Das Schreckgespenst der Rezession geht um – Firmen, die frühzeitig handeln, haben bessere Karten Die schwache Konjunktur zwingt Unternehmen zunehmend, Kostensenkungsmassnahmen zu ergreifen. Auf dem Papier sind Restrukturierungen schnell geplant, aber bei der Umsetzung gibt es zahlreiche Fallstricke.
Die schwache Konjunktur zwingt Unternehmen zunehmend, Kostensenkungsmassnahmen zu ergreifen. Auf dem Papier sind Restrukturierungen schnell geplant, aber bei der Umsetzung gibt es zahlreiche Fallstricke.
O Schreck, es droht eine Rezession. Die meisten Manager würden den Begriff am liebsten aus ihrem Vokabular streichen, denn er schürt Unsicherheit. Und nichts ist für das Geschäft schlimmer, als wenn es Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Kapitalgebern an Vertrauen fehlt. Dann leidet die Moral, alle drängen auf Rabatte, und Bestellungen werden aufgeschoben.
Deutsche Firmen kündigen vermehrt Stellenabbau an
Doch je länger die Konjunkturschwäche anhält, desto eher müssen sich Unternehmen auf eine Rezession einstellen. Für Markus Blocher, den Chef der Chemiefirma Dottikon ES, ist es eine ausgemachte Sache. «Wir bewegen uns auf eine richtige Rezession zu», sagte er Ende November an der Halbjahreskonferenz des Aargauer Unternehmens. Ähnlich klingt es in den Führungsetagen vieler Industriefirmen, wenn auch oft noch hinter vorgehaltener Hand.
Kommt es zu einer Rezession, die definitionsgemäss mindestens zwei aufeinanderfolgende Quartale mit einem sinkenden Bruttoinlandprodukt umfasst, sehen viele Firmen keine andere Wahl, als zu restrukturieren. Anders als in Deutschland, wo vor allem Firmen aus dem darbenden Chemie- und Automobilsektor schon verbreitet den Abbau von Stellen angekündigt haben, ist es in der Schweiz vergleichsweise ruhig geblieben. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie dem Textilmaschinenhersteller Rieter, dem Schliesstechnikspezialisten Dormakaba oder jüngst dem Mischkonzern OC Oerlikon, haben Schweizer Firmen noch kaum grössere Kostensenkungsprogramme bekanntgegeben.
Auftragseingang geht in die falsche Richtung
Viele Marktbeobachter befürchten indes, dass auch in der Schweiz nach den Festtagen, in deren Vorfeld sich Firmen lieber mit Hiobsbotschaften zurückhalten, Ankündigungen von Entlassungen zunehmen werden. Manche Unternehmen könnten die Bekanntgabe ihrer Jahresergebnisse im ersten Quartal 2024 dazu nutzen, Personalmassnahmen zu verkünden.
Dass auch hierzulande Handlungsbedarf auf der Kostenseite besteht, zeigt der Bestellungseingang. Besonders in der Industrie sind viele Unternehmen schon eine Weile mit sinkenden Aufträgen konfrontiert. Das schmälert die Auslastung ihrer Kapazitäten – oder anders gesagt: In der Produktion, im Verkauf oder in der Forschung und Entwicklung haben Mitarbeiter manchenorts zu wenig zu tun.
Für die wachsende Nervosität in vielen Firmenzentralen sprechen auch die Anfragen, die verstärkt bei Wirtschaftsverbänden und Beratungsunternehmen zum Thema Restrukturierungen und zu Fragen der Kurzarbeit eingehen. Man erteile diesbezüglich vermehrt Auskünfte, heisst es beispielsweise bei Swissmem. Der Verband vertritt die Interessen der Schweizer Maschinenbau-, Elektro- und Metallindustrie.
«Kosten raus, egal wie»
Auch das Beratungsunternehmen Alix Partners wird vermehrt wegen Restrukturierungen angegangen. Die Firma zählt zusammen mit Roland Berger und McKinsey & Company zu den führenden Spezialisten, wenn es darum geht, Firmen bei Transformationen sowie in Turnaround-Situationen zu begleiten. Rund 20 bis 30 Prozent des Beratungsgeschäfts von Alix entfallen auf Restrukturierungen.
Karsten Lafrenz beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Restrukturierungen und ist als Partner und Managing Director im Zürcher Büro der Firma tätig. Bereits seit ungefähr zwei Jahren würden sich auffallend viele Unternehmen melden, die proaktiv Kosten reduzieren wollten. «In diesem Ausmass hatte ich das zuvor lange nicht gesehen», sagt der Unternehmensberater. «Die Firmen sagen sich: ‹Kosten raus, egal wie.›»
Amazon und Google gehen mit gutem Beispiel voran
Wenn sich Unternehmen frühzeitig an den Abbau von Kosten machen, gilt das als gutes Zeichen. Es zeigt, dass sie eine Vorahnung davon haben, dass es mit ihren Geschäften in die falsche Richtung geht und sie reagieren müssen.
