Globale Mindeststeuer für Grossfirmen: Die Schweizer Wirtschaft ist beim Bundesrat abgeblitzt Der Bundesrat setzt die globale Mindeststeuer auf Anfang 2024 um. Wirtschaftsvertreter hatten vergeblich eine Verschiebung gefordert. Laut Bundesrat setzt auch die Mehrheit der EU-Länder die Mindeststeuer um.
Der Bundesrat setzt die globale Mindeststeuer auf Anfang 2024 um. Wirtschaftsvertreter hatten vergeblich eine Verschiebung gefordert. Laut Bundesrat setzt auch die Mehrheit der EU-Länder die Mindeststeuer um.
Internationale Firmen mit einem weltweiten Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro müssen ab 2024 im Grundsatz in jedem Land mit relevanten Aktivitäten mindestens 15 Prozent Gewinnsteuer zahlen. Liegen die Steuern in einem Land unter dieser Marke, können andere Länder, in denen die betroffene Unternehmung aktiv ist, die Differenz als Zusatzsteuer einziehen. Das ist der Kern einer internationalen Kartellabsprache unter der Ägide des Ländervereins OECD, der sich rund 140 Staaten angeschlossen haben.
In der Schweiz lag bisher die Gewinnsteuerbelastung in der Mehrheit der Kantone unter 15 Prozent. Der Landesdurchschnitt dürfte bei 13 bis 14 Prozent liegen. Die Schweiz hat deshalb zur Umsetzung der globalen Leitplanken eine Ergänzungssteuer für die Firmen beschlossen, die von den OECD-Regeln betroffen sind. Laut grober Bundesschätzung sind vielleicht etwa 200 Schweizer Konzerne sowie ungefähr 2000 Schweizer Ableger von ausländischen Konzernen aufgrund ihrer Grösse zumindest potenziell betroffen.
Gegen Abschöpfung im Ausland
Volk und Stände haben diesen Juni einer entsprechenden Änderung der Bundesverfassung deutlich zugestimmt. Die Wirtschaftsverbände hatten gegen den Widerstand von linken Kreisen für ein Ja gekämpft. Das Kernargument: Bei einem Nein sei die Umsetzung der Mindeststeuer auf Anfang 2024 im Einklang mit den globalen Vorgaben nicht mehr möglich, und dann könnten andere Staaten die Zusatzsteuer der betroffenen Schweizer Firmen abschöpfen.
Im November tönte es plötzlich ganz anders: Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse forderte eine Verschiebung, weil manche anderen Länder die Mindeststeuer nicht wie vorgesehen auf 2024 einführen. Dem Vernehmen nach hat vor allem die Pharmaindustrie auf eine Verschiebung gedrängt, um mindestens ein Jahr lang eine Steuererhöhung zu vermeiden.
Viele EU-Länder sind pünktlich
Doch die Wirtschaftsvertreter sind mit ihrer Forderung bei Finanzministerin Karin Keller-Sutter und dem Gesamtbundesrat nicht durchgedrungen. Der Bundesrat hat am Freitag beschlossen, die globale Mindeststeuer in der Schweiz auf Anfang 2024 umzusetzen. Die Regierung will damit laut eigenen Angaben verhindern, dass Steuergelder ins Ausland abfliessen.
Die EU-Regeln verlangen von den EU-Ländern im Grundsatz eine Umsetzung auf Anfang 2024. Nach derzeitigem Wissensstand dürften etwa 17 oder 18 der 27 EU-Mitglieder die Mindeststeuer auf Anfang 2024 umsetzen – darunter alle vier EU-Nachbarn der Schweiz und klassische Konkurrenzstandorte wie Irland, Luxemburg und die Niederlande. Das sagen Bundesvertreter auf der Grundlage von Informationen der Schweizer Botschaften, und das sagt auch die jüngste Erhebung der Beratungsfirma EY per 18. Dezember.
Die genannten Länder wollen ab Anfang 2024 im Einklang mit den EU-Regeln auch eine Zusatzsteuer abschöpfen, wenn ausländische Ableger von einheimischen Konzernen weniger als 15 Prozent Gewinnsteuer zahlen. Bei einem Schweizer Verzicht auf eine Ergänzungssteuer für 2024 würden somit Länder mit rascherer Umsetzung Zusatzsteuern von den Schweizer Ablegern ausländischer Konzerne verlangen.
Zu den raschen Umsetzern gehören laut Bundesangaben ausserhalb der EU auch Länder wie das Vereinigte Königreich, Australien, Kanada und Südkorea. Diverse andere Länder sehen die Umsetzung auf Anfang 2025 vor. Als Sonderfall spielen sich wie so oft die USA auf: Sie haben ihre eigene Mindeststeuer und foutieren sich um die OECD-Regeln. Auch in Brasilien, Indien und China bahnt sich zurzeit keine Umsetzung an.
