Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten: Die Schweiz eilt der EU hinterher Die südamerikanische Staatengruppe hat sich mit der EU auf einen Freihandelsvertrag geeinigt. Das setzt die Schweiz unter Druck. Sie muss einen seit Jahren halbfertigen Vertrag endlich abschliessen.

Die südamerikanische Staatengruppe hat sich mit der EU auf einen Freihandelsvertrag geeinigt. Das setzt die Schweiz unter Druck. Sie muss einen seit Jahren halbfertigen Vertrag endlich abschliessen.

Das Abkommen zwischen den EFTA-Staaten mit Mercosur (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay) hat eine grosse wirtschaftliche Bedeutung für die Schweiz. (Adobe)

Die Sprache der Behörden ist oft rätselhaft. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn Regierungen verkünden, ein Abkommen sei «in der Substanz» abgeschlossen?

Als gutgläubiger Bürger könnte man meinen, das Abkommen sei praktisch unter Dach und Fach. Hier und da noch einige Fussnoten, vielleicht die eine oder andere Präzisierung, aber im Grossen und Ganzen sei die Sache unterschriftsreif.

Fünf Jahre Stillstand

So dachten viele im August 2019, als der Bundesrat verkündete, die Efta habe in den Freihandelsgesprächen mit dem Mercosur eine Einigung «in der Substanz» erzielt. Zur Efta gehören die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein – zusammen haben diese Länder 15 Millionen Einwohner. Zum Mercosur zählen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – macht etwa 260 Millionen Einwohner.

Mehr als fünf Jahre nach der Ankündigung wartet die Schweiz noch immer auf einen Vertragsabschluss. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Mercosur-Staaten neuen Handelsabkommen verschliessen. Am Freitag einigte sich der Staatenbund vielmehr mit der EU auf ein Handelsabkommen. Damit verbunden ist die Gefahr, dass die Schweiz im Handel mit Südamerika in eine ungünstigere Position gerät.

«Wir geraten hoffentlich nur temporär ins Hintertreffen», sagt Jan Atteslander, der beim Wirtschaftsverband Economiesuisse für Fragen des Aussenhandels zuständig ist. Nun sei es wichtig, zügig das Abkommen abzuschliessen. «Wenn dies nicht gelingt, bleibt ein empfindlicher Wettbewerbsnachteil bestehen», sagt Atteslander. Ein Abkommen sei im Interesse aller Exportbranchen in der Schweiz.

Bundesbern beschwichtigt. Die Verzögerungen werden mit der Pandemie und Regierungswechseln in Südamerika erklärt. Seit April dieses Jahres habe sich der Kontakt zu den Mercosur-Staaten aber wieder intensiviert, heisst es aus Verhandlungskreisen. Man sei schon sehr weit – 2025 erscheine als realistisches Ziel für den Vertragsabschluss.

Stark positive Handelsbilanz

Bewahrheitet sich die Zuversicht, käme die Schweiz nur knapp hinter der EU ins Ziel – und vielleicht sogar früher. Denn das Abkommen der EU muss noch einige Hürden meistern. Mitgliedsländer wie Frankreich und Polen stemmen sich gegen den Vertrag, nicht zuletzt weil die Bauern die südamerikanische Konkurrenz fürchten. Auch in Umweltkreisen regt sich Widerstand, etwa mit Blick auf den Schutz des Regenwaldes.

Der Schweiz und den anderen Efta-Mitgliedern kommt zugute, dass die Mercosur-Staaten nach der Unterzeichnung des Vertrags mit der EU nun wieder mehr Kapazitäten haben, um sich der Efta zuzuwenden. Denn offene Punkte gebe es noch viele, heisst es in Bern. Dazu gehören Themen der Nachhaltigkeit, der Ursprungsregeln, des Beschaffungswesens und der Dienstleistungen.

Von besonderer Bedeutung für die Schweiz und deren Pharmafirmen ist zudem der Schutz geistigen Eigentums. Ein solcher Schutz steht aber allenfalls einer raschen Vermarktung von kostengünstigen Generika, auf die Südamerika stark angewiesen ist, im Wege. Die Schweiz glaubte, das Thema eigentlich schon 2019 geregelt zu haben. Doch Brasilien brachte den Streitpunkt jüngst wieder an den Verhandlungstisch zurück.

Pharmaprodukte sind neben Maschinen und Uhren massgeblich dafür verantwortlich, dass die Schweiz weit mehr Waren in den Mercosur-Raum exportiert, als sie von dort importiert. Betrugen die Ausfuhren im letzten Jahr rund 3,6 Milliarden Franken, lagen die Import (ohne Gold) bei 648 Millionen Franken. Der Handelsbilanzüberschuss verzeichnet, abgesehen von einer Delle während der Pandemie, einen steigenden Trend.

Wenig Konzessionen im Agrarbereich

Mittelfristig soll das Abkommen mit dem Mercosur dazu führen, dass die Zölle für rund 95 Prozent der Schweizer Warenexporte abgeschafft werden. Angesichts der hohen Zölle im Mercosur-Raum – der durchschnittliche Zollsatz auf Schweizer Waren liegt bei 7 Prozent, mit Spitzenwerten von bis zu 35 Prozent – werden die damit verbundenen Einsparungen auf etwa 180 Millionen Franken pro Jahr geschätzt.

Das sind substanzielle Sparpotenziale. Damit sie auch realisiert werden können, muss aber auch die Schweizer Landwirtschaft vom Abkommen überzeugt werden. Diese ist in hohem Mass vor ausländischer Konkurrenz abgeschirmt und verlangt eine Aufrechterhaltung dieses Grenzschutzes. Sie stellt traditionsgemäss das grösste Hindernis dar beim Abschluss neuer Handelsabkommen.

Das Hindernis sollte dieses Mal jedoch klein sein. Denn die im Agrarbereich gemachten Konzessionen entsprechen de facto einer blossen Konsolidierung der bereits aus den Mercosur-Ländern in die Schweiz importierten Produkte. Das gilt vor allem mit Blick auf die Einfuhr von Fleisch. Im Wirtschaftsdepartement erwartet man daher nicht, dass ein Abkommen zwingend zu mehr Agrarimporten führt.

Wenngleich die Bestimmungen im Agrarbereich wenig einschneidend sein dürften, bleibt der Schweizer Bauernverband vorsichtig. Auf Anfrage heisst es, ein Mercosur-Abkommen müsse den Eigenheiten und Herausforderungen der Schweizer Landwirtschaft Rechnung tragen, etwa dem hiesigen Kostenniveau und den hohen Anforderungen an die Produktion. Man werde die Konzessionen studieren, wenn sie vorlägen.

Klagen in Unkenntnis des Vertrags

Zwar bestehen die derzeit eingeführten Agrarprodukte vor allem aus Sojabohnen und rohem Kaffee, der danach in gerösteter Form wieder ausgeführt wird. Das tangiert hiesige Bauern kaum. Deren Plazet kann in einem allfälligen Referendum aber nicht vorausgesetzt werden. Dasselbe gilt für die Umweltverbände, die in Unkenntnis des Vertrags bereits prophylaktisch einen mangelnden Schutz der Menschenrechte und des Amazonas-Regenwaldes beklagen. Die politische Schwerarbeit dürfte erst nach Vertragsabschluss so richtig beginnen.

Thomas Fuster, «Neue Zürcher Zeitung»

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