«Mobility ermöglicht es den Menschen, einfach und günstig ein Elektroauto zu testen» GLP-Nationalrat und «Swiss eMobility»-Präsident Jürg Grossen ist überzeugt: Elektromobilität und Carsharing haben das Potenzial, die Verkehrswende entscheidend zu gestalten – doch dazu braucht es mehr politischen Willen und eine bessere Ladeinfrastruktur im privaten Raum.
GLP-Nationalrat und «Swiss eMobility»-Präsident Jürg Grossen ist überzeugt: Elektromobilität und Carsharing haben das Potenzial, die Verkehrswende entscheidend zu gestalten – doch dazu braucht es mehr politischen Willen und eine bessere Ladeinfrastruktur im privaten Raum.
Jürg Grossen, wir treffen uns in Frutigen, wo Sie leben und arbeiten. Das Berner Oberland gehört nicht gerade zu den Carsharing-Hotspots. Stört Sie das?
Das muss man differenziert betrachten. Natürlich bin ich ein grosser Befürworter von Carsharing. Gleichzeitig weiss ich, dass das eigene Auto gerade in ländlichen Gegenden nach wie vor einen hohen Stellenwert hat. Das ist verständlich. Das öV-Angebot ist in solchen Regionen oft schlechter, die Wohngebiete verzettelter. Das eigene Auto bedeutet Freiheit und Flexibilität. Carsharing-Potenzial sehe ich im ländlichen Raum vor allem im Geschäftsbereich.
Inwiefern?
In unserer Firma verfügen wir seit vielen Jahren über einen Pool von Elektrofahrzeugen, heute sind es zehn Modelle verschiedener Marken. Diese stehen unseren Mitarbeitenden ständig zur Verfügung. Nebst der Flexibilität, die das Flottenmodell unseren Mitarbeitenden bietet, verringern wir dank den Elektroautos unseren CO2-Ausstoss – und das alles bei viel tieferen Betriebs- und Wartungskosten.
Elektro ist ein gutes Stichwort. Die Entwicklung bei den E-Autos stockte zuletzt. Woran liegts?
Die Zulassungszahlen sind in der Tat stagnierend – und das ist ein Problem. Ein Grund dafür ist, dass die Schweiz zu tiefe Flottenziele definiert hat. Dadurch fehlt in diesem Jahr den Importeuren der Anreiz, E-Autos ins Land zu holen. Ab 2025 folgen jedoch in Anlehnung an die EU wesentlich höhere Flottenziele und strengere CO₂-Regeln für Neuwagen, was die Entwicklung wieder ankurbeln sollte.
Dabei wäre die Ausgangslage in der Schweiz doch ideal: Die Ladeinfrastruktur zum Beispiel wird fortlaufend ausgebaut.
Hier muss man zwischen der öffentlichen und der privaten Infrastruktur unterscheiden. Im öffentlichen Bereich – beispielsweise auf den Autobahnen – wurde in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Anders sieht die Situation hingegen im privaten Bereich aus. Dort besteht ein grosses Manko.
Können Sie das näher ausführen?
Die Verkaufszahlen von Elektroautos stagnieren nicht zuletzt deshalb, weil die Installation von Ladeinfrastruktur in vielen Mehrparteien-Liegenschaften verzögert stattfindet oder gar gänzlich verhindert wird. Während Eigentümer von Einfamilienhäusern sich selber um ihre Infrastruktur kümmern können, sind Mieterinnen und Mieter auf die Initiative ihrer Vermieter angewiesen.
«Mit der tiefsten Wohneigentumsquote in Europa ist die Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Elektromobilität in der Schweiz am schlechtesten.»
Und weil wir ein Land von Mieterinnen und Mietern sind, ist dies von besonderem Interesse.
Genau. Über 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung lebt in den Wohnformen Miete, Stockwerkeigentum oder Genossenschaft. Mit der tiefsten Wohneigentumsquote in Europa ist unsere Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Elektromobilität am schlechtesten. Umso mehr freut es mich, dass der Nationalrat die Handlungsnotwendigkeit erkannt hat und kürzlich meine Motion «Laden von Elektroautos im Mietverhältnis und Stockwerkeigentum» angenommen hat.
Welche Ziele verfolgen Sie mit diesem Vorstoss?
