Bei einem Ja zur 13. Rente soll es schnell gehen – neben höheren Abgaben für die AHV zeichnet sich auch eine Steuererhöhung für den Bund ab Die Abstimmung vom Sonntag wird spannend. Kommt der Ausbau der AHV durch, dürfte die Politik rasch höhere Abgaben eintreiben. Alles andere wäre riskant für jene, die mehr Geld vom Bund wollen: von der Armee bis zu den Bauern.
Die Abstimmung vom Sonntag wird spannend. Kommt der Ausbau der AHV durch, dürfte die Politik rasch höhere Abgaben eintreiben. Alles andere wäre riskant für jene, die mehr Geld vom Bund wollen: von der Armee bis zu den Bauern.
Es ist das grosse Diskussionsthema in der Session des Parlaments, die am Montag begonnen hat: Wie wird am Sonntag die Abstimmung über die Erhöhung der AHV-Renten ausgehen? Ein knapper Ausgang ist zu erwarten. Die Initiative der Gewerkschaften hat laut den jüngsten Umfragen nach wie vor intakte Chancen, auch wenn die Unterstützung deutlich nachgelassen hat.
Klar ist nur eines: Falls sie angenommen wird, bricht in Bern Hektik aus. Dann muss die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider aktiv werden und die entscheidende Frage klären: Wer soll das bezahlen? Diese politische Urfrage sorgt zwar auch in normalen Zeiten für heftige Debatten, zurzeit aber ganz besonders, weil das Geld für die vielen Wünsche von der Armee über die Landwirtschaft bis zum Gesundheitswesen ohnehin an allen Ecken und Enden fehlt. Das erklärt die Anspannung im Bundeshaus.
Der Zeitdruck ist hoch. Der Initiativtext legt verbindlich fest, dass bereits ab Anfang 2026 alle Rentnerinnen und Rentner eine zusätzliche Monatsrente erhalten müssen. Woher das Geld kommen soll, lassen die Initianten hingegen offen. Sehr viele Möglichkeiten gibt es nicht: höhere Mehrwertsteuer, höhere Lohnbeiträge, höheres Rentenalter – oder ein bisschen von allem.
AHV muss zahlen, auch wenn die Finanzierung scheitert
Wie die Lösung aussehen soll, müssen Bundesrat und Parlament entscheiden – wobei anzunehmen ist, dass das Volk das letzte Wort hat. Diese Abstimmung wird angesichts der durchwegs unerfreulichen Varianten kein Spaziergang werden. Es ist lange her, dass das Volk über eine derart teure Vorlage entscheiden musste. Anfänglich geht es um 4,2 Milliarden Franken im Jahr, 2033 sind es 5,3 Milliarden, Tendenz steigend. Die AHV muss das Geld so oder so auszahlen, auch wenn die Vorlage zur Finanzierung scheitert.
Wie kann die Politik sicherstellen, dass das Sozialwerk nicht in die Schuldenwirtschaft abrutscht? Der Bundesrat hat keine Vorentscheide gefällt, wie er bei einer Annahme der Initiative genau vorgehen würde. Dennoch sind die Signale, die aus der Verwaltung und dem Parlament zu hören sind, relativ klar: Es soll schnell gehen.
In der Verantwortung steht neben Bundesrätin Baume-Schneider primär der oberste «AHV-Chef»: Stéphane Rossini, der Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen. Er hat in einem Interview zwei Varianten skizziert: Man könnte umgehend eine separate Vorlage aufgleisen, die die Finanzierung der 13. Rente regelt.
Oder man integriert diese Frage in die nächste grosse AHV-Reform. Eine solche ist ohnehin geplant, weil das Sozialwerk auch ohne Ausbau nur bis 2030 sicher finanziert ist. Allerdings würde diese Variante deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, da mehr Fragen zu klären wären. Nach gegenwärtiger Planung muss der Bundesrat die neue AHV-Reform erst bis Ende 2026 verabschieden.
Auch der Bund braucht mehr Geld
Das dauert vielen in Bern zu lange. Wird die Initiative angenommen, verlangen sie ein unbernisch hohes Tempo: Dann soll der Bundesrat in den nächsten Monaten eine spezifische Finanzierungsvorlage für die 13. Rente ausarbeiten. Auch so wäre nicht sicher, dass die Mehreinnahmen rechtzeitig zur Verfügung stehen. Amtsdirektor Rossini sagte, die Sache so rasch zu regeln, sei «angesichts unserer parlamentarischen Verfahren sicher schwierig».
Eine einflussreiche Stimme hat sich schon öffentlich für die schnelle Variante ausgesprochen: die Finanzministerin Karin Keller-Sutter. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» erwähnte sie zwar pflichtschuldig, sie wolle der Kollegin Baume-Schneider nicht vorgreifen. Dann wurde sie aber relativ deutlich: Eine Variante sei, dass der Bundesrat «ziemlich schnell, noch 2024» eine Vorlage vorlegen müsse. Das Tempo ist aber nur das eine.
