Die Sorgen der Schweiz: Die Alten fürchten sich vor der Migration, die Jungen vor dem Klimawandel Das Sorgenbarometer listet jedes Jahr die Befürchtungen und Ängste der Schweizerinnen und Schweizer auf. Ein Einblick in die helvetische Gemütslage.
Das Sorgenbarometer listet jedes Jahr die Befürchtungen und Ängste der Schweizerinnen und Schweizer auf. Ein Einblick in die helvetische Gemütslage.
Die steigenden Gesundheitskosten sind die grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer. Das zeigt das Sorgenbarometer der Credit Suisse. 40 Prozent der befragten Personen nennen sie als eine ihrer fünf grössten Ängste. Das sind 16 Prozentpunkte mehr als im vergangenen Jahr. Damit lösen die Krankenkassenprämien den Klimawandel an der Spitze des Sorgenbarometers ab.
Das Forschungsinstitut GfS Bern hat im Auftrag der Credit Suisse in diesem Jahr 1511 stimmberechtigte Personen befragt. Die Credit Suisse publiziert das Sorgenbarometer seit 47 Jahren. Cloé Jans, Leiterin des operativen Geschäfts bei GfS Bern, sagt: «Früher konnten sich die Menschen in der Schweiz auf die gleichen Sorgen einigen, heute ist das Bild differenzierter.»
Im Sorgenbarometer erreicht heute kein Thema mehr als 40 Prozent Aufmerksamkeit. Jans sagt: «Es gibt keine klaren, meinungsmachenden Medien mehr.» Viele Leute konsumieren die klassischen Leitmedien gar nicht oder seltener. Sie erhalten ihre Informationen von Facebook, Youtube, Onlineforen oder Nachrichten-Chats. So wird sich die Gesellschaft nicht einig, was das Problem ist und wie es gelöst werden kann. Das erschwert es der Politik, zu reagieren.
In den 1980er Jahren zum Beispiel waren sich 80 Prozent der Menschen einig, dass das Waldsterben eine grosse Bedrohung für das Land darstellt. Entsprechend bekam die Politik einen klaren Auftrag, das Problem anzugehen. In den 1990er Jahren meinten 90 Prozent, die Drogenproblematik sei ein zentrales Problem. Entsprechend habe der breit abgestützte öffentliche Druck der Politik geholfen, das Thema anzugehen, sagt Jans. «Es gibt keinen massiven Problemdruck in der Schweiz, weil es keine gemeinsame Sichtweise auf zentrale Herausforderungen des Landes gibt.»
Selbst 2015 waren sich noch über ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer einig, dass das Asylwesen ein Fokus ist. Heute – bei ähnlich stark steigenden Asylzahlen – ist der Anteil mit 20 Prozent deutlich tiefer. «Die Schweiz kann sich nicht mehr auf ihre grössten Sorgen einigen.»
Ukraine-Krieg fällt aus Top 10 der Sorgen
Dennoch gibt auch die aktuelle Studie einen interessanten Einblick in die eidgenössische Gemütslage. Ganz verschwunden aus den Top Ten der grössten Sorgen ist der Ukraine-Krieg. Noch vor einem Jahr rangierte er an achter Stelle der grössten Sorgen des Landes. 2023 ist er nur noch die elftgrösste. Damit liegt der Krieg in Europa hinter der Inflation (Platz 7), den Beziehungen zu Europa (Platz 4) oder der sozialen Sicherheit (Platz 10). Den Gaza-Krieg deckt das Sorgenbarometer übrigens nicht ab, da die Meinungen bereits im August und September eingeholt wurden.
Unter den zwanzig grössten Ängsten der Schweizer fällt auf, dass sieben davon in die Bereiche Lebenskosten, Lebensstandard und finanzielle Sicherheit fallen. Neben den Krankenkassen machen die Mieterhöhungen den grössten Sprung nach vorne im Sorgenbarometer: 22 Prozent der befragten Personen nennen die steigenden Wohnkosten als eine ihrer grössten Befürchtungen.
Generation Z macht sich andere Sorgen
Ein wenig anders als der Rest der Bevölkerung tickt die Generation Z. Jungen Menschen zwischen 18 und 28 Jahren macht der Klimawandel mit 48 Prozent mit Abstand am meisten Angst. Dafür fürchtet sich die Generation Z weniger vor einer Schweiz mit zehn Millionen Einwohnern. Je jünger die Befragten sind, desto geringer die Sorge um die Zuwanderung.
Ganz anders die Babyboomer: Menschen zwischen 59 und 77 Jahren fürchten sich vor der Immigration. 29 Prozent nennen das Thema als eine ihrer grössten Ängste. Bei den Generationen X (44- bis 58-Jährige) und Y (29- bis 43-Jährige) sind es noch je 20 Prozent. Bei der Generation Z ist das Thema nicht unter den zehn grössten Ängsten zu finden.
Nicht nur zwischen den Generationen gibt es Unterschiede, auch in den Regionen gibt es grosse Unterschiede. In der Romandie ist der Klimawandel im Vergleich mit dem Rest der Schweiz nach wie vor die grösste Sorge, vor Krankenkassen und Energiefragen.
Die französischsprachige Schweiz beschäftigt auch der Krieg in der Ukraine mit 22 Prozent deutlich stärker als der Rest des Landes. Die deutsch- und italienischsprachigen Kantone sorgen sich mehr wegen Asylfragen und um die Beziehung der Schweiz zur EU.
Andri Nay, «Neue Zürcher Zeitung»