Wenn der Regenbogen den Unternehmen zu bunt wird Viele Firmen verzichten dieses Jahr lieber auf öffentliche Bekenntnisse zu mehr Diversität. Sie fürchten, in den Kulturkrieg hineingezogen zu werden.

Viele Firmen verzichten dieses Jahr lieber auf öffentliche Bekenntnisse zu mehr Diversität. Sie fürchten, in den Kulturkrieg hineingezogen zu werden.

 

Gemäss dem Reputationsexperten war in Sachen Regenbogen in den letzten Jahren viel Opportunismus im Spiel. Bild: unsplash

Der Juni ist der Monat des Stolzes. Während des sogenannten «Pride Month» feiert die queere Bewegung weltweit ihren jahrzehntelangen Kampf für gesellschaftliche Akzeptanz. Höhepunkt ist das Pride-Festival, das in Zürich am kommenden Wochenende stattfindet. Erkennen wird man die Teilnehmer am Regenbogen.

Sunrise: 2021 vor der Abstimmung zur «Ehe für alle» wurde das Logo angepasst. Sunrise war eine von wenigen Firmen, welche die Ja-Parole herausgaben.

Mit diesem schmückt sich nicht nur die Bewegung, sondern alle, die mit ihr solidarisch sein wollen. In den vergangenen Jahren haben vor allem Firmen das Erkennungszeichen für eine visuelle Botschaft genutzt. Besonders beliebt: im Juni das Unternehmenslogo in Regenbogenfarben zu tünchen, um zum Beispiel in den sozialen Netzwerken ein Statement zu setzen.

Auch dieses Jahr ist dies wieder zu beobachten – zum Beispiel bei der Luftfahrtgesellschaft Swiss, dem halbstaatlichen Telekomanbieter Swisscom oder der Bank Julius Bär. Andere beleuchten ihre Hauptsitze in Regenbogenfarben oder hängen entsprechende Fahnen auf.

Es fällt auf: Der Juni war auch schon bunter.

Und doch fällt auf: Der Juni war auch schon bunter. Zumindest in der Unternehmenswelt hat der Regenbogen seinen Zenit überschritten. Das wird besonders deutlich, wenn man in den sozialen Netzwerken nach alten Profilbildern von Schweizer Firmen sucht.

Migros: Ebenfalls im Juni 2021 bekannte sich die grösste Arbeitgeberin des Landes im Logo zum Regenbogen. Es war allerdings das einzige Mal.

So haben die beiden dominierenden Detailhändler Coop und Migros schon ihre Logos entsprechend eingefärbt. Obwohl wieder Juni ist, kommen sie nun aber in ihrem typischen Orange daher. «Nach einmaliger Verwendung des eingefärbten Logos haben wir in den Folgejahren den Themenschwerpunkt Diversity und Inclusion das ganze Jahr über gesetzt und auf allen Kanälen gespielt», schreibt die Migros.

Coop: Ein altes Regenbogenlogo findet man noch auf Facebook. Das Social-Media-Team machte 2019 einen «Pilotversuch».

Ähnlich tönt es bei Coop: «Es handelte sich 2019 um einen einmaligen Pilotversuch unseres Social-Media-Teams. Nach einer gesamtheitlichen Evaluation haben wir uns entschieden, den Fokus auf gelebte Diversität 365 Tage im Jahr zu setzen und nicht auf symbolische Massnahmen.»

Die SBB kombinierten den Regenbogen im Jahr 2019 mit dem Firmenlogo. Der Telekomkonzern Sunrise bemächtigte sich dieser Symbolik 2021 ebenfalls einmalig. Die Schweizerische Post tat dies in den letzten zwei Jahren, verzichtet heuer aber darauf. Es sind nur die bekanntesten Beispiele.

Alle angeschriebenen Firmen betonen, dass sie sich intern und das ganze Jahr über für Vielfalt und Chancengleichheit einsetzen würden. Teilweise sind sie mit dem Swiss LGBTI-Label zertifiziert. Es wird von einer Organisation an Unternehmen vergeben, welche ihr sogenanntes Inklusions- und Diversitätsmanagement für lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Angestellte (LGBTI) verbessern.

Haben die zunehmenden Kontroversen um sogenannt woke Themen einen Einfluss darauf, wie Unternehmen sich öffentlich positionieren?

Auf eine Frage antworten die meisten angeschriebenen Firmen jedoch gar nicht oder nur ausweichend: Haben die zunehmenden Kontroversen um sogenannt woke Themen einen Einfluss darauf, wie sie sich öffentlich positionieren?

SBB: Das Emblem der Bundesbahnen wurde zuletzt 2019 bunt eingefärbt. Seither belassen es die SBB auch im Juni im klassischen Rot-Weiss.

Dass das Klima gehässiger wird, ist offensichtlich: In den USA sah sich die zum internationalen Brau-Giganten Anheuser-Busch gehörende Biermarke Bud Light wochenlangen Anfeindungen und Boykottaufrufen ausgesetzt. Dies, nachdem sie im April mit einer transsexuellen Person Werbung machte. Einen Monat später musste der amerikanische Discounter Target seine regenbogenfarbene Pride-Kollektion teilweise aus den Regalen nehmen. Die Produkte sind heruntergerissen und das Personal in den Läden wüst beschimpft worden.

