Trotz wirtschaftlicher Normalisierung wird sich der Wettbewerb um knappe Arbeitskräfte weiter verschärfen Die Pandemie war eine Ausnahmesituation, doch strukturelle Gründe führen dazu, dass sich der Fachkräftemangel verschärft. Interessanterweise besonders betroffen ist Deutschland, während die Schweiz dank der Immigration vorläufig besser dasteht.
Die Pandemie war eine Ausnahmesituation, doch strukturelle Gründe führen dazu, dass sich der Fachkräftemangel verschärft. Interessanterweise besonders betroffen ist Deutschland, während die Schweiz dank der Immigration vorläufig besser dasteht.
Zuerst sassen sie alle zu Hause, dann fehlten sie plötzlich überall: die Arbeitskräfte. In der Corona-Pandemie führten der Nachholbedarf beim Konsum zusammen mit Lieferschwierigkeiten dazu, dass viele Firmen plötzlich händeringend nach Arbeitskräften suchten.
Nun ist die Pandemie vorbei und erwartet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine sich trotz allen Risiken weiter normalisierende Weltwirtschaft. Das globale Wachstum soll in diesem Jahr 3,2 und im nächsten und übernächsten Jahr 3,3 Prozent betragen. Für die Euro-Zone wird ein Anstieg von in diesem Jahr 0,8 auf 1,5 Prozent prognostiziert, während das Wachstum in den USA von 2,8 auf 2,2 Prozent zurückgehen soll.
Über ein Drittel der deutschen Firmen in Schwierigkeiten
Während die konjunkturelle Entwicklung zu einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt führen sollte, hat der Fachkräftemangel bisher bemerkenswert wenig abgenommen. Die OECD prognostiziert, dass sich die Engpässe über die nächsten Jahre – allerdings je nach Sektor und Anforderungsprofil sehr unterschiedlich ausgeprägt – strukturell verschärfen werden.
In Deutschland ist der Arbeitskräftemangel besonders ausgeprägt
Anteil der Firmen in einem Sektor, die im Sommer 2024 über einen ernsthaften Arbeitskräftemangel in den vergangenen zwei Jahren berichteten, in Prozent.
In einer im Sommer 2024 in allen 34 OECD-Ländern plus Brasilien und Südafrika durchgeführten Umfrage gaben je nach Land zwischen 70 und 88 Prozent aller Unternehmen an, in den vergangenen zwei Jahren Probleme gehabt zu haben, genügend Arbeitskräfte zu finden. Zwischen 13 Prozent in Korea und 36 Prozent in Deutschland berichten von ernsthaften Schwierigkeiten.
Interessant wirkt dabei, dass ausgerechnet Deutschland, das mit einer wirtschaftlichen Rezession kämpft, den höchsten Arbeitskräftemangel rapportiert. Besonders ausgeprägt ist dieser in der Informatik- und Kommunikationsbranche (ICT), aber auch im Gesundheitssektor und in der Industrie hat über ein Drittel der Unternehmen grosse Probleme, die benötigten Arbeitskräfte zu finden. Deutschlands Wirtschaft scheint unter einer unflexiblen Erwerbsbevölkerung und einem Bildungssektor zu leiden, der zu wenig auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnitten ist.
Besonders ausgeprägt ist der Arbeitskräftemangel auch in den wirtschaftlich boomenden Vereinigten Staaten. Die Schweiz hingegen steht in Europa am besten da. Dies allerdings vor allem, weil sie so attraktiv war, dass es ihr im Rahmen der geltenden Personenfreizügigkeit mit den EU-Ländern gelungen ist, fehlende Arbeitskräfte anzuziehen. Doch selbst in der Schweiz hat ein Fünftel der im ICT-Sektor tätigen Firmen Mühe, die benötigten Fachkräfte zu finden. Im Baugewerbe klagt gar über ein Drittel der Unternehmen über Arbeitskräftemangel.
Problematisch wirkt, dass in ganz Europa generell vor allem die kleineren und innovativen neuen Firmen besonders ausgeprägt Mühe haben, Fachkräfte zu finden. Viele von ihnen sind noch im Aufbau. In vielen Staaten ist es zudem schwierig, Löhne zu kürzen und einmal angestellte Arbeitskräfte wieder zu entlassen. Kleinere neue Firmen scheuen sich deshalb offenbar, höhere Löhne zu bezahlen, um Lücken zu schliessen.
Die gesuchten Fähigkeiten verändern sich
Seit der Pandemie haben sich die Engpässe in der OECD vor allem für Tätigkeiten entspannt, die weniger Qualifikationen erfordern, wobei körperlich anspruchsvolle Tieflohnbranchen eine Ausnahme bilden. Der Wettbewerb um Fachkräfte hingegen nimmt schon seit 2013 vor allem aus drei strukturellen Gründen zu:
Erstens führt der technologische Wandel dazu, dass in den entwickelten Ländern noch verstärkt hochqualifizierte Arbeitskräfte gesucht werden und sich die benötigten Qualifikationen ändern. Zweitens beschleunigt die angestrebte Transformation in eine möglichst klimaneutrale Wirtschaft die Veränderungen bei der Arbeitsnachfrage. Drittens haben die Digitalisierung und der Einsatz künstlicher Intelligenz bisher nicht zu einer verminderten Arbeitsnachfrage geführt, sondern die besonders gesuchten Tätigkeiten und Fähigkeiten verändert.
Und schliesslich gewinnt ein vierter Trend an Bedeutung, der das Arbeitsangebot insgesamt verknappt: Die Alterung der Gesellschaft reduziert den Anteil der Arbeitskräfte. Dies wird sich in den kommenden Jahren noch beschleunigen.
Offenheit gegenüber technologischem Fortschritt, ein effizientes Aus- und Weiterbildungssystem, steuerliche Anreize zu einer vermehrten Erwerbstätigkeit, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Offenheit gegenüber Zuwanderung können am ehesten dafür sorgen, dass dies nicht zu einem sinkenden Wohlstand führt.