexperten sowie älteren Mentoren empfindet sie als inspirierend; dank ihnen sei sie in ihrer Rolle stark gewachsen. «In den letzten Jahren haben viele Junge Leadership-Funktionen übernommen, aber wir müssen es zusammen machen, ohne die Erfahrung der Älteren läuft nichts», sagt sie. Als Chefin gibt sie ihren Mitarbeitenden Freiheiten und will sie nicht kontrollieren. Ihre Aufgabe als Führungskraft sieht sie vor allem auch darin, auf die Angestellten einzugehen und sie dabei zu unterstützen, ihre Stärken zu entdecken und sich weiterzuentwickeln. Ausserdem will sie darauf hinwirken, dass Ängste rund um Cybersicherheit abgebaut werden.
Ihre Passion wird künftig weiter an Bedeutung gewinnen. In den nächsten zwei Jahren soll ihre Abteilung markant wachsen. Matyukhina rekrutiert derzeit weitere Mitarbeitende: «Es ist sehr schwierig, Spezialisten zu finden, vor allem Frauen.» Sie besucht Universitäten und spricht mit Studierenden, um ihnen mehr Einblicke in das Berufsfeld zu geben. Matyukhina, die ein rotes Kleid trägt, will dabei auch mit dem Klischee brechen, dass ein Cybersecurity-Spezialist irgendwo einsam im schwarzen Hoodie vor dem Computer sitzt.
Befördert wird, wer fachlich brilliert
Junge Führungskräfte wie Alina Matyukhina, William White und Sabrina Storck sind bereit, Führungsverantwortung zu übernehmen. Auf der anderen Seite gibt es Firmen, die bei Rekrutierungen vor allem auf das Potenzial einer Person schauen und sich nicht nur auf die Berufsjahre fokussieren. Mit Coaching, Mentoring, Sparring-Partner-Systemen sowie Leadership-Kursen können Unternehmen Jungtalente unterstützen, so dass sich diese rasch in ihrer Rolle entwickeln.
In vielen Unternehmen läuft es allerdings anders ab. Es würden nach wie vor häufig langjährige Mitarbeitende mit einer Beförderung belohnt, die fachlich sehr gute Leistungen erbrächten, sagt Heike Bruch, Professorin für Leadership und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen. Doch weder die lange Betriebszugehörigkeit noch die ausgezeichnete Fachexpertise einer Person sagten etwas über ihr Führungspotenzial aus. Oft spiele widersinnigerweise auch immer noch eine Rolle, dass man älteren oder erfahreneren Personen eher zutraue, eine gute Führungskraft zu sein, als jüngeren.
Es fehlt an Nachwuchs im Management
Die Firmen tun sich mit dieser Einstellung keinen Gefallen. Der Fachkräftemangel im Kaderbereich dürfte sich weiter verschärfen, wenn die Babyboomer im grossen Stil in Pension gehen. «Ein grosses Umdenken findet bei vielen Unternehmen leider noch nicht statt», sagt Bruch. Es fehle aber nicht nur der Mut bei den Verantwortlichen in den Firmen. Junge seien mitunter auch weniger an einer Führungsrolle interessiert. Gründe seien unter anderem, dass die Work-Life-Balance wichtiger geworden sei, der Status als weniger erstrebenswert gelte, bei vielen aber auch eine Abkehr von einer klassischen Performance-Kultur erfolge.
Unternehmen müssten viel in ihre Firmenkultur investieren, um in Zukunft genügend gute Managerinnen und Manager in ihren Reihen zu haben. Das bietet laut Bruch eine grosse Chance für ein neues Führungsverständnis. An die Stelle von hierarchischen Strukturen, engen Vorgaben und einer Steuerung der Menschen über Leistungsbeurteilungen träten vermehrt sinnorientierte Führung, Kommunikation auf Augenhöhe und selbständiges Arbeiten im Team.
Das neue Führungsverständnis verkörpern Junge aber nicht besser als Ältere. «Bei Beförderungen und Rekrutierungen sollte das Alter keine Rolle spielen», sagt Bruch. Entscheidend sei das Talent oder das Potenzial – vor allem aber müssten die Personen zwei wichtige Voraussetzungen mitbringen: die Freude am Führen und ein Interesse an Menschen.