Nach heftiger Schlappe für die Grünen: Jetzt stehen die strengeren Klimaziele für die Schweizer Industrie vor dem Aus An einer der nächsten Sitzungen entscheidet der Bundesrat über die neue CO2-Verordnung. Der vorliegende Entwurf würde die Wirtschaft massiv belasten. Laut Recherchen plant Bundesrat Rösti den Firmen entgegenzukommen. Die Klimapolitik steht unter Druck.

An einer der nächsten Sitzungen entscheidet der Bundesrat über die neue CO2-Verordnung. Der vorliegende Entwurf würde die Wirtschaft massiv belasten. Laut Recherchen plant Bundesrat Rösti den Firmen entgegenzukommen. Die Klimapolitik steht unter Druck.

Wie viel Treibhausgase darf die Industrie ausstossen? Der Bundesrat trifft an einer der nächsten Sitzungen einen brisanten Entscheid. (Foto: Marcin Jozwiak auf Unsplash)

Die Jungen Grünen haben am Wochenende mehr als nur eine Niederlage erlitten. Sie haben eine Ohrfeige kassiert. Kein einziger Kanton hat der Umweltverantwortungsinitiative zugestimmt. Mit fast 70 Prozent Nein hat die Stimmbevölkerung das Anliegen bachab geschickt. Doch nun könnte es für die jungen Klimakämpfer noch bitterer kommen: Die Gegner von Klimaschutzmassnahmen wittern Morgenluft und greifen frontal an.

«Diese Initiative hätte uns zu Höhlenbewohnern gemacht», sagt der SVP-Präsident Marcel Dettling. Er verweist auf weitere Niederlagen der Klimaschützer. So habe die Stimmbevölkerung im Kanton Bern gleichentags die Solarinitiative versenkt und in Solothurn sei das neue Energiegesetz gescheitert. Für Dettling braucht es deshalb einen Kurswechsel. «Dieser Abstimmungssonntag zeigt für mich ganz klar, dass die Stimmbevölkerung genug von der Klimaabzocke hat.»

Bereits nehmen die Gegner die nächste Vorlage ins Visier: In den kommenden Wochen wird der Bundesrat die neue CO2-Verordnung beschliessen. Dabei steckt Bundesrat Albert Rösti in einer besonders kniffligen Lage. Er muss als SVP-Umweltminister gegen die eigene Partei politisieren und konkrete Massnahmen vorschlagen, wie die Schweiz ihren CO2-Ausstoss reduzieren kann. Im Herbst haben Rösti und sein Bundesamt für Umwelt nun bemerkenswert griffige Massnahmen präsentiert – und werden dafür prompt hart kritisiert.

Für die Wirtschaft geht es um hohe Millionenbeträge

Besonders umstritten ist das System der Zielvereinbarungen: Firmen, die viel Treibhausgase ausstossen, können sich von der CO2-Abgabe befreien lassen. Dafür müssen sie einen Vertrag unterschreiben und sich verpflichten, ihren Ausstoss zu senken. Die grössten Industriebetriebe des Landes haben praktisch alle solche Zielvereinbarungen abgeschlossen. Dieses Modell soll verhindern, dass die Industrie wegen der hohen CO2-Abgabe ins Ausland abwandert.

Bisher war nicht klar geregelt, wie viel die befreiten Betriebe mit einer Zielvereinbarung wirklich einsparen müssen. Sie mussten lediglich «wirtschaftliche» Massnahmen umsetzen. Nun will Rösti aber konkrete Vorgaben in die Verordnung schreiben. Gemäss dem Entwurf müssten die befreiten Firmen ihren Ausstoss neu jedes Jahr um mindestens 2,5 Prozent senken. Dieses deutlich strengere Regime soll sogar rückwirkend ab dem ersten Januar 2025 gelten.

Der SVP-Präsident Marcel Dettling ist mit dem eigenen Bundesrat gar nicht zufrieden. «Die Vorlage ist eine Katastrophe. Dass so ein Entwurf von Bundesrat Rösti kommt, ist gar nicht gut.» Auch der FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen kritisiert die neuen Vorgaben scharf: «Wir wollen jedes Grämmli CO2 einsparen und belasten die Wirtschaft mit exorbitanten Kosten.» Es sei nicht angebracht, die Industrie mit zusätzlichen Auflagen zu belasten, da diese mit ihrem Absenkpfad bereits sehr gut unterwegs sei. «Das kostet uns massiv an Wettbewerbsfähigkeit», so warnt Wasserfallen vor den neuen Regeln.