Zum Handeln sahen sich in den vergangenen Monaten Firmen aus einer Branche gezwungen, die sonst im Ruf steht, eher auf der Gewinner- als der Verliererseite zu stehen. Grosse amerikanische Technologiekonzerne wie Google, Amazon und Meta trennten sich von Tausenden von Mitarbeitern. Für Christoph Lechner, Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen, ist es indes kein Zufall, dass ausgerechnet sie durchgegriffen haben. Diese Konzerne hätten antizipiert, dass ihre Erträge ohne Gegenmassnahmen auf der Kostenseite sinken würden.
Lechner spricht in diesem Zusammenhang von einer strategischen Krise. Der Rückgang der Profitabilität stehe zwar erst am Anfang, und nicht selten würden sich die Umsätze noch stabil entwickeln. Doch liefen solche Unternehmen Gefahr, künftig nicht mehr mit der nötigen Effizienz zu operieren, wenn sie die bisherigen Strukturen unangetastet liessen.
Clariant verschlankt Führungsstrukturen
Die Technologiekonzerne hatten während der Pandemie ihre Belegschaft kräftig ausgebaut. Im Zuge der schwächer werdenden Konjunktur realisierten sie, dass sie auf überschüssige Kapazitäten zusteuerten. Bei diesen Firmen habe sich eine Transformation aufgedrängt, sagt Lechner. Den Begriff der Restrukturierung verwendet der Professor für solche Fälle nicht. Restrukturierungen seien Unternehmen vorbehalten, die mit weitergehenden Problemen kämpften und sich in einer Ertrags- oder, noch schlimmer, gar in einer Liquiditätskrise bewegten.
Der frühzeitige Abbau von Kosten bietet den Vorteil, dass Firmen über ihr Handeln noch weitgehend selbst bestimmen können. Dies sagte sich auch der Baselbieter Chemiekonzern Clariant, als er vor eineinhalb Jahren entschied, primär seine Führungsstrukturen zu verschlanken. Die Anzahl der Hierarchieebenen zwischen Mitarbeitern der untersten Stufe und dem Konzernchef wurde von bis zu zehn auf maximal sechs reduziert.
Dies kostete zahlreichen Managern den Job. Wie Tatiana Berardinelli, die Personalchefin von Clariant, vorrechnet, wurden weltweit 350 Stellen gestrichen. «Die meisten betrafen Managementfunktionen», sagt sie.
Verlagerungen nach Polen und Indien
Zugleich verringerte Clariant die Zahl der Konzernsparten von fünf auf drei. In der Verwaltung trieb das Unternehmen, das mittlerweile noch knapp 10 000 Mitarbeiter beschäftigt, die Verlagerung verschiedener administrativer Tätigkeiten in Niedriglohnländer voran. Zahlreiche Funktionen im Finanzbereich, in der IT sowie im Personalwesen und in der Warenbeschaffung wurden in firmeneigenen Dienstleistungszentren im polnischen Lodz, in Indien und in Mexiko gebündelt.
Was Clariant jüngst gemacht habe, sei eine klassische Transformation, sagt Lechner. Man habe in vorausschauender Weise gehandelt, denn mit Ertragsproblemen sei dieses Unternehmen anders als früher nicht mehr konfrontiert gewesen. Im Gegenteil: Clariant arbeite so profitabel wie seit langem nicht mehr.
Laut Lechner handeln viele Unternehmen bei Optimierungen aber erst sehr spät. Nicht selten sei es schon fünf nach zwölf. Der Restrukturierungsexperte Lafrenz pflichtet bei: «Wir fragen uns manchmal deprimiert: Warum haben die Firmen so lange gewartet?»
In einer Liquiditätskrise bleibt kaum noch Zeit
Eine Ertragskrise kann sich noch länger hinziehen. Firmen nehmen dabei in Kauf, dass ihre Erträge laufend sinken und sie vermehrt auf Liquiditätsreserven zurückgreifen müssen. Im Stadium einer Liquiditätskrise muss es hingegen sehr schnell gehen. Typischerweise haben Unternehmen dann nur ungefähr zwei Monate Zeit, um einen Plan für einen Turnaround auszuarbeiten. Für die Umsetzung stünden lediglich drei bis zwölf Monate zur Verfügung, sagt Lechner. «Sonst geht das Geld aus.»
Lafrenz empfiehlt Unternehmen in Turnaround-Situationen, vor harten Einschnitten nicht zurückzuweichen. «Oft machen Firmen den Fehler, zu wenig zu spät zu unternehmen.» Wer von Beginn an konsequent vorgehe, dem biete sich die Chance, dass sich das Blatt rasch wende.
Schnelle Fortschritte wirken motivationsfördernd
Kreditgeber und Investoren pochen in Turnaround-Situationen auf schnelle Fortschritte. Nur so sind sie bereit, Fristen für Darlehen zu verlängern oder neues Kapital einzuschiessen. Laut Lafrenz wirken schnelle Fortschritte aber auch motivationsfördernd. «Wenn die Mitarbeiter sehen, dass es mit ihrem Unternehmen wieder aufwärtsgeht, werden sie sich extra anstrengen.»
