«Wir müssten die Schweiz verlassen. Wir haben keine andere Wahl», sagt ein prominenter Unternehmer zur Erbschaftssteuerinitiative der Juso Die Juso-Initiative zielt auf die Superreichen und trifft die Familienunternehmen. Eine neue Umfrage zeigt: Fast jedes zweite Unternehmen trifft Abklärungen für einen Wegzug. Sogar Gewerkschafter gehen auf Distanz.

Die Juso-Initiative zielt auf die Superreichen und trifft die Familienunternehmen. Eine neue Umfrage zeigt: Fast jedes zweite Unternehmen trifft Abklärungen für einen Wegzug. Sogar Gewerkschafter gehen auf Distanz.

Die Zukunft könnte weniger rosig sein, als die Initianten glauben: Die Erbschaftssteuerinitiative der Juso lässt Unternehmen über Standortalternativen nachdenken. (Foto: PD)

Die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen hätte niemanden verschont. Fliegen und Autofahren wären staatlich rationiert worden, alle Schweizer hätten ihren Lebensstil einschränken müssen. Zielsicher versenkte die Stimmbevölkerung das Vorhaben vor einer Woche mit 70 Prozent.

Die im letzten Sommer eingereichte Erbschaftssteuerinitiative der Jungsozialisten zielt hingegen auf eine Minderheit. Sie ist so klein, dass man viele Betroffenen sogar mit Namen kennt. Sie finden sich auf den einschlägigen Listen der Reichen und Superreichen. Geht es nach den Vorstellungen der Juso, sollen sie bei Erbschaften über 50 Millionen Franken die Hälfte dem Staat abliefern. Mit den Einnahmen solle der Klimawandel sozialverträglich bekämpft werden, so die Initianten.

Vermögen liegen nicht auf dem Bankkonto

Zum Kreis der Betroffenen zählt der Unternehmer Hans-Christian Schneider, Sohn des früheren Bundesrates Johann Schneider-Ammann und Vertreter der sechsten Generation der Berner Industriellenfamilie. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» schätzt ihr Vermögen auf 600 bis 700 Millionen Franken. Kommt die Initiative durch, müssten die Schneiders bei der Vererbung ihrer Firmen an die nächste Generation mehrere hundert Millionen Franken an den Staat abliefern.

«Wo liegt das Problem, wenn man so viel Geld hat?», mögen sich manche fragen. Das Problem ist, dass die Schneiders ihr Vermögen zum Grossteil in ihre Firma, der Ammann Group, investiert haben. «Die Vorstellung, dass unser Vermögen auf dem Bankkonto liegt, ist komplett falsch», sagt Hans-Christian Schneider, CEO der Ammann Group.

Über Generationen hinweg habe seine Familie das Geld in der Firma behalten und Arbeitsplätze in der Schweiz geschaffen – selbst wenn das betriebswirtschaftlich nicht immer gerechtfertigt gewesen sei. «Wird die Initiative angenommen, geht das nicht mehr», sagt er. «Wir müssten die Liquidität beschaffen, um diese zusätzlichen Steuern bezahlen zu können.» Dadurch würden dem Unternehmen Mittel entzogen, welche dann nicht mehr für Innovationen und Investitionen zur Verfügung stünden.

Umstrittene Rückwirkungsklausel

Die Juso wollen mit ihrer Initiative die Ultrareichen schröpfen, doch sie treffen die Familienunternehmen. Denn jene Reichen, die ihr Geld in Aktien, Kunst und Jachten angelegt haben, können sich über Nacht nach Monaco oder Dubai absetzen. Dort sind die Steuern schon heute tiefer. Familienunternehmen sind hingegen an die Schweiz gebunden. «Die Initiative nimmt Unternehmen und Familien in Geiselhaft», sagt Jean-Pascal Bobst, CEO des weltweit tätigen Maschinenbauers Bobst.

