Die neuen Chamäleons: wie Führungskräfte ihren Stil der Umgebung anpassen Effizienz steigern, Kreativität fördern, Perfektion hervorbringen: Führungskräfte sehen sich mit widersprüchlichen Zielvorgaben konfrontiert. So auch bei der Integration der Credit Suisse in die neue UBS.
Effizienz steigern, Kreativität fördern, Perfektion hervorbringen: Führungskräfte sehen sich mit widersprüchlichen Zielvorgaben konfrontiert. So auch bei der Integration der Credit Suisse in die neue UBS.
Reed Hastings, Gründer und CEO von Netflix, ist einst mit seinem ersten Startup gescheitert. Im Buch «No Rules Rules» beschreibt er, wie sein Mikromanagement dazu führte, dass sein Unternehmen Pure Software zwar rentabler wurde, allerdings mit fatalen Nebenwirkungen: «Verfahren und Kontrollmechanismen wurden ein fester Bestandteil unserer Arbeit, was zur Folge hatte, dass sich viele unangepasste, kreative Personen erstickt fühlten und sich einen anderen Job suchten.» Die Softwarefirma verpasste die Fähigkeit, sich an veränderte technische Rahmenbedingungen und Kundenbedürfnisse anzupassen. 1997 verkaufte Hastings die Firma an einen Konkurrenten.
Bei Netflix etabliert Hastings eine offene Kultur
Daraufhin gründete er den DVD-Versandhandel und späteren Streaming-Dienstleister Netflix und gelobte, seine Managementfehler nicht zu wiederholen. Was den Erfolg von Netflix ausmacht, fasst Hastings in seinem Buch folgendermassen zusammen: «. . . eine Kultur, die Menschen über Prozesse stellt, die Innovation Vorrang vor Effizienz gibt und weitgehend auf Kontrollmechanismen verzichtet.» Er sorgte in seiner neuen Firma für eine offene Kultur, die Talente anzieht, welche wiederum Spitzenleistungen erzielen. Wer nicht zu den Top-Performern zählt, fliegt raus. Mitarbeiter sollen losgelöst von Kontrolle und Regeln Entscheide treffen können. Das Ferienreglement wird kurzerhand wieder abgeschafft. Stattdessen gilt der Grundsatz: «Nimm mal frei.»
Auch bei Apple hat 2011 mit Tim Cook als CEO des Technologiekonzerns ein neuer Managementstil Einzug gehalten. Insgesamt steht Cook für Eigenschaften, die dem schillernden und tyrannischen Vorgänger Steve Jobs fehlten: Bescheidenheit, Zurückhaltung und der Wille zur Zusammenarbeit. Im Gegensatz zu Jobs, der stets das Rampenlicht gesucht hat, ist Cook mehr der Coach und Koordinator, der sich um sämtliche Kleinarbeit, um Organisation und Krisenbewältigung kümmert. Der lange Zeit unterschätzte Apple-Chef war damit erfolgreich.
Steve Jobs Genialität und seine prägende Gründer- und Führungsrolle sind dabei unbestritten: Für den Aufbau des Unternehmens brauchte es einen Visionär, der Marktbedürfnisse erkannte und Produkte schuf, für die kaum jemand ausser ihm eine Nachfrage ausmachte.
Tim Cook, der bessere Steve Jobs
Doch Tim Cooks Führungsstil passte wohl besser zum neuen Reifegrad des Konzerns. Das einstige Startup war bei seinem Amtsantritt längst zu einem etablierten Unternehmen herangereift, das zwar keine Revolutionen mehr hervorbrachte, aber durch inkrementelle Innovationen zu überzeugen vermochte. Dafür brauchte es einen teamorientierten Lenker und nicht einen genialen Charismatiker, der mit seinem herrischen Führungsstil die Apple-Crew vor sich hertrieb.
Gibt es also so etwas wie einen situativen Führungsstil, der sich je nach Entwicklungsstadium des Unternehmens als erfolgversprechend erweist? Wie stark müssen sich Führungskräfte an die jeweilige Situation anpassen? Und wann ist welche Führung zum Scheitern verurteilt?
Situative Führung ist für viele Manager ein Fremdwort
«Dass Führungskräfte die jeweilige Situation genau analysieren und ihren Führungsstil anpassen, ist matchentscheidend», sagt Stephanie Kaudela-Baum. Die Professorin der Hochschule Luzern forscht, wie sich wissensintensive Unternehmen erfolgreich führen lassen. Führungskräfte müssten den Kontext analysieren sowie gut zuhören können, um zu verstehen, welche Vorgehensweise zielführend und effektiv sei. Doch die meisten Führungskräfte könnten mit situativer Führung kaum etwas anfangen. Sie sei zeitintensiv und erfordere die Bereitschaft, sich auf unterschiedliche Kontexte einzulassen. Häufig gehe dies in der Hektik des Alltags unter.
