Was künstliche Intelligenz bereits alles kann Künstliche Intelligenz kann seit kurzem Musik komponieren, Texte schreiben oder Bilder kreieren: Investoren erwarten nun einen Gründerboom wie zuletzt vor 15 Jahren, als das Internet mobil wurde.
Künstliche Intelligenz kann seit kurzem Musik komponieren, Texte schreiben oder Bilder kreieren: Investoren erwarten nun einen Gründerboom wie zuletzt vor 15 Jahren, als das Internet mobil wurde.
Risikokapitalgeber sind elektrisiert: James Currier, einer der führenden Köpfe bei der Firma NfX, spricht von einer «kambrischen Explosion». Der Begriff bezieht sich auf einen Zeitabschnitt vor etwa 540 Millionen Jahren. Damals entstanden auf unerklärliche Weise sehr viele neue Tierarten.
Currier ist kein Evolutionsbiologe, er finanziert Jungunternehmen in Zukunftsbranchen. Und mit einer «kambrischen Explosion» meint er eine neue Firmen-Gründungswelle. Ein Boom, wie es ihn zuletzt vor 15 Jahren gegeben habe. 2007 läutete Apple mit seinem iPhone das mobile Internetzeitalter ein. In der Folge sahen Airbnb, Instagram, Spotify, Tinder, Uber und Co. das Licht der Welt. Und die Welt staunte.
Der Grund, wieso wir ausgerechnet jetzt – in konjunkturell höchst unsicheren Zeiten – vor einem Gründungs-Boom stehen sollen, heisst generative künstliche Intelligenz (GKI). Vereinfacht gesagt geht es um Folgendes: Maschinen sind seit kurzem nicht mehr bloss in der Lage, Daten zu analysieren. Sie können jetzt selber kreieren – qualitativ gute Texte, Musik, Bilder, Videos, Programmcodes oder Design: ein schöpferischer Prozess, den wir bisher nur uns selbst zugetraut haben.
Firmengründung leicht gemacht
Vor einer Woche hat Open AI seinen Nutzerinnen und Nutzern zugesichert, dass sie die vollen Urheberrechte an den Bildern haben, die Dall-e in ihrem Auftrag entwirft. Die Kreationen könnten «nach Belieben verwendet und vermarktet» werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung für jedes Geschäftsmodell.
Firmengründer, die basierend auf Dall-e eine Dienstleistung aufbauen wollen, haben jetzt sogar die Möglichkeit, eine Schnittstelle zu Dall-e direkt in ihre App oder Website einzubauen. Einfacher kann man es potenziellen Unternehmensgründern nicht machen. Zumal Open AI auch noch 100 Millionen Dollar Startkapital für Startups zur Verfügung stellt.
Es fällt nicht schwer, in Open AI aus San Francisco eine Parallele zu Apple und seinem App Store zu sehen. Dieser hat unzählige Entwicklerinnen und Entwickler zu Unternehmern und Millionären gemacht. Mit Open-Source-Anbietern wie Eleuther oder Stability gibt es bei der GKI seit kurzem auch eine Entsprechung zu Android – dem iPhone-Gegenentwurf von Google.
Die Anwendungen haben nicht auf sich warten lassen: Der Stanford-Student David Song führt eine Liste mit GKI-Firmen beziehungsweise -Projekten: Sie hat bereits 151 Einträge. James Currier von NfX rät Jungunternehmerinnen und Jungunternehmern in einem Blogeintrag: «Um diese Welle als Gründer zu erwischen, müssen Sie sich diese Woche, diesen Monat bewegen – nicht in den nächsten 6 Monaten oder in den nächsten 3 Jahren.» NfX hat laut eigenen Angaben bereits in vier Firmen investiert, die GKI in konkrete Dienstleistungen ummünzen.
Auch der bekannte Risikokapitalgeber Sequoia referenziert beim Thema GKI auf das mobile Internet. Die Zeit sei reif für «eine Explosion der Kreativität». In einem längeren Beitrag zur GKI schreibt die Firma: «Wie der Wendepunkt beim Mobilfunk vor einem Jahrzehnt den Markt für eine Handvoll Killer-Apps schuf, erwarten wir, dass Killer-Apps für GKI entstehen werden. Das Rennen ist eröffnet.»
Unter dem Blog hat Sequoia übrigens einen Disclaimer angebracht. Der Artikel sei gemeinsam mit GPT-3 geschrieben worden – so heisst die GKI für Text von Open AI: «GPT-3 hat nicht den ganzen Artikel ausgespuckt, aber es war dafür verantwortlich, Schreibblockaden zu bekämpfen, ganze Sätze und Absätze zu generieren und verschiedene Anwendungsfälle für generative KI zu finden.» Auch Sequoia fordert Jungunternehmer und Entwicklerinnen auf, sich schleunigst ans Werk zu machen.
Eigentlich ist die erste Killer-Applikation schon da. Es handelt sich um das automatisierte Schreiben für Firmenwebsites, Massen-E-Mails, Berichte, Budgetanträge, Beiträge für soziale Netzwerke usw. In diesem Bereich gibt es bereits erste Einhörner, also privat gehaltene Unternehmen mit einem Firmenwert von mindestens 1 Milliarden Dollar.