Entsprechend hoch ist die Nervosität. In einer neuen Umfrage des Industrieverbandes Swissmem bei seinen Mitgliedern sagen 33 Prozent der Unternehmen, dass sie von der Initiative betroffen wären. Fast die Hälfte dieser Firmen hat Abklärungen über einen Wegzug aus der Schweiz eingeleitet. Je knapp 30 Prozent sagen, dass ihre Firma in ihrer heutigen Form nicht weiterbestehen könnte oder an einen Investor verkauft werden müsste.

Die Antworten zeigten, wie gross die Verunsicherung sei, sagt der Swissmem-Präsident Martin Hirzel. «Manche Unternehmer fühlen sich regelrecht verraten. Sie haben über Generationen eine Firma aufgebaut. Nun will man ihnen dies wegnehmen.»

Für Hektik sorgt vor allem die Forderung der Initiative, dass die Behörden Massnahmen ergreifen müssten gegen Steuervermeidung durch Wegzug. Bei einem Volks-Ja sollen Landesflüchtige rückwirkend besteuert werden. Der Bundesrat hat zwar im Dezember angekündigt, dass dies rechtlich ausgeschlossen sei. Doch dies sorgt höchstens halbwegs für Beruhigung. Angesichts der unklaren Rechtslage gebe es viele Unternehmer, die auf Nummer sicher gingen und den Wohnsitz prophylaktisch ins Ausland verlegten, sagt Norbert Kühnis, Leiter Familienunternehmen bei der Beratungsfirma PwC Schweiz. Wer sich dafür entscheide, mache das konsequent: «Die Leute wissen, dass eine Wohnsitzverlegung von den Behörden überprüft wird. Sie haben eine Checkliste mit den Kriterien, die sie erfüllen müssen.»

Allein seit Anfang Jahr seien über hundert Anfragen zu diesem Thema eingegangen, sagt Philipp Heer, CEO des VZ Vermögenszentrums, das Unternehmer bei Nachfolge- und Steuerfragen berät. Bereits feststellbar sei, dass Firmenanteile frühzeitig an die nächste Generation weitergegeben würden. Wohnsitzverlegungen seien nach den Zusicherungen des Bundesrates aber seltener geworden. «Einige planten bereits den Wegzug, sie scheinen den Entscheid nun aber aufzuschieben bis zur Abstimmung», sagt Heer.

Auch Bobst würde Firmensitz verlegen

Die Familie von Hans-Christian Schneider hat sich noch nicht entschieden, wie sie auf die Initiative reagieren soll. «Wir haben eine Eventualplanung gemacht. Die Einschnitte durch die Initiative wären viel zu gross, um das Risiko zu ignorieren», sagt er.

Der Westschweizer Unternehmer Jean-Pascal Bobst hat seinen Entscheid bereits gefällt: «Bei einer Annahme der Initiative müssen wir die Schweiz verlassen. Wir haben keine andere Wahl.» Sein Unternehmen habe allein durch die Frankenstärke in den letzten zehn Jahren einen Umsatzverlust von 450 Millionen Franken erlitten. «Das haben wir akzeptiert, weil wir zum Werkplatz Schweiz stehen. Aber wenn die Initiative angenommen wird, werden wir die Konsequenzen ziehen.»

Stadler-Rail-Patron Peter Spuhler und der Basler Unternehmer Thomas Straumann haben bereits in der Vergangenheit angekündigt, dass sie die Schweiz verlassen würden. Die Initianten lassen sich davon nicht irritieren: «Das ist pure Angstmacherei. Die Initiative wird im Gegensatz zur Klimakrise weder Familienunternehmen noch Arbeitsplätze zerstören», sagt Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann.

Die Firmen könnten Kredite aufnehmen, wenn ihnen die flüssigen Mittel fehlen, um die Steuern zu bezahlen, schlagen die Initianten vor. Industrievertreter halten dies für Augenwischerei. Die Firmenwerte würden den Banken vielfach nicht reichen als Sicherheit, da viele Industriefirmen dünne Margen haben, sagt Swissmem-Präsident Hirzel. «Die Konsequenz wäre, dass die Firmen zerschlagen und verkauft werden, realistischerweise meist ins Ausland.»