Es ist eine Binsenwahrheit: Ein Restrukturierungsplan verspricht nur dann Erfolg, wenn er konsequent umgesetzt wird. Als Kardinalfehler bezeichnet Lafrenz, wenn Führungsorgane bei ersten Silberstreifen am Horizont ein Programm aussetzen. Nach seiner Erfahrung kommt es immer wieder vor, dass Abstriche bei Kostensenkungsmassnahmen gemacht werden, sobald beispielsweise ein Grossauftrag eintrifft.
So erfreulich ein solches Ereignis auch ist, so trügerisch kann es mit Blick auf die weitere Geschäftsentwicklung sein. Denn falls sich der Bestelleingang wieder verschlechtert, rächt sich die Nachlässigkeit. Das Management muss dann adjustieren und Einsparungen, die zuvor versäumt wurden, möglicherweise sogar noch ausweiten.
Ein derart widersprüchliches Vorgehen untergräbt die Moral innerhalb der Belegschaft. «Vor kurzem hiess es doch erst, es gehe uns wieder besser, und nun müssen wir noch mehr sparen?», werden sich Mitarbeiter unweigerlich fragen. Laut Lafrenz riskieren Unternehmen generell einen grossen Vertrauensverlust, wenn eine Welle von Kosteneinsparungen auf die nächste folgt. Auch deshalb sein Rat: Lieber von Anfang an beherzt ans Werk gehen.
Offen und ehrlich kommunizieren
Seit Clariant die Reorganisation im Juni 2022 angekündigt hat, sind eineinhalb Jahre verstrichen. Laut dem Unternehmen wissen mittlerweile so gut wie alle der betroffenen 350 Beschäftigten Bescheid.
Da – unter Mitsprache der jeweiligen Verantwortlichen – erst Geschäftseinheit für Geschäftseinheit sowie Abteilung für Abteilung festgelegt werden musste, wie man sich neu aufstellt, herrschte für die meisten Betroffenen aber erst einmal Unklarheit. Wie die Personalchefin Tatiana Berardinelli betont, habe man sich gleichwohl selbst in den ersten sechs Monaten, als der Entscheidungsprozess noch lief, um grösstmögliche Offenheit sowie Ehrlichkeit bemüht. «Wenn wir auf eine Frage noch keine Antwort hatten, versicherten wir den Fragestellern: ‹Wir antworten euch, sobald wir im Besitz der nötigen Informationen sind.›»
Phasen der Unsicherheit gehören zu jeder Transformation und zu jeder Restrukturierung. Berardinelli rät indes dazu, sie für alle Betroffenen so kurz wie möglich zu halten. Bei Clariant hat man auch gute Erfahrungen damit gemacht, in einer Vielzahl von Formaten die Mitarbeiter über den Sinn und Zweck der Transformation sowie die damit verbundenen Massnahmen zu informieren. «Man kann in einer solchen Situation eigentlich nicht genug kommunizieren», sagt die Managerin.
Schlecht vorbereitete «Schönwetterkapitäne»
Wie viele Unternehmen in der eher konservativen Chemiebranche verfügte Clariant bis anhin nicht nur über eine vielgliedrige Hierarchie. Die Kommunikation innerhalb des Konzerns erfolgte auch weitgehend von oben nach unten. Nun sammelt die Firma unter anderem Erfahrungen mit Versammlungen, bei denen Mitglieder der Konzernleitung an den einzelnen Produktionsstandorten den Dialog mit den Mitarbeitern suchen und aus der Belegschaft Frage für Frage beantworten. Es gebe dabei keine Tabus, sagt Berardinelli. «Jede Frage wird beantwortet.»
Ein weiterer kritischer Faktor bei Restrukturierungen sind die Verantwortlichen, welche die Massnahmen definieren und umsetzen müssen. Lafrenz sieht diesbezüglich auf manche Unternehmen Herausforderungen zukommen. «Wir haben jetzt eine Managergeneration, die in Teilen nur Wachstum und ein positives Umfeld kennengelernt hat.» Der Umgang mit schwierigeren Marktbedingungen müsse in gewissen Firmen und Branchen erst erlernt werden.
Nach Ansicht des Unternehmensberaters dürfte dafür angesichts eines möglicherweise beschleunigten Wirtschaftsabschwungs aber nicht überall die Zeit vorhanden sein. Firmen, deren Führung zum Grossteil aus «Schönwetterkapitänen» zusammengesetzt ist, empfiehlt Lafrenz, extern Verstärkung zu suchen. «Das kann beispielsweise eine ältere, erfahrene Führungskraft sein, die sich mit Restrukturierungen auskennt und die man in den Verwaltungsrat holt.»
Dominik Feldges, «Neue Zürcher Zeitung»