Jasper zum Beispiel wird nach Abschluss einer 125-Millionen-Dollar-Finanzierungsrunde im Oktober mit 1,5 Milliarden Dollar bewertet. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass die Firma aus Austin gerade einmal 18 Monate alt ist – und Jungunternehmen im Moment eigentlich Schwierigkeiten bekunden, Geldgeber zu finden. Der Grund für den blitzartigen Erfolg von Jasper ist, dass das Unternehmen das Rad nicht neu erfinden musste. Es musste lediglich das System von Open AI an seine Bedürfnisse anzupassen.
Das Startup schreibt auf seiner Website etwas grossspurig: «Da Jasper das Internet gelesen hat, kann er zu fast jedem Thema etwas Intelligentes schreiben.» Doch es stimmt: Jasper und Co. schreiben weit besser als der Bevölkerungsdurchschnitt. Und das erst noch in zwei Dutzend verschiedenen Sprachen. Die Firma bietet sogar eine Browser-Erweiterung an. Sie erlaubt, dass Jasper direkt Text auf Firmenwebsites schreibt. 100 000 Wörter pro Monat kosten 82 Dollar. Die Firma hat laut eigenen Angaben schon mehr als 70 000 Kundinnen und Kunden. Man rechne.
Es gibt viele Unternehmen, die sein wollen wie Jasper. Und sie haben offenbar keine Mühe, Kunden zu finden. Die Hamburger Firma Neuroflash, die einen Fokus auf den deutschsprachigen Raum legt, zählt in der Schweiz etwa Rivella, Swisscom oder Migros zu ihren Kunden.
«Migros Online nutzt Neuroflash, um die Texterinnen und Texter zur Kreation von attraktiven Headlines zu inspirieren», sagt ein Firmensprecher. Es sei eine «Zusammenarbeit», durch die oft neuartige Ideen und Impulse entstünden. «Das letzte Wort beim Textentscheid hat aber immer der Mensch.»
Zur Veranschaulichung ist am Artikelende der Werbetext abgedruckt, den das System der Berliner Firma Retresco auf Knopfdruck generiert hat. Das Motto des Unternehmens mit 70 Mitarbeitern lautet treffend: «Wir automatisieren die menschliche Sprache».
«GKI wird einen unternehmerischen Boom auslösen in all jenen Bereichen, wo die Qualität nicht so entscheidend ist», sagt Thilo Stadelmann, Leiter des Zentrums für künstliche Intelligenz der Zürcher Hochschule ZHAW. «Also, wenn es zum Beispiel darum geht, einen neuen Radio-Sommerhit zu komponieren, einen Clickbait-Artikel zu schreiben, Bildmaterial für eine Präsentation zu erstellen oder ein Firmenlogo zu kreieren.» Ein kompletter Spielfilm oder ein ganzes Buch könne nicht von einem KI-System geschaffen werden, einzelne Teile darin aber sehr wohl, so Stadelmann.
Ein Song auf Knopfdruck
Es ist eindrücklich, wenn eine GKI aufgrund von ein paar Stichworten ein Bild, einen Avatar, ein Firmenlogo oder ein Musikstück kreiert. Dutzende von Firmen haben um diese neuen Möglichkeiten herum Geschäftsmodelle gebaut. Mit Boomy, Amper und anderen Diensten kann man in Sekundenschnelle Songs erzeugen. Andere Firmen setzen mit der gleichen Technologie auf gänzlich andere Anwendungen. Das Unternehmen Tailorbird etwa nutzt eine GKI, um Hausbesitzern, die eine Renovierung planen, neue Gebäudegrundrisse vorzuschlagen.
Experten sehen aber bei Sprachdiensten das weitaus grösste Potenzial. Rob Toews vom Risikokapitalgeber Radical Ventures erwartet, dass dort Werte geschaffen werden, die «um viele Grössenordnungen» über anderen Anwendungen liegen. Zumal GKI auch Programmiersprachen kann.
Die Microsoft-Tochter GitHub zum Beispiel hat festgestellt, dass ein Software-Ingenieur 55 Prozent weniger Zeit benötigt, wenn er mit dem Programmierassistent Copilot zusammenarbeitet. Dieses GKI-System schlägt selbständig Codes vor und vervollständigt Angefangenes. Copilot könne bis zu 40 Prozent des Codes für Programmierer schreiben. Dieser Anteil soll innerhalb von fünf Jahren auf 80 Prozent ansteigen, sagte GitHub-Chef Thomas Dohmke vor kurzem auf CNBC. Das wäre spektakulär.
Während Jasper oder Neuroflash beim Schreiben helfen und Copilot von Microsoft beim Programmieren, gibt es im Sprachbereich auch sehr ausgefallene Geschäftsideen: Die israelische Firma Darrow etwa scannt öffentlich verfügbare Daten, um Rechtsverstösse aufzuspüren. Und sie so in lukrative Fälle für Anwaltskanzleien zu verwandeln.
