Rezessionsängste haben an den Finanzmärkten für Turbulenzen gesorgt. Aber die Schweizer Wirtschaft hält sich wacker Das Schweizer Bruttoinlandprodukt ist im zweiten Quartal wohl überdurchschnittlich stark gewachsen. Kein Grund für Panik also – auch wenn die konjunkturellen Aussichten verhalten sind.
Das Schweizer Bruttoinlandprodukt ist im zweiten Quartal wohl überdurchschnittlich stark gewachsen. Kein Grund für Panik also – auch wenn die konjunkturellen Aussichten verhalten sind.
Erst vor knapp zwei Wochen hat die Angst vor einer möglichen Rezession in den USA ein Börsenbeben ausgelöst. Die Sorgen erwiesen sich vorerst als überzogen. Die Nervosität hat sich wieder gelegt, und die weltweiten Börsenindizes haben sich deutlich erholt. Dennoch bleibt die Frage: Wie entwickelt sich die Konjunktur?
Robustes Wirtschaftswachstum
Aus Schweizer Sicht gibt es keinen Grund für Panik. Die hiesige Wirtschaft hält sich stabil. Dies zeigt eine Schnellschätzung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco): Im zweiten Quartal dürfte das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen sein.
Dies stellt eine positive Überraschung dar. Falls sich die Zahlen in den weiteren Schätzungen bestätigen, ist die Schweizer Wirtschaft zwischen April und Juni leicht überdurchschnittlich stark gewachsen. Im ersten Quartal 2024 hatte die reale Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent zugelegt.
Deutschland fällt zurück
Die BIP-Dynamik fällt auch im europäischen Vergleich ansprechend aus. In der Euro-Zone belief sich das Wachstum im zweiten Quartal auf 0,3 Prozent, wie die Statistikbehörde Eurostat diese Woche mitteilte.
Während es in vielen Ländern ordentlich lief, erwies sich Deutschland erneut als Ausreisser. Die grösste Volkswirtschaft Europas schrumpfte im Frühlingsquartal sogar leicht (–0,1 Prozent). Die Fussball-EM in Deutschland scheint kein konjunkturelles «Sommermärchen» ausgelöst zu haben. Vielmehr kann sich das Land weiterhin nicht aus einer hartnäckigen wirtschaftlichen Stagnation befreien, die seit der Corona-Krise anhält.
Aussichten haben sich eingetrübt
An den Finanzmärkten interessiert allerdings weniger, wie es in den vergangenen Monaten wirtschaftlich gelaufen ist, sondern wie die Aussichten für die nächsten Quartale sind. Auch wenn die Angst vor einer Rezession als überzogen erscheint, hat sich die konjunkturelle Grosswetterlage doch eingetrübt.
Für die Euro-Zone war noch vor kurzem erwartet worden, dass sich ab dem zweiten Halbjahr 2024 ein wirtschaftlicher Aufschwung einstellen wird. Aber jüngst sind zahlreiche vorlaufende Indikatoren, etwa zur Industrieentwicklung, enttäuschend ausgefallen. Die Konjunkturbeobachter von Oxford Economics gehen deshalb davon aus, dass es bis zum erhofften Aufschwung noch etwas länger dauern wird. Das gilt gerade für Deutschland, den wichtigsten Handelspartner der Schweizer Wirtschaft in Europa.
In der Schweiz leidet vor allem die exportorientierte Industrie unter der Eintrübung. Zwar ist das zweite Quartal in der Industrie laut dem Seco überraschend stark ausgefallen. Aber die Aussichten bleiben verhalten. Die Industrie wartet mittlerweile seit fast zwei Jahren darauf, dass eine hartnäckige Flaute zu Ende geht.
Demgegenüber stützt der Dienstleistungssektor, der knapp drei Viertel der Wirtschaftsleistung ausmacht, die Schweizer Konjunktur. Vor allem der Privatkonsum dürfte auch in den letzten Monaten robust gewachsen sein. Laut einem Echtzeit-BIP-Indikator des Seco ist die Schweizer Wirtschaft gut in den Sommer gestartet.
Stagnierendes BIP pro Kopf
Der wachsende Privatkonsum hat auch damit zu tun, dass die Bevölkerung in der Schweiz weiterhin zunimmt. Kritiker sagen deshalb, dass die Wirtschaft vor allem in die Breite wachse: Das BIP nehme nur wegen der Zuwanderung zu, pro Kopf gerechnet wachse der Wohlstand hingegen nicht.
Dies dürfte in der Schweiz derzeit tatsächlich zutreffen. Für das Gesamtjahr 2024 erwarten die meisten Konjunkturexperten ein Wirtschaftswachstum von rund 1,2 Prozent. Das dürfte nur leicht mehr sein als die Bevölkerungszunahme. Das Pro-Kopf-BIP wird also in diesem Jahr mehr oder weniger stagnieren.
Matthias Benz, «Neue Zürcher Zeitung»