Dass es problematisch ist, den jeweiligen Kontext ausser acht zu lassen, erläutert die Professorin an einem Beispiel: «Wenn ich als Führungskraft eine Ideenplattform im Intranet eröffne, um die Kreativität zu fördern, und gleichzeitig zähle, wie viele Ideen jeder Mitarbeiter pro Monat hervorgebracht hat, dann ist das wenig zielführend. Mit dem Controlling-Mechanismus wird das Konzept des Ideenmanagements untergraben.» Laut Kaudela zeugt ein solches Vorgehen von einer gewissen Hilflosigkeit, Kreativität adäquat zu bewerten und Innovationsleistungen zu beurteilen. Dies führe dazu, dass Führungskräfte auch im Innovationsbereich in klassischen Controlling-Mechanismen Rückhalt suchten, die wiederum Innovation erstickten.
Überforderte Führungskräfte
Die Anforderungen an Führungskräfte seien heutzutage enorm, sagt Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen. Sie sollten Innovation sowie disruptive Ideen fördern, die Effizienz steigern, sich um knappe Fachkräfte bemühen, die Anforderungen der Generation Z erfüllen, Verantwortung an Teams abtreten und gleichzeitig für das Ergebnis geradestehen. Dies führe zu einer Überforderung bis hin zur Lähmung der Führungskraft. «Aufgrund des komplexen Umfeldes erleben wir eine Renaissance der situativen Führung», so ist Bruch überzeugt. Die HSG-Professorin spricht allerdings nicht von situativer, sondern von inspirierend-multimodaler Führung.
Das Konzept unterscheidet hierbei zwischen einem Explorations- und einem Umsetzungsmodus. Während bei der Umsetzung Perfektion, Effizienz und Präzision gefragt sind, fördert der Explorationsmodus Experimentierfreude und Innovationsgeist. Führungskräfte und Mitarbeiter sollten sich stets bewusst sein, welche Arbeitsweise eine Aufgabe verlangt und wie sie in welchem Modus arbeiten. «So können sie mit paradoxen Anforderungen bewusst und fokussiert umgehen», sagt Bruch.
Porsche macht es vor
Die Professorin und ihr Forschungsteam haben das Konzept zusammen mit Porsche Motorsport entwickelt. Wie jedes Unternehmen sieht sich der Sportwagenhersteller mit verschiedenen Führungsstilen konfrontiert: So herrscht beispielsweise in der Forschungsabteilung von Porsche Motorsport der Explorationsmodus vor, der eine «empowernde» Führung erfordert: Den Mitarbeitern sollen Freiräume gewährt werden. Sie sollen zur Selbstorganisation und Selbstführung ermächtigt werden. Anders präsentiert sich die Situation auf der Rennstrecke: Hier gibt es keine Zeit für Experimente und Diskussionen, die Routine ist eingeübt. Fehler werden um jeden Preis vermieden. Beim Boxenstopp wird der Takt angegeben. Geführt wird direktiv bzw. top-down, die Mitarbeiter arbeiten mit höchster Disziplin auf ein Ergebnis hin.
«In beiden Modi gibt es allerdings allgemeingültige Prinzipien», führt Bruch aus. Führung müsse stets wertschätzend sowie inspirierend sein, und Kaderkräfte sollten Vorbilder sein. Egal in welchem Modus, gelte es stets, den Sinn zu erläutern, den Beitrag zum Gesamterfolg aufzuzeigen und die Mitarbeiter zu inspirieren. Meist seien auch innerhalb derselben Abteilung beide Führungsformen gefragt, also sowohl eine Förderung von Explorationsgeist als auch von Effizienz und Perfektion, wenn auch in unterschiedlicher Dosierung. So gibt es auch auf der Rennstrecke Testphasen – wenn beispielsweise eine neue Technologie eingeführt wird. Umgekehrt sind in der Forschungsabteilung Umsetzungsfähigkeiten gefragt, wenn ein Rennauto fristgerecht fertiggestellt werden muss.
Eine Führungskraft sollte demnach in der Lage sein, sowohl ergebnisorientiert als auch «empowernd» zu führen. Der Führungsstil wie auch die Art der Zusammenarbeit variieren in Abhängigkeit vom jeweiligen Modus. Inspirierend-multimodale Führung wirkt sich laut Bruch sowohl auf die Leistung und Gesundheit der Mitarbeitenden als auch auf die Arbeitgeberattraktivität positiv aus. Dies zeigten empirische Erhebungen in mehr als hundert Unternehmen mit 30 000 befragten Personen.
Welchen Führungsstil braucht die neue Grossbank UBS-Credit-Suisse?
Wie die Führung der spezifischen Unternehmenssituation angepasst werden sollte, lässt sich auch am Beispiel der Post-Merger-Integration der Credit Suisse in die UBS veranschaulichen: Nach einer eher direktiv geprägten Phase, während deren grundlegende Entscheide getroffen werden mussten (wie sieht die neue Führungsmannschaft aus, welche Unternehmensteile werden abgespalten, welche werden weitergeführt, wie präsentiert sich die neue Firmenstruktur), gilt es, die Mitarbeiter an Bord zu holen.
