«Ein Design-Hotel ist maskulin, ein Boutique-Hotel ist feminin»: Tausende Schweizer Hotels schmücken sich mit Labels – Verwechslungsgefahr inklusive Die Schweiz ist das erste Land, das eine offizielle Zertifizierung für Boutique-Hotels eingeführt hat. Auch für Wellness-, Velo-, Historic-Hotels gibt es Gütesiegel. Die Gaststätten reissen sich darum.
Die Schweiz ist das erste Land, das eine offizielle Zertifizierung für Boutique-Hotels eingeführt hat. Auch für Wellness-, Velo-, Historic-Hotels gibt es Gütesiegel. Die Gaststätten reissen sich darum.

Wer braucht schon Sterne, wenn man ein zertifiziertes Boutique- und Design-Hotel ist, das von den Stararchitekten Herzog & de Meuron gestaltet wurde?
Zwar ist das Hotel «Volkshaus» am Kleinbasler Claraplatz mit vier Sternen bewertet. Aber sie stehen bei Manuela Voser und ihrem Team nicht im Vordergrund. «Die Sterne-Kategorisierung bietet eine gewisse Orientierung hinsichtlich des Komforts und der Servicestandards, ist aber nicht unser Hauptargument», sagt die «Volkshaus»-Geschäftsführerin.
Man sei «Boutique at its best», heisst es auf der Webseite. «In der heutigen Hotellandschaft suchen Reisende gezielt nach individuellen Erlebnissen statt standardisierten Kategorien – genau das bieten wir mit unserem Boutique-Ansatz», sagt Manuela Voser.
Es ist eine Beklemmung, die jeder kennt, der schon einmal ein Reise gebucht hat: Man weiss, wann Ferien sind. Wohin man will. Und wie viel Budget man zur Verfügung hat. Aber das richtige Hotel finden? Überforderung pur.
Genau das will die Branche mit Zusatzlabels lösen: Wellness and Spa, Green Living, Bike, familienfreundlich. Dass für jeden etwas dabei ist, dafür sorgen die Vermarktungsorganisation Schweiz Tourismus und der Branchenverband Hotelleriesuisse. Ersterer sagt, was zieht. Letzterer entwickelt die Anforderungen und organisiert die Kontrollen.
«Wir fragen uns immer: Was lässt sich gut vermarkten? Daraus entwickeln wir Kategorien», sagt Daniel Beerli, Leiter der Abteilung Klassifikation bei Hotelleriesuisse.
Relevant ist, was bei Booking.com gesucht wird
Relevant ist, was bei Hotelsuchmaschinen wie Booking.com gesucht wird. Die Betreiber der Plattform bestätigen, dass Touristinnen und Touristen zunehmend Wert auf massgeschneiderte Unterkünfte legten. «Flexible Suchkriterien und Filteroptionen, die eine gezieltere Auswahl ermöglichen, gewinnen an Bedeutung.»
So lässt sich in der Schweiz das Label Boutique offiziell zertifizieren. Es ist eine der meistgesuchten – und meistmissbrauchten – Etiketten in der Hotelwelt. In den achtziger Jahren entstanden Boutique-Hotels als Gegenentwurf zu den grossen, standardisierten Ketten.
Heute sind Boutique-Hotels selbst Big Business. Weltweit wird der Markt der vermeintlichen Individualhotellerie auf 25 Milliarden Dollar geschätzt. Mit der Bezeichnung wird allerlei Schindluder getrieben. Oft reicht es, ein Wandtattoo anzubringen, um auf einer Buchungsseite als Boutique-Hotel durchzugehen.
Nicht so in der Schweiz. Es ist das einzige Land weltweit, das ein offizielles Gütesiegel für Boutique-Hotels kennt. «Es ist ein riesiger Erfolg. Nach drei Jahren haben bereits über 100 Hotels dieses Label. Im Moment haben wir jedes Quartal zehn Anträge», sagt Daniel Beerli von Hotelleriesuisse.
Doch was genau ist ein Boutique-Hotel? Und wie unterscheidet es sich von einem Design-Hotel oder einem Unique-Hotel, die es ebenfalls gibt?
