Lichtblick im Zollkrieg: Schweizer Firmen gewinnen in China neue Kunden, weil die Chinesen amerikanische Lieferanten ersetzen wollen Der Handelskrieg zwischen den USA und China könnte die Marktposition von europäischen Firmen in Fernost stärken. Schweizer Industrieunternehmen spüren eine erhöhte Nachfrage, weil amerikanische Zulieferer unter hohen Zöllen leiden – oder prinzipiell gemieden werden.
Der Handelskrieg zwischen den USA und China könnte die Marktposition von europäischen Firmen in Fernost stärken. Schweizer Industrieunternehmen spüren eine erhöhte Nachfrage, weil amerikanische Zulieferer unter hohen Zöllen leiden – oder prinzipiell gemieden werden.

In Managementseminaren wird gelehrt, dass das Wort «Krise» im Chinesischen aus den Zeichen für «Gefahr» und «Chance» besteht.
Diese Übersetzung ist zwar umstritten, doch für Schweizer Exportfirmen scheint die Deutung zu passen: Der globale Handelskonflikt, den der US-Präsident Donald Trump ausgelöst hat, könnte Unternehmen aus Europa langfristig Vorteile bringen im Markt mit rund 1,4 Milliarden Menschen – insbesondere der Schweiz.
Amerikanische Unternehmen, die ihre Produkte in China verkaufen wollen, werden derzeit mit Zusatzzöllen von über 100 Prozent belastet. Das verschafft den Europäern einen immensen Wettbewerbsvorteil. Besonders Schweizer Industriefirmen könnten Marktanteile gewinnen: Sie profitieren von einem Freihandelsabkommen, während die Konkurrenz aus der EU auf ihre Produkte Zölle von bis zu 10 Prozent bezahlen muss.
Ein Beispiel ist die Firma Dätwyler mit Hauptsitz in Altdorf. Der Konzern mit weltweit rund 8000 Mitarbeitenden ist ein führender Hersteller von Elastomerkomponenten, für Nichtfachleute: Gummiteile. Wichtige Produkte sind etwa Verschlussstopfen, Kolben und Nadelschutz für Spritzen in der Pharmaindustrie.
Der weltweit grösste Player in diesem Markt ist West Pharmaceutical Services aus dem amerikanischen Gliedstaat Pennsylvania. West hat zwar auch Standorte in China, deren Erzeugnisse von chinesischen Zöllen verschont bleiben. Trotzdem dürften einige Produkte im Vergleich zu Dätwyler deutlich teurer werden.
«Bei unseren China-Gesellschaften laufen die Kunden Sturm»
Auch die Kistler Group, die sich auf hochpräzise Sensoren und Messinstrumente spezialisiert hat, könnte profitieren. Das Unternehmen aus Winterthur produziert unter anderem Crashtest-Dummys für die Automobilindustrie. Da der weltweit führende Hersteller in diesem Bereich aus den USA stammt, stehen die Chancen gut, dass Kistler und seine rund 2000 Mitarbeitenden Marktanteile gewinnen können.
Ems-Chemie sieht den Handelskonflikt ebenfalls als Chance. Die CEO und Inhaberin Magdalena Martullo-Blocher sagte vergangene Woche in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung»: «Bei unseren China-Gesellschaften laufen die Kunden jetzt Sturm, um unsere Produkte zu erhalten.»
Andere Firmen geben sich zurückhaltender. Viele wollen sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht exponieren: Bei der Trump-Regierung dürfte es nicht gut ankommen, wenn sich internationale Konzerne darüber freuen, dass sie auf Kosten von Konkurrenten aus den USA profitieren.
Zudem betonen alle, dass die gegenwärtige Situation grundsätzlich kein Grund zur Freude ist. «Unsere Exportfirmen spüren derzeit vor allem die Unsicherheit», sagt dazu stellvertretend Rudolf Minsch, Chefökonom beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.
Dätwyler, Kistler und Ems-Chemie sind jedoch keine Einzelfälle, weiss Beilun Wei, die Chefin der Schweizerisch-Chinesischen Handelskammer (SCCC): «Als Reaktion auf die US-Zölle versucht die chinesische Wirtschaft, amerikanische Lieferanten durch nichtamerikanische zu ersetzen.»
Der Industrieverband Swissmem bestätigt diese Beobachtung. Geschäfte zwischen amerikanischen und chinesischen Firmen seien mit gegenseitigen Zöllen von über 100 Prozent wirtschaftlich nicht mehr machbar, schreibt die Medienstelle. Die Chinesen hätten deshalb keine andere Wahl, als nach Alternativen zu suchen. «Das eröffnet neue Chancen für Schweizer Unternehmen – sei es durch Exporte aus der Schweiz oder für Niederlassungen in China.»
Globale Kräfteverhältnisse könnten sich verschieben
Profitieren könnten laut Swissmem besonders Unternehmen, die in den Bereichen Werkzeugmaschinen, Präzisionswerkzeuge, Medtech und Montageautomation tätig sind. Nicht jedoch jene Industriesektoren, in denen in China Überkapazitäten bestehen, zum Beispiel die Stahl-, die Solar- und die Textilindustrie.
Für die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie war China vergangenes Jahr der drittwichtigste Absatzmarkt hinter Deutschland und den USA. Zudem sind zahlreiche Firmen mit Niederlassungen und eigener Produktion vor Ort tätig.
In den vergangenen Jahren entwickelten sich die Exporte nach China zwar nicht wie gewünscht, weil die Wirtschaft schwächelte und das Land unter der verfehlten Covid-Politik der Regierung litt. Nun könnte aber wieder ein Aufschwung kommen.
Im Gegensatz zu den USA, wo der Schweiz im Vergleich zu Konkurrenzfirmen aus der EU höhere Einfuhrzölle drohen, haben die hiesigen Firmen in China seit mehr als zehn Jahren einen Wettbewerbsvorteil: ein Freihandelsabkommen. Dieses müsse nun erweitert werden, um das Potenzial noch besser auszuschöpfen, fordert der Verband.
Auch ABB, einer der grössten Konzerne der Branche, wünscht sich eine weitere Annäherung an China. Der Verwaltungsratspräsident Peter Voser forderte vor einigen Wochen in der NZZ: «Angesichts dessen, was mit den USA passiert, muss Europa seine Beziehungen zu anderen Regionen stärken – ganz besonders zu Asien und China.»
Der verschärfte Handelskonflikt zwischen den Grossmächten könnte die Kräfteverhältnisse im globalen Handel nachhaltig beeinflussen. Bereits Trumps Zölle aus dem Jahr 2018 haben dazu geführt, dass der Aussenhandel zwischen China und den USA zurückgegangen ist. Nun scheint sich der Fokus Pekings weiter nach Europa zu verschieben – und davon würde auch die Schweiz profitieren.