Dazu braucht es einen partizipativen, «empowernden» Führungsstil. Führungskräfte und Teams, die über zentrales Kunden- und Markt-Know-how verfügen, müssen eingebunden werden. «Gelingt dies nicht, gehen der Organisation wertvolle Kontaktnetze und wichtiges Wissen verloren mit fatalen Folgen für die künftige Grossorganisation», sagt die Professorin Kaudela. Damit die Integration erfolgreich sei, müsse das Führungsteam der UBS auch das Fachwissen der Credit Suisse abholen, fähige Mitarbeiter zu Führungskräften befördern und Fachexperten einbeziehen.
Eine wertschätzende, klare Kommunikation sei zentral, um Mitarbeiter im neuen Gebilde zu integrieren und zu motivieren, davon ist die Strategie- und Kommunikationsberaterin Christiane Döhler, Inhaberin von Doehler Communications, überzeugt. Gleichzeitig müsse verhindert werden, dass eine Zweiklassengesellschaft entstehe.
Auch dort, wo niemand ins Boot geholt werden kann, weil die entsprechende Einheit abgewickelt wird, sollte die Führungsmannschaft klar kommunizieren. Denn Mitarbeiter können auch mit Unsicherheit und schlechten Nachrichten umgehen, aber nicht mit der Vorspiegelung falscher Tatsachen.
Parallelen zur Swissair-Übernahme durch die Crossair
Wie problematisch das Aufeinanderstossen zweier unterschiedlicher Kulturen sein kann, zeigen unzählige problematische Zusammenschlüsse und Fusionsprojekte. Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, erinnert an die Übernahme der Swissair durch die Tochter Crossair nach dem Grounding im Jahr 2001. «Da sassen dann plötzlich Piloten miteinander im Cockpit, die rein gar nichts voneinander hielten», sagt Grote. Die Crossair hatte das Image, unerfahrene und schlechtbezahlte Piloten zu beschäftigen, während die Swissair-Mannschaft als arrogant, überheblich und überbezahlt galt. Es kam zu Pannen und Reibungen, was der neuen Gruppe in der Startphase geschadet hat.
Dies gilt es bei der neuen Grossbank zu verhindern. Gefordert ist eine Führungsmannschaft, die sich der kritischen Situation bewusst ist und ihren Führungsstil situativ entsprechend ausrichtet. Die Leitung des Grosskonzerns muss in der Lage sein, auch den übernommenen Mitarbeitern Perspektiven aufzuzeigen und ein Wir-Gefühl zu kreieren.
Der Reifegrad des Unternehmens ist prägend für den Führungsstil
Startup: In der Gründerphase dominiert der explorative Modus. Erforderlich ist ein Umfeld, in dem Mitarbeiter sich einbringen und ihre Ideen teilen sowie auch Fehler machen können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Mitarbeiter sollten ihr kreatives Potenzial entfalten.
Markteinführung und Wachstumsphase: Der ergebnisorientierte Führungsstil gewinnt an Bedeutung. Es gilt einen Businessplan zu erstellen, diesen zu testen und entsprechend Anpassungen vorzunehmen. Ist die Markteinführung gelungen, geht es darum, geeignete Organisationsstrukturen einzuführen, um weiter zu wachsen. Die Verantwortung wird vermehrt an Abteilungen oder Länderverantwortliche übertragen. Managementfähigkeiten bzw. Umsetzungskompetenzen wie Koordinieren, Planen, Delegieren und Kontrolle werden wichtiger. Die Herausforderung besteht darin, dem Explorationsmodus weiterhin Raum zu geben, um auch als Grossunternehmen innovativ zu bleiben.
Krisenphase und Turnaround. In ausserordentlichen Phasen sind oftmals kurze Entscheidungswege und rasche, klare Beschlüsse sowie Anordnungen gefragt. Doch auch hier ist zunächst einmal der Explorationsmodus erforderlich, um das richtige Vorgehen zu erarbeiten. «In Umbruchsituationen gilt es, eine klare Richtung vorzugeben, bevor die Führungsmannschaft den Rhythmus erhöhen und in einen beschleunigten Umsetzungsmodus schalten kann», sagt Bruch von der HSG. Wenn die Führung einfach mehr Druck aufsetze und bei Unsicherheit das Tempo erhöhe, steuere sie das Unternehmen direkt in die Beschleunigungsfalle. «Die Firma gerät in einen Zustand der Überhitzung, in dem Dinge nicht mehr laufen», sagt Bruch warnend.
Es geht darum, die getroffenen Entscheide kurz und knapp zu erläutern sowie umzusetzen. Es ist in der Regel kein offener, partizipativer Prozess. «Es ist verheerend, wenn Manager pseudodemokratische Mitsprache vorgaukeln und in Wirklichkeit bereits alles entschieden ist», sagt die Leadership-Professorin Kaudela. Mitarbeiter spürten, wenn sie instrumentalisiert würden, und das Management verliere an Glaubwürdigkeit.
Nicole Rütti, «Neue Zürcher Zeitung»