«Mittlerweile gibt es so viele Labels, dass die Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr wissen können, was hinter den einzelnen Labels steckt», sagt Livia Kunz vom Schweizer Konsumentenschutz.
Eigentlich seien Labels zu begrüssen, da sie für Orientierung sorgen und die Auswahl der Hotels vereinfachen. Vorausgesetzt, dass es sich um verlässliche Labels handle, kritisiert Kunz.
«Begriffe wie Boutique oder Design lassen sich nicht schützen. Wir streben das auch gar nicht an. Stattdessen wollen wir diesen Begriffen mehr Glaubwürdigkeit verleihen – zumindest in der Schweiz», sagt Daniel Beerli von Hotelleriesuisse. Der Verband hat mit schweizerischer Gewissenhaftigkeit einen detaillierten Kriterienkatalog erstellt und listet die Unterschiede zwischen Boutique- und Design-Hotels auf.
«Ein Design-Hotel ist nach unserer Auffassung eher männlich, organisiert und klar aufgereiht. Jugendherbergen oder Ketten-Hotels können Design-Hotels sein. Boutique-Hotels hingegen sind eher feminin, verspielt und inhabergeführt», sagt Beerli.
Romantik ist nicht zertifizierbar
Dass regelmässig kontrolliert und ein Label auch einmal entzogen wird, hat Markus Conzelmann, Geschäftsführer des «Radisson Blu» in Luzern, gerade erfahren. «Unser Hotel war mal ein Design-Hotel», sagt er. Als es gebaut wurde, sei es sehr modern gewesen. Heute sei zwar alles renoviert, aber es passe nicht mehr in diese Kategorie. «Es kam extra ein Architekt vorbei und hat das angeschaut. Damit müssen wir leben.»
Trotzdem ist Conzelmann ein grosser Befürworter der Gütesiegel. Die Leute hätten so wenig Zeit, um Ferien zu machen. Deshalb wollten sie genau das machen, was ihnen vorschwebe. «Je mehr Informationen man einem Gast geben kann, desto besser. Man kann fast nicht zu wenig kommunizieren.»
Entsprechend beliebt sind die Labels. Hotelleriesuisse hat 24 verschiedene solche Auszeichnungen. Laut den Zahlen des Verbands schmücken sich über die Hälfte aller Gaststätten in der Schweiz mit einer Spezialkategorie. Da es möglich ist, mehrere gleichzeitig zu haben, hat der Verband über 3000 Labels vergeben. «Es gibt immer mehr Betriebe mit Spezialisierungen», heisst es vonseiten Hotelleriesuisse.
Denn das verspricht wirtschaftlichen Erfolg. Das Hotel «Erica» in der Baselbieter Gemeinde Langenbruck hat zwar keine Hotelsterne, ist aber seit 2023 ein «Historic-Hotel». «Als kleines, unabhängiges Hotel können wir uns keine grossen Inserate leisten. Aber hier können wir uns einem Marketingkanal anschliessen, der grosse Beachtung hat», sagt Julia Fritsche, die das Hotel zusammen mit ihrer Schwester führt.
Zwar kostet die Mitgliedschaft, aber es zahle sich aus. Auf der Webseite der historischen Hotels steht das «Erica» nun in einer Reihe mit weltbekannten Adressen wie dem «Badrutt’s Palace» in St. Moritz, einem Fünf-Sterne-Superior-Haus.
«Für uns ist so ein Label auf jeden Fall wichtiger als Hotelsterne. Sie erhöhen die Sichtbarkeit enorm», sagt Fritsche. So habe sie nicht viele Gäste aus der Westschweiz. Aber wenn welche kommen, dann weil das 1907 erbaute «Erica» nun als historisch gilt.
«Hotels im Ausland beneiden uns um diese Möglichkeit», sagt Daniel Beerli zur Möglichkeit, sich offiziell spezialisieren zu können. Einen Label-Salat komplett verhindern kann aber auch sein Verband Hotelleriesuisse nicht.
So wird in der Schweiz etwa auch mit dem Begriff Romantik-Hotel geworben. «Bei Begriffen wie Romantik oder Inspiration können wir nicht weiterhelfen, da sich das nicht objektivieren lässt», sagt Beerli. Aber so lange es den Hotels helfe, störe ihn dies nicht.