«Die Zukunft gehört den digitalen Rechtsdienstleistungen» Juristische Handarbeit ist nicht immer sinnvoll – vor allem dann nicht, wenn es um die standardisierte Dokumentenerstellung geht. Fabian Staub, Co-Gründer von Casus Technologies, erklärt, wie Organisationen rechtliche Dokumente erstellen können.

Juristische Handarbeit ist nicht immer sinnvoll – vor allem dann nicht, wenn es um die standardisierte Dokumentenerstellung geht. Fabian Staub, Co-Gründer von Casus Technologies, erklärt, wie Organisationen rechtliche Dokumente erstellen können.

Fabian Staub von Casus Technologies, aufgenommen am 05. Juli 2024 in Zürich. © Michele Limina
Fabian Staub (33), Co-Founder und CEO von Casus mit Sitz in Zürich. (Bild: Michele Limina)

Herr Staub, Sie haben ursprünglich Diplomatie angestrebt. Was hat Ihre Leidenschaft für das Unternehmertum und die Selbstständigkeit geweckt?
Fabian Staub: Meine letzte Vollzeitanstellung war tatsächlich beim EDA, wo ich auf der Schweizer Botschaft in Kanada gearbeitet habe. Für mich war das eine sehr lehrreiche Zeit. Aber ich habe schnell gemerkt, dass die Strukturen in der öffentlichen Verwaltung nicht das sind, wo ich meine Stärken einbringen kann. Diese Erkenntnis hat mich schliesslich dazu gebracht, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.

Aus dieser Erkenntnis heraus haben Sie Casus Technologies gegründet. Welche Marktlücke haben Sie erkannt?
Juristische Arbeit ist oft sehr standardisiert und dennoch wird ein grosser Teil der Arbeit manuell erledigt. In gewissen Fällen macht das auch Sinn, besonders wenn Kreativität gefragt ist – wobei auch dieser Teil durch generative künstliche Intelligenz unter Druck gerät. Im juristischen Tagesgeschäft ist Handarbeit aber vor allem riskant und ineffizient, weil das manuelle Überschreiben von Vorlagen fehleranfällig und zeitaufwendig ist. Wir haben erkannt, dass wir durch die Verknüpfung rechtlicher Logik mit Software schnell eine grosse Wirkung erzielen können.

Können Sie uns an einem klassischen Beispiel das Geschäftsmodell von Casus erläutern?
Ein typischer Kunde ist eine Rechtsabteilung, die sicherstellen möchte, dass das unternehmensinterne juristische Know-how zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar ist. Mit Casus automatisieren unsere Kunden, auch dank dem Einsatz von künstlicher Intelligenz, selbst komplexe Rechtsdokumente. Dadurch kann die Erstellung dieser Dokumente an das Business delegiert werden. Das spart Zeit und verhindert Fehler. Ein Beispiel wäre eine Rechtsabteilung, die Vertragsvorlagen so automatisiert, dass diese auch von Nichtjuristen genutzt werden können – um Fehler zu vermeiden und die Effizienz zu steigern.

Sie sprechen von Rechtsabteilungen. Das klingt nach grösseren Unternehmen. Wer sind Ihre typischen Kunden?
Tatsächlich sind es oft grössere Unternehmen – das muss aber nicht so sein. Automatisierung macht vor allem bei hohem Dokumentenvolumen Sinn. Unsere Kunden reichen von kleinen Unternehmen mit hohem Vertragsvolumen bis hin zu Konzernen mit hoch standardisierten Abläufen. Entscheidend ist das Dokumentenvolumen, nicht die Branche oder Unternehmensgrösse. Grundsätzlich müssen unsere Kunden bereits über rechtliches Know-how und Vorlagen verfügen. Auch Branchen­verbände und HR-Teams nutzen Casus, da dort das Dokumentenvolumen sehr hoch ist. Diese Gruppen profitieren von der Effizienzsteigerung und der Fehlerreduktion durch unsere Software.

Über welche Art von Verträgen reden wir?
Unsere Software ist inhaltsagnostisch, das heisst, jede Art von Text, die einer gewissen Logik folgt, kann automatisiert werden. Die Anwendungsfälle sind sehr vielfältig und reichen von Datenschutz über Sales und Procurement bis hin zu Arbeitsrechtsdokumenten. Auch Immobilienfirmen können so beispielsweise Mietverträge gestalten.

Was war die grösste Herausforderung bei der Gründung von Casus?
Für einen Legal-Tech-Gründer, der weder als Jurist gearbeitet hat noch programmieren kann, ist es eine grosse Herausforderung, die richtigen Leute an Bord zu holen. Das Team ist alles. Ohne meinen Mitgründer und Produktchef Céleste Urech und die juristischen Masterminds Florian Stuber und Pierina Janett hätten wir nicht durchstarten können.

Die Finanzierung war also nicht die grösste Herausforderung?
Die Finanzierung war selbstverständlich ein wichtiger Schritt. Das Umfeld für Startup-Finanzierungen ist schwierig. Da hat es geholfen, dass wir gut vernetzt sind.

