Europa schwächelt, das macht die Schweiz besonders attraktiv für ausländische Arbeitskräfte – wie viele kommen, hängt aber nicht vom Ausland ab Boom und Krisen im Ausland bestimmen, aus welchen Ländern Arbeitskräfte in die Schweiz einwandern.
Boom und Krisen im Ausland bestimmen, aus welchen Ländern Arbeitskräfte in die Schweiz einwandern.
Deutschland steckt in der Krise. Kein Tag vergeht ohne neue Analysen, woran die Wirtschaft krankt, wo es zu Werkschliessungen kommt und wie die überbordende Bürokratie lähmende Zwänge schafft. Man spricht über den kranken Mann in Europa – doch auch in den anderen Ländern harzt es konjunkturell. Die Schweiz wird so mit ihren guten Löhnen für EU-Bürger im Vergleich immer attraktiver. Solche Überlegungen können der Befürchtung Auftrieb geben, dass sich die Schweiz auf eine immer stärkere Zuwanderung einstellen muss. Die Schweiz – ein Sehnsuchtsort für die halbe EU: für viele keine schöne Vorstellung.
Der Sog der Schweiz wirkt stärker als Krisen im Ausland
Eine der Stärken der Personenfreizügigkeit sei, dass sie die Zuwanderung konjunkturabhängig steuere, sagt Reto Föllmi, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Brummt die Wirtschaft, werden mehr Stellen ausgeschrieben. Umso stärker kommen dabei auch Arbeitskräfte aus dem Ausland zum Zug. In konjunkturellen Schwächephase kühlt sich das Stellenwachstum hingegen ab. Es werden weniger Arbeitskräfte eingestellt. Die Zuwanderung sinkt.
Das bedeutet: Die von der Schweiz bestimmten «Pull-Faktoren» fallen stärker ins Gewicht als die «Push-Faktoren» im Ausland. Die Ausländerinnen und Ausländer sind ein wichtiger Puffer für den Schweizer Arbeitsmarkt. Ohne ihn wäre die Arbeitslosigkeit im Inland im Abschwung höher und die Fachkräfteknappheit im Aufschwung höher.
«Etwas vereinfacht gesagt, wird in der Schweiz entschieden, wie viele Stellen geschaffen werden und wie viele Zuwanderer in die Schweiz kommen», sagt Michael Siegenthaler, Leiter Arbeitsmarkt bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH. Hingegen bestimme die wirtschaftliche und politische Situation in den Herkunftsländern darüber, wer in die Schweiz komme beziehungsweise wie sich die Zusammensetzung der Nationalitäten entwickle.
Dabei gibt es eine inoffizielle Hackordnung. Deutsche, Franzosen und Italiener werden tendenziell bevorzugt, nicht zuletzt wegen der Kenntnis der Landessprachen. Läuft es in diesen Herkunftsländern gut, wird die Pipeline von auswanderungswilligen Menschen dünner. Dann kommen vermehrt Menschen aus kulturell weiter entfernten Ländern zum Zug.
Bei den Deutschen beispielsweise war die Zuwanderung vor allem zu Beginn der Personenfreizügigkeit hoch. Gegen Ende der 2010er Jahre, nach der Umsetzung der stimulierenden Reformen der Agenda 2010 des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder, verbesserte sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Es siedelten weniger Deutsche in die Schweiz über. 2021 übernahm die inzwischen gescheiterte Ampelregierung von Olaf Scholz – die Zuwanderung aus Deutschland steigt wieder.