Gewerkschaftspräsident lehnt Initiative ab

Durch die Initiative würde die Schweiz einen ähnlichen Weg wie Frankreich beschreiten, das eine hohe Erbschaftssteuer kennt. «In den letzten Jahren sind französische Unternehmen deshalb in die Schweiz gezogen. Seit die Initiative zustande gekommen ist, ist das vorbei», sagt Jean-Pascal Bobst. Mit ihrer Rückwirkungsklausel löse die Initiative bereits im Vorfeld einen Vertrauensschwund aus.

Hirzel sieht dies ähnlich. Die Initiative zwinge die Unternehmen dazu, sich nach alternativen Standorten im Ausland umzusehen. Dort würden sie mit offenen Armen empfangen. «Bei den Abklärungen sind viele überrascht, wie tief die Steuern und attraktiv die Rahmenbedingungen in anderen Ländern sind.» Erste wirtschaftliche Schäden durch die Initiative seien bereits heute sichtbar, sagt auch PwC-Berater Norbert Kühnis: «Es ziehen weniger wohlhabende Personen in die Schweiz, als dies sonst der Fall wäre. Auch Investitionen werden zurückgestellt, hier spielt aber auch die Zolldebatte eine Rolle.»

Mittlerweile gehen sogar Gewerkschafter auf Distanz. Er befürworte zwar eine Erbschaftssteuer und weitere Klimaschutz-Massnahmen, sagt Adrian Wüthrich, Präsident des Gewerkschafts-Dachverbandes Travailsuisse, die Juso-Initiative schiesse aber übers Ziel hinaus: «Die Initiative ist gefährlich für den Wirtschaftsstandort und damit auch für die Arbeitsplätze.» Er werde dem Travailsuisse-Vorstand die Ablehnung empfehlen.

Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), ziert sich mit einer Stellungnahme. Er werde sich gerne zu einem späteren Zeitpunkt äussern, lässt er über die Medienstelle ausrichten.

Unter dem Strich ein Verlustgeschäft

Auch manche Linken scheinen erkannt zu haben, dass die Initiative zu einem Deindustrialisierungsschub führen könnte. Ob dem Staat unter dem Strich etwas übrig bleibt von der neuen Steuer, ist fraglich. Rund 2500 Personen besitzen in der Schweiz mehr als 50 Millionen Franken, zusammen kontrollieren sie rund 500 Milliarden. Die Initianten versprechen sich aus den Erbschaftssteuern einen jährlichen Geldstrom von 6 Milliarden Franken.

Doch er könnte schnell versiegen. Bei einer Annahme der Initiative würden 77 bis 93 Prozent der betroffenen Vermögen aus der Schweiz abfliessen, hat der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart in einem Gutachten berechnet. Weil dann auch die Einkommens- und Vermögenssteuern einbrechen, könnte die Initiative zu einem Verlustgeschäft für die öffentlichen Haushalte werden.

Die Ironie dabei: Brülhart ist eigentlich ein Befürworter einer Erbschaftssteuer – nicht als Selbstzweck, sondern weil er darin ein «viel kleineres Übel als die meisten anderen Steuern» sieht. «Der Steuersatz sollte aber massvoll sein, 50 Prozent sind zu hoch», sagt er. Abwanderungsbewegungen wären unvermeidlich.

Die Reichen sind zwar nur eine kleine Minderheit, doch für die Finanzierung des Staates sind sie systemrelevant. «Man kann die Leute nicht einsperren in der Schweiz», sagt Brülhart. «Hochvermögende reagieren erwiesenermassen empfindlich auf solche Steuersätze.»

Guido Schätti, «NZZ am Sonntag»

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