Konnten Sie auf die Unterstützung Ihrer Familie zählen?
Ja, das war anfangs unerlässlich. Ein Startup zu gründen bedeutet, dass man immer wieder auf verschlossene Türen trifft. Auch dank des Netzwerks meines Vaters, der als Rechtsanwalt tätig ist, liessen sich einige Türen etwas leichter öffnen. Mittlerweile können wir uns auf ein sehr breites Netzwerk verlassen, besonders auch auf unsere diversifizierte Investorenschaft.

«Die Kombination aus KI und ­menschlicher ­Expertise ­revolutioniert unsere Branche.»

Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?
Das Team ist der entscheidende Faktor, ob ein Unternehmen wie unseres Erfolg haben kann. Es ist wichtig, dass man sich gegenseitig die Sicherheit gibt, etwas auszuprobieren, und auch bei Miss­erfolgen voll und ganz unterstützt wird. Ein offener und kritischer Austausch ist essenziell. Wir lernen aus unseren Fehlern und wachsen daran.

Casus ist nicht die einzige No-Code-Lösung auf dem Markt: Wie hebt ihr euch von den anderen ab?
Casus ist besonders wirkungsvoll, wenn die Dokumentenerstellung ans Business delegiert wird, also an Nichtjuristinnen und Nichtjuristen. Unsere User Experience ist klar und übersichtlich, und alle Daten bleiben in der Schweiz. Kunden schätzen die einfache Handhabung und die Sicherheit, dass ihre Daten lokal gespeichert werden.

Einige könnten argumentieren, dass die Automatisierung von Dokumenten die menschliche Expertise entwertet. Sind diese Bedenken berechtigt?
In bestimmten Fällen, ich denke beispielsweise an die Beratung bei einer Scheidung, kann die menschliche Komponente im Vordergrund stehen. Grundsätzlich glauben wir aber, dass wir die Rechtsberatung verbessern können, weil mehr Daten in kürzerer Zeit effektiver verarbeitet werden können. Die menschliche Komponente, die strategische und kreative Beratung, wird weiterhin gefragt sein, aber die datenbasierte Arbeit wird zunehmend automatisiert.

Eine Balance zwischen ­Automatisierung und persönlicher Beratung ist also wichtig …
Viele unserer Kunden sind es nicht ­gewohnt, Software einzukaufen, besonders Rechtsabteilungen. Daher begleiten wir sie von der Bedürfnisanalyse bis zum Roll-out. Es geht oft um Change-­Management, das wir gemeinsam meistern. Wir helfen den Kunden, ihre ­Prozesse zu optimieren und die Mitarbeitenden mitzunehmen.

Welche Rolle spielt künstliche ­Intelligenz in Ihren Produkten und wie profitieren Ihre Kunden davon?
Unsere KI wird hauptsächlich in zwei Bereichen eingesetzt: bei der Automatisierung von Dokumentenvorlagen und der Unterstützung bei der Vorlagen­suche. Bei der Vorlagenautomatisierung sorgt die KI dafür, dass selbst komplexe Zusammenhänge innerhalb des Compliance-­Frameworks der Kunden erkannt werden. Das macht die Technologie besonders wirksam. Bei der Vorlagensuche hilft die KI den Endnutzern durch gezielte Rückfragen, die richtige Vorlage zu finden, was besonders bei einer grossen Anzahl von Vorlagen nützlich ist.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Software stets den aktuellen rechtlichen Standards und Compliance-Richtlinien entspricht?
Das hat höchste Priorität. Unsere Software verarbeitet sensible Daten, daher ist die Einhaltung der höchsten Datenschutz- und Sicherheitsstandards ein Selbstverständnis.

Wie sehen Sie die Zukunft der Dokumentenautomatisierung?
Die Zukunft gehört den digitalen Rechtsdienstleistungen. Die Verbindung von unternehmensinternem Know-how mit der Leistungsfähigkeit vortrainierter Sprachmodelle wird den Prozess der Rechtsberatung und -dienstleistung bestimmen. Die Kombination aus KI und menschlicher Expertise revolutioniert unsere Branche.

Welchen Rat würden Sie jungen Entrepreneuren geben, die ein eigenes Tech-Startup gründen möchten?
Es ist wichtig, sich mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzutun, die an die Vision glauben und bereit sind, durch schwierige Zeiten zu gehen. Mein Rat ist, nicht zu lange zu zögern und sich darauf gefasst zu machen, immer wieder Gegenwind und Stürmen ausgesetzt zu sein. Es erfordert Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen.

Interview: Maurice Müller

Zur Person

Fabian Staub (33) ist Co-Founder und CEO von Casus, einem Spin-off der Universität St. Gallen (HSG) mit Sitz in Zürich. Er studierte Rechtswissenschaften in Zürich, St. Gallen und Uppsala (Schweden). Danach war er Forschungs- und Projektassistent im Bereich ­Legal Innovation an der HSG. Casus wurde vor drei Jahren gegründet und zählt inzwischen Unternehmen und Organisa­tionen wie Viseca, Vitra und den Schweizerischen Baumeister­verband (SBV) zu seinen Kunden. Für seine unternehmerischen Leistungen wurde Fabian Staub 2020 in die «Forbes 30 Under 30»-Liste aufgenommen.

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