The.com bietet Firmen an, ihren Internetauftritt von GKI bauen zu lassen: «Fügen Sie Ihrer Website automatisch Tausende von Seiten hinzu», lautet das Versprechen von The.com. Kostenpunkt: 6500 Dollar pro Monat.
GKI wird den Internetgiganten Google in seinem Kerngeschäft, der Internetsuche, angreifen: Eine ganze Reihe von neuen Diensten wie Andisearch.com oder You.com beantwortet Fragen von eiligen Surfern mindestens so gut wie die seit vielen Jahren unbestrittene Marktführerin.
Doch wie kann es sein, dass GKI so gut mit Texten umgehen kann? «Die überwiegende Mehrheit der von Menschen produzierten Inhalte – Nachrichten, die wir schreiben, Ideen, die wir formulieren, Vorschläge, die wir unterbreiten – ist unoriginell», schrieb Rob Toews von Radical Ventures vor kurzem in einem Artikel für «Forbes».
Das möge hart klingen. «Aber Tatsache ist, dass die meisten Website-Texte, die meisten E-Mail-Korrespondenzen, die meisten Kundendienstgespräche und sogar die meisten Gesetze wenig wirklich Neues enthalten.» Die genauen Worte variierten, aber die zugrundeliegende Struktur, die Semantik und die Konzepte seien vorhersehbar.
«Sie spiegeln eine Sprache wider, die schon millionenfach geschrieben oder gesprochen wurde», so Toews. Er rechnet deshalb damit, dass auch Verträge – die sich bekanntlich aus Standard-Textbausteinen zusammensetzen – bald von GKI geschrieben werden.
Auch Forscher profitieren
Selbst im wissenschaftlichen Betrieb tut sich Erstaunliches: Eine Gruppe von Forschern der University of California, Berkeley und des Lawrence Berkeley National Laboratory hat vor kurzem aufgezeigt, dass GKI latentes Wissen aus der Literatur zur Materialwissenschaft erfassen und auf dieser Basis Forschern neue Materialien zur Untersuchung vorschlagen kann.
GKI profitiert also davon, dass wissenschaftliche Arbeiten in aller Regel öffentlich zugänglich und so von Algorithmen durchsuchbar sind. Kein Wunder, gibt es eine Reihe von Jungunternehmen, die hoffen,mithilfe von GKI neue Moleküle für medizinische oder industrielle Anwendungen zu entdecken.
«GKI funktioniert immer dort gut, wo es viele Millionen öffentlich zugängliche Datenpunkte gibt, also bei Text, Bild, Video, Musik, Design oder Lebensläufen», sagt Thilo Stadelmann von der ZHAW. Bei Architekturplänen hingegen seien die Resultate nicht besonders gut, da die KI nur auf eine vergleichsweise geringe Anzahl Gebäudeskizzen zurückgreifen könne.
Experten sind verblüfft
Bemerkenswert ist, dass GKI so unverhofft auf dem Radar von Investoren auftaucht. Der Normalfall ist, dass man schon Jahre über technologische Entwicklungen diskutiert, bevor diese die Marktreife erreichen – wenn überhaupt.
Jedes Kind weiss, dass Autos irgendwann autonom fahren werden. Firmen stecken viel Geld in diese Technologie – und einige werden ihre Investitionen nicht amortisieren können. Der Begriff GKI dagegen ist einer breiten Öffentlichkeit noch gar nicht geläufig. Dennoch erzielt eine Reihe von Firmen mit diesen Systemen bereits Umsätze.
Wie ist das möglich? «Bei der KI gab es vor zehn Jahren einen Quantensprung. Seither kommt eine gute Arbeit nach der anderen, die Fortschritte sind eigentlich ziemlich kontinuierlich», sagt Thilo Stadelmann. «Trotzdem sind auch Fachleute darüber verblüfft, was seit diesem Jahr im Bereich der GKI möglich ist.»
Für diesen Wow-Effekt genügten allein bessere Modelle, mehr Daten und Rechenleistung. Bereits diese lineare Entwicklung könnte jetzt eine Gründungswelle der Sonderklasse auslösen. Nicht daran zu denken, was in ein paar Jahren möglich sein wird, wenn noch leistungsfähigere Modelle und Computer zur Verfügung stehen.
Die meisten Experten sehen in der GKI vorerst ein Tool, das Menschen bei ihrer Arbeit produktiver macht, sie aber nicht ersetzt. Ob das so bleibt? «GKI ist auf dem besten Weg dazu, nicht nur schneller und billiger, sondern in einigen Fällen auch besser zu werden als das, was Menschen von Hand schaffen», schreibt der Risikokapitalgeber Sequoia.
«Jede Branche, in der Menschen kreative Arbeiten erstellen müssen – von sozialen Netzwerken bis zu Games, von Werbung bis zu Architektur, von Programmierung bis zu Grafikdesign, von Produktdesign bis zu Recht, von Marketing bis zu Vertrieb –, steht vor einer Neuerfindung.»
Markus Städeli, «NZZ am Sonntag»
Marketing-Blabla von einer Künstlichen Intelligenz
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