Viel Opportunismus

Zwar wurde bis jetzt kein Schweizer Unternehmen wegen seines Engagements für sexuelle Minderheiten Ziel von Angriffen in dieser Form. Doch der amerikanische Kulturkrieg schwappt zunehmend über den Atlantik. Jüngstes Beispiel ist der Gender-Tag in der Schule der Zürichsee-Gemeinde Stäfa, der nach massiven Drohungen abgesagt werden musste. Die SVP-Nationalräte Andreas Glarner und Roger Köppel hatten diesen zuvor öffentlich ins Visier genommen.

«Der Trend aus den USA, dass sich die Gesellschaft zunehmend spaltet, ist auch bei uns zu beobachten», sagt Bernhard Bauhofer, der im In- und Ausland Unternehmen in Sachen Reputation berät. Die Konzerne würden sich deshalb bewusst zurückhalten, um nicht zur Zielscheibe der einen oder anderen Gruppe zu werden.

Als Firma wolle man möglichst nicht in die Geschlechterdebatte hineingezogen werden. Wenn dies einmal passiere, habe die Kommunikationsabteilung keine Chance mehr, dies zu kontrollieren.

Als Firma wolle man möglichst nicht in die Geschlechterdebatte hineingezogen werden. Wenn dies einmal passiere, habe die Kommunikationsabteilung keine Chance mehr, dies zu kontrollieren, sagt Bauhofer. «Die sozialen Netzwerke sind gnadenlos. Es ist nachvollziehbar, dass Firmen vorsichtiger werden.»

Gemäss dem Reputationsexperten war in Sachen Regenbogen in den letzten Jahren viel Opportunismus im Spiel. «Diversität und Chancengleichheit in der Unternehmenswelt sind ein langfristiger Trend. Die Werbung mit dem Regenbogen ist aber eher ein kurzfristiger Hype.»

Ähnlich sieht es der prominente Schweizer Werber Frank Bodin: «Als der Regenbogen aufkam, war es noch unproblematisch, damit zu werben. Doch die Dynamiken haben sich verändert. Die Sorge, in einen Shitstorm zu geraten, ist berechtigt.»

Fertig Rainbow-Washing?

Das eigene Logo in Regenbogenfarben einzufärben, ist ein klassisches Beispiel für sogenanntes Purpose Marketing. Firmen rücken sich ins rechte Licht, indem sie für eine gute Sache einstehen. Es geht nicht um Produkte oder Dienstleistungen. Frank Bodin ist kein Fan dieser Strategie: «Nur weil eine Firma nicht hyperaktiv mit dem Regenbogen kommuniziert, heisst das nicht, dass sie sich nicht für Diversität im Unternehmen einsetzt. Es steht den Unternehmen gut an, erst die Hausaufgaben zu machen.»

Dieser Vorwurf ist nicht neu, sondern wurde in den vergangenen Jahren oft geäussert. Manchen in der LGBTI-Szene war die Vereinnahmung ihrer Bewegung durch die Firmenwelt nicht geheuer. Der Begriff Rainbow-Washing drückt dies aus: Unternehmen kapern mit dem demonstrativ zur Schau gestellten Regenbogen dessen positive Eigenschaften, ohne sich für eine Verbesserung der Betroffenen einzusetzen.

Dass das markante Symbol nun wieder seltener zu sehen ist, könnte darauf zurückzuführen sein. Das glaubt jedenfalls Roman Heggli, Geschäftsführer der Organisation Pink Cross, dem Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer in der Schweiz. «Ich finde es grundsätzlich nicht tragisch, wenn Firmen auf ein Regenbogenlogo verzichten und dafür intern für ein diverses und diskriminierungsfreies Klima sorgen. Es zeigt, dass die Diskussion um Rainbow-Washing seine Berechtigung hatte und auf Resonanz stiess.»

Mit dem Regenbogen konnte man nichts falsch machen. Nun entsteht der Eindruck, dass sich viele Firmen still und leise vom Aktivismus früherer Jahre verabschieden.

Kommt hinzu, dass die Schweiz im Sommer 2021 kurz vor der Abstimmung über die «Ehe für alle» stand und diese ein Jahr später in Kraft trat. Die Verbreitung der Pride-Flagge war auf dem Höhepunkt. Auch viele Privatpersonen hatten ihr Profilbild mit dem Regenbogen geschmückt. An der Urne gab es ein klares Ja. Zwar drückten sich die meisten Firmen um eine Abstimmungsempfehlung, doch sie liessen sich von der Aufbruchstimmung anstecken. Mit dem Regenbogen konnte man nichts falsch machen.

Nun entsteht der Eindruck, dass sich viele Firmen still und leise vom Aktivismus früherer Jahre verabschieden. Hinter vor gehaltener Hand räumen Wirtschaftsvertreter ein, dass sie zurückhaltender werden, um niemand zu provozieren.

Zwar können Homosexuelle heute auch in der Schweiz heiraten. Aber: «Die aktuelle Gegenbewegung und die polemische Kampagne der SVP machen mir Sorgen. Gerade jetzt sind wir umso mehr auf die Solidarität und Unterstützung der ganzen Gesellschaft angewiesen – auch von Firmen», sagt Roman Heggli von Pink Cross.

Moritz Kaufmann, «NZZ am Sonntag»

Das könnte Sie auch interessieren: