Branchenreport: Das Gewerbe spürt Gegenwind Der Knick kam überraschend und deutlich. Nach einem noch günstigen Auftakt für die KMU im laufenden Jahr sind in den Sommermonaten dunklere Wolken aufgezogen. Doch die Zuversicht bleibt.
Der Knick kam überraschend und deutlich. Nach einem noch günstigen Auftakt für die KMU im laufenden Jahr sind in den Sommermonaten dunklere Wolken aufgezogen. Doch die Zuversicht bleibt.
«Wir packen es auch dieses Mal.» Noch im ersten Halbjahr haben sich die Schweizer KMU sehr zuversichtlich gezeigt, auch die aktuellen Herausforderungen gut meistern zu können. Seit dem vergangenen Juli hat diese Zuversicht jedoch einen Dämpfer bekommen. Denn laut Raiffeisen hat sich die Geschäftslage in der Schweizer KMU-Industrie in diesem Monat verschlechtert, insbesondere die Auftragslage hat sich deutlich eingetrübt. Die Produktionstätigkeit bleibe damit schwach, was sich negativ auf die Beschäftigungspläne auswirke.
Der Raiffeisen-Konjunkturindikator KMU PMI verdeutlicht die anhaltend schwierige Lage in der Schweizer Industrie. Der Gesamtindex fiel von 48,8 auf 46,8 und liegt damit weiterhin unter der Expansionsschwelle von 50, was auf eine Kontraktion der Geschäftstätigkeit hinweist. Besonders die Auftragslage verschlechterte sich zuletzt deutlich.
Für die KMU läuft es aktuell also eher harzig. Nach Philippe Obrist, Leiter Firmenkunden bei Raiffeisen Schweiz, wächst auch der gesamte KMU-Sektor derzeit nur moderat. Im Dienstleistungssektor hat die Wertschöpfung in den letzten Quartalen weiter zugenommen, während der Geschäftsgang in der Industrie nach wie vor stagniert. Das verarbeitende Gewerbe hängt stark vom globalen Handel ab, der in den letzten zwei Jahren kaum gewachsen ist.
Hauptgründe für den schwachen Welthandel sind die schleppende Konjunkturentwicklung in der Eurozone sowie die Wachstumsverlangsamung in China. «Die Schweizer Exportbranche leidet insbesondere an der schwachen Nachfrage aus Deutschland, wo sich die Warnungen vor einer Deindustrialisierung häufen», stellt Obrist fest. Immerhin: Aktuell scheint die Eurozone als Ganzes die Stagnationsphase von 2023 langsam zu überwinden. Die deutlich gesunkene Inflation führe in Verbindung mit hohen Lohnabschlüssen zu einer Erholung der Kaufkraft. Davon profitiert nach Obrist hauptsächlich der Dienstleistungssektor, insbesondere der Detailhandel und die Gastronomie, aber auch das Gesundheitswesen und die IT-Branche.
Alain Conte, Head Corporate & Real Estate Banking Switzerland der UBS, ist zuversichtlich, dass sich die Aussichten für den Industriesektor im nächsten Jahr verbessern werden. Die Erholung des Wachstums in Europa und die erwarteten Zinssenkungen in der Eurozone müssten der europäischen Wirtschaft bald etwas Luft verschaffen.
Starke Branchen, schwache Branchen
Alexander Fust, Ständiger Dozent an der Universität St. Gallen und KMU-Experte, beobachtet eine stark unterschiedliche Entwicklung je nach Branche: «Vielen KMU geht es gut, sie sind gut positioniert, bieten ihren Kunden einen Mehrwert, haben die Führung ihrer Betriebe im Griff, investieren und entwickeln sich ständig weiter.» Wiederum andere Firmen mussten 2024 ihre Geschäftstätigkeit aufgeben und gingen Konkurs. Gemäss den Daten von Creditreform haben die Konkurse im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Die Neugründungs- und Konkursstatistik des Kantons Zürich zeige, dass vor allem der Handel von Firmenpleiten betroffen sei.
«Und wenn ich mit den mir bekannten Handelsfirmen spreche, dann höre ich, dass sich die Konsumentenstimmung im Vergleich zum Vorjahr zwar ein wenig verbessert hat, dass jedoch im Vergleich zum Jahr 2022 pro Kunde und Einkauf tendenziell weniger ausgegeben wird», führt Fust weiter aus.
Härtere Konkurrenz in der Bauwirtschaft
Grosse Unterschiede gibt es nach Feststellungen des St. Galler Dozenten auch im Bau. «Der Umbau läuft tendenziell gut. Hingegen klagen im Neubau viele Firmen, dass die Verzögerungen aufgrund von Einsprachen zugenommen haben und es somit weniger Grossprojekte gibt. Deshalb waren verschiedene Grossaufträge stärker umkämpft.» Kleinere Betriebe hätten feststellen müssen, dass die grösseren Baufirmen nun auch bei den mittelgrossen Bauprojekten mitböten.
Noch kein Anlass zum Jubeln haben jene KMU, die stark nach Deutschland exportieren. Dort sind verschiedene Branchen nach Fust immer noch nicht auf dem gewohnten Level. Alle exportorientierten Firmen machen sich über die geopolitischen Entwicklungen und die Beziehungen mit der EU Sorgen. «Von Industriefirmen mit hoher Energieintensität höre ich, dass ihnen der verhältnismässig hohe Energiepreis zu denken gibt, insbesondere im Vergleich mit den Mitbewerbern aus den USA und Asien, die diesbezüglich deutlich besser dastehen.» Immer wieder kämen sodann Klagen über den starken Franken oder die ausufernde Bürokratie.
