Platzt wegen der Euphorie um die künstliche Intelligenz die nächste Spekulationsblase? Der Boom bei Nvidia-Aktien gibt zu denken Die Begeisterung der Investoren für KI ist gross. Die spektakulären Avancen bei einzelnen Tech-Werten sind aber trügerisch, Anzeichen einer Blase verdichten sich.

Die Begeisterung der Investoren für KI ist gross. Die spektakulären Avancen bei einzelnen Tech-Werten sind aber trügerisch, Anzeichen einer Blase verdichten sich.

 

Nur leistungsfähige Prozessoren wie jene von Nvidia können die grossen Datenmengen für KI-Anwendungen genug schnell verarbeiten. Bild: unsplash

Anleger lieben Nvidia. Nach Vorlage der Quartalszahlen am Donnerstag stieg der Aktienkurs um fast ein Viertel und hat Nvidia zu einem Tech-Konzern mit einer Börsenkapitalisierung von 950 Milliarden Dollar gemacht. Damit könnte der Chipentwickler bald in den Kreis von Mega-Caps wie Apple, Alphabet, Amazon oder Microsoft vordringen. Diese bringen mehr als 1 Billion Dollar auf die Waage. Nvidia wäre der erste Chiphersteller, der in diesen Klub aufgenommen würde.

Der in Santa Clara, Kalifornien, beheimatete Konzern ist aber kein herkömmlicher Anbieter von Halbleitern wie Intel oder Qualcomm. Bei diesen harzt das Geschäft derzeit. Nvidia entwickelt spezielle Hochleistungschips, die nötig sind, um rechenintensive Operationen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) durchzuführen. Nvidia steht stellvertretend für den Erfolg von Anwendungen, die KI in ihr Zentrum stellen.

Ungebremster KI-Hype

Spezielle Prozessoren für Data-Center mit Namen wie H100, Grace CPU, Grace Hopper Superchip, NV-Link, Quantum 400 Infiniband oder Bluefield-3 DPU würden in einen Science-Fiction-Roman passen – sie sind aber schon heute verfügbar und finden reissenden Absatz. Nvidia übertraf die von Marktbeobachtern erwarteten Verkaufszahlen jüngst deutlich. Die eigene Umsatzprognose für das laufende Quartal hat das Unternehmen übertroffen und von 7 auf 11 Milliarden Dollar angehoben.

Der Aktienkurs erreichte diese Woche ein Allzeithoch und zog den gesamten US-Tech-Index Nasdaq 100 mit sich nach oben. Die KI-Begeisterung ist auch nach Europa und in die Schweiz übergeschwappt. Hier sind vor allem die Aktien von Technikzulieferern für die Chipindustrie wie VAT Group oder Comet gefragt. Die Sorgen um den US-Schuldenstreit sind wie verflogen, obwohl es nur noch wenige Tage bis zum 1. Juni sind, an dem den USA der Zahlungsausfall droht.

 

Die Angst der Anleger, den KI-Zug zu verpassen, ist grösser. Und sie ist berechtigt. Unternehmen machen sich schneller als erwartet daran, auf den Endverbraucher ausgerichtete KI-Anwendungen wie Chat-GPT oder Midjourney in ihre IT-Plattformen einzubauen. Der Nvidia-Chef Jensen Huang sagt: «Die Unternehmen versuchen, generative KI in jedes Produkt, jede Dienstleistung und jeden Geschäftsprozess zu integrieren.» Damit KI-basierte Software reibungsfrei funktionieren kann, braucht es enorme Rechenleistung. Diese können derzeit lediglich Nvidia-Chips erbringen. Data-Center-Infrastruktur wird deshalb auf schnellere Prozessoren umgerüstet, zulasten herkömmlicher Technik.

Die Geschwindigkeit, mit der die KI-Technologie übernommen wird, hat viele überrascht. Die Adoption von Chat-GPT erfolgte innerhalb von wenigen Monaten und damit um ein Vielfaches schneller als etwa das Smartphone, das Jahre brauchte, um sich durchzusetzen. Gemäss den Finanzanalytikern von Morgan Stanley gebe es keinen historischen Präzedenzfall für den Nachfragesprung, den Nvidia gerade erlebe.

Andere Anbieter von Data-Center-Technik wie AMD, Marvell oder Intel profitieren ebenfalls, doch nicht in einem Ausmass wie Nvidia. Auch die grossen IT-Konzerne wie Cisco, Dell oder Microsoft sind damit beschäftigt, KI-Fähigkeiten in ihre Infrastruktur zu integrieren. Doch es gibt keine Hinweise darauf, dass sich diese Investitionen auch für sie finanziell lohnen. Zunächst müssen sie sich ein kostspieliges Wettrüsten liefern, von dem hauptsächlich Nvidia profitiert.

Bald Zeit für eine Korrektur

Doch der beispiellose Kursanstieg der Nvidia-Aktien wirf auch Fragen nach einer möglichen Blase auf. Der Blick in die Fundamentaldaten lässt ein mulmiges Gefühl aufkommen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von Nvidia – ein Mass, um den relativen Preis von Aktien zu bestimmen – schoss in dieser Woche zeitweise auf 219 hoch. Das entspricht etwa dem Zehnfachen der durchschnittlichen Bewertung einer US-Aktie, die im breiten Index S&P 500 enthalten ist. Apple hat zum Vergleich ein KGV von 29 und gilt als eher teuer.

Gemäss der Analytikerin Ipek Ozkardeskaya von Swissquote stelle niemand das Potenzial der künstlichen Intelligenz infrage, doch schienen die Bewertungen überzogen. «Es könnte bald Zeit für eine Korrektur sein», sagt sie. Deutlicher wird der Tech-Experte Fred Hickey in einem Interview des Finanzportals «The Market»: Der ganze Hype sei bloss eine Rechtfertigung, um grotesk hohe Bewertungen für eine kleine Anzahl von Tech-Aktien zu bezahlen. «In meiner Karriere habe ich noch nie einen Chipkonzern mit einer derart hohen Bewertung gesehen», sagt er. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Kurs die guten Nachrichten weitgehend einpreise.

Die UBS mahnt generell bei Tech-Werten zur Vorsicht. Denn nicht nur Nvidia hat dieses Jahr einen Lauf, auch andere populäre Werte wie Meta, Tesla oder Alphabet haben sich stark verteuert. Global sind Technologie-Aktien um ein Viertel teurer bewertet als im zehnjährigen Durchschnitt. Hinzu kommt, dass die Marktbreite abgenommen hat. Das heisst, die Avancen eines ganzen Indizes werden nur von einigen wenigen Titeln wie Apple, Microsoft oder eben Nvidia getrieben. Geht diesen die Luft aus, wird das Rally schnell ins Stocken geraten.

Eflamm Mordrelle, «Neue Zürcher Zeitung»

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