Das andere ist der Umfang der Vorlage. In Bern scheint sich gerade die Überzeugung durchzusetzen, dass es nicht genügt, nur für die AHV mehr Geld einzutreiben. Vielmehr wird auch eine separate Steuererhöhung für den Bund zum Thema, der durch die Initiative indirekt stark betroffen ist: Er muss Jahr für Jahr einen Fünftel der gesamten Ausgaben der AHV beisteuern. Zurzeit sind das zehn Milliarden Franken im Jahr, 2030 sind es zwölf oder – falls die 13. Rente angenommen wird – sogar dreizehn Milliarden.
Die lange Wunschliste der Politik
Dauerhafte Mehrausgaben von einer Milliarde im Jahr sind immer schwierig, heute aber ganz besonders. Bundesrat und Parlament kämpfen sowieso schon mit drohenden Defiziten von drei Milliarden Franken. Nun wären es sogar vier. Den Beitrag an die AHV kann der Bund nicht einfach kürzen, da er gesetzlich verankert ist. Gleichzeitig fällt er unter die Schuldenbremse, die kein Budget mit strukturellem Defizit erlaubt.
Somit hat die Politik zwei Varianten: Sie kürzt die Ausgaben in anderen Bereichen, damit der höhere Beitrag an die AHV im Budget Platz findet. Oder sie sorgt auch beim Bund für höhere Einnahmen. Hier steht die Mehrwertsteuer im Zentrum, die – ebenfalls für die AHV – gerade erst Anfang Jahr erhöht worden ist. Möglich wäre auch eine Erhöhung der direkten Bundessteuer, die aber bisher kaum diskutiert wird.
Egal, welche Steuer erhöht werden soll: Ein solcher Schritt ist stets unpopulär. Dennoch sprechen sich angesichts der gegenwärtigen Lage einflussreiche Stimmen im Bundeshaus für dieses Vorgehen aus. Andernfalls wären diverse Anliegen gefährdet, hinter denen starke Lobbys stehen: Die Bauern kämpfen um ihre Direktzahlungen, bürgerliche Sicherheitspolitiker möchten die massive Erhöhung des Armeebudgets schneller umsetzen, den Hochschulen gehen bereits die bisherigen Kürzungen zu weit, der Beitrag an den Wiederaufbau der Ukraine ist nicht finanziert, die Mitte möchte mehr AHV für Ehepaare, die Individualbesteuerung würde 0,8 Milliarden Franken jährlich kosten, eine Mehrheit will die familienexterne Kinderbetreuung ausbauen. Und so weiter.
Wer A sagt, muss nicht B sagen
All diese Lobbys haben einen starken Anreiz, für den AHV-Beitrag des Bundes lieber die Steuern zu erhöhen, als auf die eigenen Projekte zu verzichten. Deshalb ist gut denkbar, dass die Rechnung, die die Gewerkschaften im Abstimmungskampf oft erwähnen, nicht vollständig ist. Demnach würde es genügen, für die 13. Rente die monatlichen Lohnbeiträge von 8,7 auf 9,5 Prozent zu erhöhen.
Doch dies stimmt erstens nur kurzfristig, weil schon 2033 Beiträge von gut 10 Prozent nötig wären. Zweitens blendet diese Rechnung die Finanzprobleme des Bundes aus. Sollen sie über höhere Einnahmen gelöst werden, müsste zum Beispiel zusätzlich die Mehrwertsteuer um knapp 0,3 Prozentpunkte steigen.
Die finanzielle Belastung der Privathaushalte liesse sich mit einer anderen unpopulären Massnahme mildern: mit einer Erhöhung des ordentlichen Rentenalters. In diesem Fall ist anzunehmen, dass die Linke das Referendum ergreift, womit am Ende das Volk bestimmt. Bei einer erneuten Erhöhung der Lohnbeiträge wäre ebenfalls mit Widerstand zu rechnen. Und die Sätze der Mehrwertsteuer sowie die Maximalbelastung der Bundessteuer sind in der Verfassung verankert, womit hier sogar obligatorische Abstimmungen mit Volks- und Ständemehr notwendig wären.
Fazit: Bei einem Ja am Sonntag spricht einiges dafür, dass die Rechnung relativ rasch kommt, dass sie höher ausfallen könnte, als manchen lieb ist – und dass das Volk bald darüber abstimmen kann. Dann wird es heissen, wer A sage, müsse auch B sagen. Aber zwingen kann man niemanden. Das Volk ist frei, heute höhere Renten zu bestellen und morgen ihre Finanzierung abzulehnen.
Fabian Schäfer, «Neue Zürcher Zeitung»