UBS-KMU Experte Alain Conte hat ein ganzes Sorgenbündel festgestellt: Der Kostenanstieg bei bestimmten Rohstoffen, längere Lieferzeiten, Cyberangriffe, der Mangel an Fachkräften und das Risiko einer Energieknappheit oder einer Pandemie würden als grösste Herausforderungen gesehen.
Zuversicht für die Zukunft ungebrochen
Nun wird es besser. Speziell für Unternehmen, die im Binnenmarkt tätig sind, nimmt Alexander Fust eine grosse Zuversicht für die Zukunft wahr. «Die meisten dieser Firmen sind überzeugt, dass sie auch in Zukunft einen Mehrwert für ihre Kunden bieten können und entsprechend auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben.» Die Dynamik scheine sogar eher zuzunehmen. Klar sei den KMU, dass sie sich stetig weiterentwickeln müssten, um sich am Markt behaupten zu können.
KMU, die in Länder und Branchen liefern, die sich gerade in einer Schwächephase befinden, haben gemischte Gefühle. Sie hofften aber nicht einfach auf eine bessere Zukunft, sondern überlegten sich, mit welchen strategischen Handlungsoptionen sie die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen könnten. Etwa durch die Belieferung neuer Märkte und Segmente, durch Innovationen und neue Geschäftsmodelle.
Fachkräftemangel hat sich nicht akzentuiert
Der immer wieder beklagte Fachkräftemangel hat sich laut Alain Conte insgesamt nicht verschärft. Nach wie vor könnten bestimmte Jobprofile auf dem Arbeitsmarkt aber nur mit grossen Anstrengungen oder gar nicht gefunden werden, ergänzt Alexander Fust. Für Philippe Obrist hat sich der Fachkräftemangel wegen des derzeit bescheidenen Wachstums etwas entspannt. Die aktuelle Konjunkturschwäche bringe aber nur eine vorübergehende Linderung: «Wegen der bevorstehenden Pensionierungswelle (siehe Grafik «Arbeitsmarktlücke») erwarte ich, dass der Fachkräftemangel mindestens auf dem heutigen Niveau bleibt oder sogar noch ausgeprägter wird.»
Als Ersatz könnte man versuchen, das vorhandene Arbeitskräftepotenzial noch besser auszuschöpfen, etwa durch weniger Frühpensionierungen, mehr Kindertagesstätten oder mehr Arbeit über das Pensionsalter hinaus, schlägt Obrist vor. Insgesamt sei die Erwerbsbeteiligung in der Schweiz aber bereits sehr hoch. Zudem gehe der Trend bei Inländern eher in Richtung mehr Freizeit.
In vielen Berufen mit hohem Ersatzbedarf, zum Beispiel in der Pflege oder bei Fachärzten, sei der Spielraum für Automatisierungen auf absehbare Zeit eher gering. «Somit kann die anstehende Pensionierungswelle kurzfristig eigentlich nur mit mehr Zuwanderung bewältigt werden», befürchtet Obrist.
Einige KMU haben angesichts der personellen Engpässe begonnen, einen Teil ihrer Prozesse zu automatisieren. Alexander Fust hat beobachtet, dass einige Betriebe einen Teil ihrer Call-Center mithilfe von KI angepasst und Übersetzungsleistungen automatisiert hätten. Auch der Offertprozess sei mithilfe von KI stärker automatisiert worden und es seien auch spezifische GPTs für die eigenen Produktkataloge entwickelt worden.
Als weitere Massnahmen gegen den Fachkräftemangel schlägt der St. Galler Dozent vor:
- Eigene Ausbildung von Fachkräften (vor allem Lehrlinge, Förderung des Aufbaus von Quereinsteigern et cetera).
- Prozesse vereinfachen, standardisieren und automatisieren, damit die Anforderungen an die Tätigkeit reduziert werden und somit mehr Personen dafür gefunden werden können.
- Die Weiterbeschäftigung von pensionierten Personen, teilweise zu 100 Prozent, teilweise in einem Teilzeitpensum.
- Ermöglichen, dass auch kleinere Pensen angeboten werden. Davon könnten vor allem Frauen profitieren.
- Auf Co-Führungen setzen. So könnte die Verantwortung auf mehr Schultern verteilt werden und Teilzeit würde auch in diesen Funktionen ermöglicht.
Autor: Fredy Gilgen
KMU haben Aufholbedarf bei der künstlichen Intelligenz
KMU-Experte Philippe Obrist hat in seiner Beratungspraxis einen merklichen Unterschied zwischen grossen Unternehmen und KMU festgestellt. Die Grossen hätten häufig bereits Schritte unternommen, um generative künstliche Intelligenz in ihre Arbeitsabläufe zu integrieren. Dagegen seien viele KMU noch auf der Suche nach effektiven Möglichkeiten. «Oft fehlt es an Wissen, wie diese Technologie genutzt werden kann, aber auch, welche Risiken damit verbunden sind. Doch generative KI wie ChatGPT eröffnet eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten.» Die aktuelle Integration des KI-Tools Co-Pilot ins Microsoft 365 Office Paket vereinfache Routinearbeiten im Büroalltag und damit auch die Arbeitsabläufe. Häufig nutzten KMU die künstliche Intelligenz immerhin bereits für das Verfassen von Texten, Präsentationen oder Marketingaktivitäten.
Alexander Fust rechnet ebenfalls damit, dass die KMU in Zukunft noch mehr eigene «GPTs» oder Co-Pilot von Microsoft im eigenen Unternehmen einsetzen werden. So könnten sie die Gefahr reduzieren, dass ihre Daten die definierten Firmengrenzen verlassen. Der sorgfältige Umgang mit den Daten müsse sicherstellen, dass geheime Daten auch wirklich geheim bleiben und dass wichtiges Know-how die Firmen nicht verlassen könne.