Geld fliesst ab 2026
Die Möglichkeit der Abschöpfung zur «Korrektur» einer Unterbesteuerung im Ausland haben die Staaten für 2024 nur bei einheimischen Konzernen. Eine Abschöpfungsmöglichkeit bei ausländischen Konzernen ist laut Fahrplan der OECD und der EU ab Anfang 2025 vorgesehen. Bei einer Verschiebung der Schweizer Ergänzungssteuer hätte somit die Schweiz bezüglich der einheimischen Konzerne keine Abschöpfung durch das Ausland zu befürchten. Dies im Gegensatz zu den Fällen mit Schweizer Ablegern von ausländischen Konzernen, deren Heimatland die Mindeststeuer auf Anfang 2024 umsetzt.
Die neue Ergänzungssteuer bringt laut Bundesschätzung ohne Berücksichtigung von Verhaltensänderungen der Firmen dem Fiskus Zusatzeinnahmen von 1 bis 2,5 Milliarden Franken pro Jahr – wobei die ersten Einnahmen für das Steuerjahr 2024 im Jahr 2026 fliessen dürften. Jener Teil, bei dem im Fall einer Verschiebung um ein Jahr eine Abschöpfung durch das Ausland gedroht hätte, macht laut Bundesangaben «bis zu 50 Prozent» (lies: wohl ein Stück weniger als die Hälfte) des gesamten Ertragspotenzials der Schweizer Ergänzungssteuer aus.
Dichteres Netz ab 2025
Beim anderen Teil – wo eine Schweizer Verschiebung keine ausländische Abschöpfung bewirkt hätte – fallen besonders schweizerische und amerikanische Konzerne ins Gewicht. Ein vom Bund bestelltes Gutachten des Zürcher Steuerrechtsprofessors René Matteotti betont aber, dass bei einem «erheblichen» Teil der Gewinne, die amerikanische Konzerne in der Schweiz erwirtschaften, im Fall einer Verschiebung der Schweizer Ergänzungssteuer europäische Länder eine Zusatzsteuer erheben könnten. Grund: Manche amerikanische Konzerne haben Holdinggesellschaften in den Niederlanden, Luxemburg und im Vereinigten Königreich. Das Gutachten hat in der Kontroverse um eine mögliche Aufschiebung der Schweizer Ergänzungssteuer keine eindeutige Empfehlung abgegeben.
Nach derzeitigem Wissensstand dürften die meisten grossen Konzerne spätestens ab 2025 nicht um eine Steuerbelastung gemäss OECD-Regeln herumkommen – weil es ab 2025 bei Unterbesteuerungen in einem Land genügend abschöpfungswillige andere Länder geben sollte. Eine Verschiebung der Schweizer Ergänzungssteuer um ein Jahr hätte somit kaum einen bedeutenden Standortvorteil gebracht, weil Unternehmen grosse Investitionsentscheide selten aufgrund der Steuerbelastung in einem einzigen Jahr fällen.
Der Bundesrat musste bei seinem Entscheid auch an die politische Glaubwürdigkeit denken. Eine Verschiebung wäre angesichts der Äusserungen im Vorfeld des Urnengangs vom Juni 2023 der Glaubwürdigkeit der Regierung und der Wirtschaft kaum förderlich gewesen. Dies hätte in künftigen Volksabstimmungen zum Bumerang werden können.
Verzicht auf Abschöpfung
Doch restlos sicher ist nicht, wie die globale Umsetzung der Mindeststeuer weitergeht. Dies sagt auch das Gutachten von René Matteotti mit Verweis auf juristische Fragezeichen. Sollte sich das Bild in den nächsten Jahren radikal ändern, wird möglicherweise auch die Schweiz über die Bücher gehen.
Der Bundesrat ist am Freitag in einem Punkt der Wirtschaft entgegengekommen. Wenn ausländische Ableger von Schweizer Konzernen gemäss OECD-Regeln unterbesteuert sind, könnte die Schweiz die Differenz zur Mindeststeuer ab 2024 abschöpfen. Der Bundesrat verzichtet aber für 2024 auf eine solche Abschöpfung. Dieser Entscheid war dem Vernehmen nach vor allem standortpolitisch begründet, und er bringt laut Bundesangaben kaum Gefahr von Steuerabflüssen ins Ausland. Welche Einnahmen eine Abschöpfung für das Steuerjahr 2024 gebracht hätte, lässt sich laut Bund nicht zuverlässig einschätzen. Die Rede ist aber von einem «substanziellen» Betrag.
Hanuseli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»