Mit der Motion soll die Voraussetzung geschaffen werden, dass Ladestationsprojekte grundsätzlich nicht mehr verboten werden können. Ich ziehe hier gerne den Vergleich zum Fernmeldegesetz: Darin ist ein Duldungsrecht für den Internetanschluss in Wohnungen festgeschrieben. Dass mein Vorstoss im Nationalrat mit 110 Ja-Stimmen angenommen wurde, werte ich als wichtigen Schritt.
Ein weiteres heisses politisches Eisen betrifft die Verkehrsinfrastruktur. Ende November stimmt die Schweiz über einen massiven Autobahnausbau ab. Ihre Meinung dazu?
Aus Sicht der individuellen Mobilität macht es natürlich Sinn, dass die Strasseninfrastruktur gut erhalten ist und punktuell auch ergänzt wird, falls sich ein Nadelöhr entwickelt. Bei den nun vorliegenden Plänen handelt es sich aber nicht um eine Engpassbeseitigung, sondern um einen klaren Ausbau. Das geht zu weit.
Fakt ist doch aber, dass der Verkehr auf den Strassen landauf, landab stockt – und das jeden Tag und längst nicht nur zu den Stosszeiten.
Daran werden auch zusätzliche Fahrspuren nichts ändern. Viel wichtiger ist, dass wir künftig mit mehr Intelligenz operieren. Das bedeutet etwa, dass wir bei der Verkehrsleitung einen Schritt nach vorne machen. Oder eben auch, dass wir noch stärker in innovative Mobilitätskonzepte investieren. Es braucht nicht mehr Asphalt und Beton, sondern mehr Intelligenz.
« Je mehr E-Autos zur Flotte von Mobility gehören, desto mehr Menschen haben die Chance, einfach und günstig ein Elektroauto zu testen. »
Intelligent ist es auch, wenn Autos mehreren Personen zur Verfügung gestellt werden. Wir nennen es Carsharing.
Die gemeinschaftliche Nutzung von Fahrzeugen, wie sie Mobility fördert, wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Dass sich Mobility zudem zum Ziel gesetzt hat, die bestehende Flotte nach und nach zu elektrifizieren, ist ebenfalls positiv zu bewerten. Nebst den offensichtlichen Punkten gibt es für das E-Carsharing ein weiteres, softeres Argument, das nicht zu unterschätzen ist.
Nämlich?
Je mehr E-Autos zur Flotte von Mobility gehören, desto mehr Menschen haben die Chance, einfach und günstig ein Elektroauto zu testen. Dadurch lassen sich womöglich noch immer vorhandene Hemmungen abbauen.
Neue Technologien brauchen immer etwas Zeit. Was halten Sie vom Projekt V2X und der Idee, dass E-Autos als mobile Powerbanks genutzt werden könnten?
Das ist die Zukunft. In unserem Betrieb setzen wir schon heute auf bidirektionale Ladetechnologien – und ich bin überzeugt, dass sich diese Technologie dereinst durchsetzen wird.
Woher kommt diese Überzeugung?
Mit dem neuen Stromversorgungsgesetz hat das Stimmvolk im Juni 2024 beschlossen, dass die Solarenergie noch stärker vorangetrieben werden soll. Diese wird vor allem auf den Gebäuden produziert – und damit dort, wo auch die Elektroautos geladen werden. Deshalb macht es nur Sinn, dass man die E-Autos über bidirektionale Ladeinfrastruktur mit der Solarenergie verbindet.
Was bringt das genau?
Ganz einfach: Wenn man viel Solarstrom hat, kann man mit hoher Ladeleistung die Batterie des Elektroautos aufladen. Und später, wenn die Sonne nicht mehr scheint – zum Beispiel nachts – kann man aus dieser Batterie heraus das Gebäude oder sogar das Stromnetz versorgen. Das reduziert den Ausbaubedarf der Stromnetze wesentlich. Ich halte die bidirektionale Ladetechnologie für ein Schlüsselelement der beschlossenen Energiewende.
Jürg Grossen ist Nationalrat (GLP) und Mitinhaber sowie Co-Geschäftsführer der Firmen Elektroplan Buchs & Grossen AG und der ElektroLink AG. Zudem amtet er als Verwaltungsratspräsident des Unternehmens Smart Energy Link (SEL). Seit 2017 ist Grossen Präsident der Grünliberalen Partei Schweiz. Darüber hinaus ist der gelernte Elektroplaner als Präsident von Swiss eMobility tätig. Der 55-Jährige ist in Saanen/Gstaad und in Frutigen aufgewachsen, wo er mit seiner Familie heute noch wohnt.