Auch alle grossen Wirtschaftsverbände bekämpfen die Vorlage vehement. Besonders scharf Economiesuisse. «Die 2,5 Prozent müssen raus», sagt das Geschäftsleitungsmitglied Alexander Keberle. «Gerade für Firmen, die schon viel gemacht haben, ist das kaum zu erreichen.» Teilweise gebe es heute noch keine klimafreundlichen Alternativen: «Wo für Prozesswärme beispielsweise Gas notwendig ist, brauchte es grünen Wasserstoff. Den gibt es schlicht noch nicht in diesen Mengen.» Die neuen Auflagen könnten zur Abwanderung der vergleichsweise klimafreundlichen Schweizer Industrie führen, warnt Keberle. «Wir haben den Entwurf mit grossem Erstaunen zur Kenntnis genommen.»

Kritik der Finanzkontrolle: «Hohe Kosten, wenig Wirkung»

Das Lobbying der Verbände ist massiv. Dabei folgt Rösti eigentlich nur einer Empfehlung der eidgenössischen Finanzkontrolle EFK. Die Kontrolleure haben das bisherige System ohne klare Reduktionsziele im Herbst 2023 regelrecht zerpflückt. Gemäss EFK sind die befreiten Industriebetriebe nämlich deutlich zu billig davongekommen und sind finanziell privilegiert worden. Im Schnitt habe jede befreite Firma von 2013 bis 2020 eine ganze Million Franken Abgaben einsparen können. Dem Bund würden so über die Jahre Hunderte Millionen an Einnahmen entgehen – gleichzeitig hätten die befreiten Firmen nicht besonders viel Treibhausgase eingespart. «Das Ergebnis ist enttäuschend», so der Bericht weiter, die Einsparungen seien «wenig spektakulär». Die Kontrolleure haben deshalb eine klare Empfehlung formuliert: «Die EFK empfiehlt (. . .) verschärfte Anforderungen an die Unternehmen und deren CO2-Reduktionsziele.»

Genau solche Ziele möchten Rösti und das Bundesamt für Umwelt nun also einführen und provozieren heftigen Widerstand. Kurz vor dem Entscheid im Bundesrat steigt der Druck auf Rösti. In Bundesbern wundern sich viele, warum der SVP-Bundesrat einen solchen Entwurf überhaupt unterschrieben hat. Dort heisst es, dass ihm der Widerstand gerade recht komme. Das liefere ihm einen Grund, die Massnahmen wieder zu streichen oder aufzuweichen. Wie Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen, könnte genau das passieren: Laut gut informierten Quellen will das Departement Rösti den Satz von 2,5 Prozent noch einmal überprüfen, bevor das Papier in den Bundesrat kommt.

Mit dieser absehbaren Abschwächung verärgert Rösti aber das rot-grüne Lager. «Das Ziel ist ganz klar, bis 2050 auf Netto-Null zu sein», sagt die SP-Umweltpolitikerin Gabriela Suter. «Wenn wir jetzt zu wenig machen und langsam vorgehen, dann braucht es später viel einschneidendere und teurere Massnahmen», so die Aargauer Nationalrätin. Die Präsidentin der Grünen, Lisa Mazzone, greift den Umweltminister frontal an: «Mit solchen Geschenken für die Unternehmen wird die Schweiz ihre Klimaziele niemals erreichen.» Einmal mehr sabotiere Rösti die Klimapolitik, kritisiert die Grüne schon zum Voraus. Kurzfristige und klimaschädliche Gewinne würden die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft gefährden.

Mazzone stellt fest, dass der Klimaschutz international und in der Schweiz unter Druck stehe. «Wir erleben einen Backlash mit gefährlichen Rückschritten», sagt sie. Sorgen mache ihr vor allem der neue US-Präsident, der schon in den ersten Tagen seiner Amtszeit aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist. Und die SVP, die seit dem Sonntag das Gleiche fordert. «Das ist einfach Trumpismus», so Mazzone. Sie ist überzeugt, dass ein Austritt aus dem Pariser Abkommen politisch chancenlos wäre. Die Volkspartei versuche nach der Niederlage der Jungen Grünen, alte Positionen aufzukochen. «Die Stimmbevölkerung hat sich sehr klar zu den Zielen des Abkommens bekannt.»

Genau das ist für Dettling die Wurzel allen Übels: die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens. Für den SVP-Präsidenten ist es illusorisch, dass das die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden kann. «Wir müssen jetzt auch über die Ziele der Klimapolitik reden», so Dettling. Der Volkspartei ist es durchaus ernst.

Der Berner Oberländer Nationalrat Thomas Knutti hat bereits eine Motion zur Kündigung des Pariser Abkommens vorbereitet – er will den Text nächsten Freitag der SVP-Fraktion präsentieren.

Georg Humbel, «NZZ am Sonntag»

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