Bei Calida ist Feuer unter dem Dach. Nun soll die alte Garde die Traditionsfirma wieder auf Kurs bringen Die Gründerfamilie Kellenberger kündigte vor einem Jahr an, bei Calida nach über 80 Jahren auszusteigen. Das Vorhaben stiess aber auf den Widerstand des Managements. Was folgte, war ein wüstes Gezänk.
Die Gründerfamilie Kellenberger kündigte vor einem Jahr an, bei Calida nach über 80 Jahren auszusteigen. Das Vorhaben stiess aber auf den Widerstand des Managements. Was folgte, war ein wüstes Gezänk.
Die Marke Calida steht für Komfort, Ruhe und Schlaf. Doch seit einem Jahr ist es vorbei mit der Ruhe beim Schweizer Wäscheunternehmen mit Sitz im beschaulichen Sursee. Innert weniger Monate hat der Geschäftsführer gekündigt, ist der Verwaltungsrat umgekrempelt worden und sind zwischen Besitzern und Management tiefe Risse sichtbar geworden. Am Donnerstag kamen als Zugabe noch die Warnung vor einem kleineren Umsatz und ein Totalabschreiber auf einer missglückten Akquisition hinzu. Bei Calida ist der Wurm drin.
Eine Ikone der Firmenlandschaft
Wie ist es so weit gekommen bei dieser Ikone der Schweizer Unternehmenslandschaft? Am Anfang steht eine Medienmitteilung vom Juli 2022 mit dem sperrigen Titel «Gründerfamilie Kellenberger strebt Regelung der Nachfolge als Ankeraktionärin der Calida Group an». In einfacheren Worten bedeutete das: Die Familie, die mit 33,5 Prozent am Unternehmen beteiligt ist, wollte ihren Anteil verkaufen. Man strebe «eine für alle Stakeholder konstruktive Lösung» an, liess die Familie verlauten; die Beteiligung solle an «verantwortungsvolle Aktionäre» übergehen.
Damit zeichnete sich das Ende einer über 80-jährigen Ära ab. So wurde das Traditionsunternehmen 1941 von Max Kellenberger und Hans Joachim Palmers gegründet, damals als Strickwarenfabrik Sursee AG. Im Jahr 1987 erfolgte der Gang an die Börse, wobei 70 Prozent des Kapitals bei den Gründerfamilien blieben. Im Jahr 2000 zog sich die Familie Palmers zurück, worauf die Kellenbergers deren Anteil übernahmen. Es herrschten schwere Zeiten. So musste Calida in den frühen 2000er Jahren nach verlustreicher Zeit restrukturiert und die Produktion in der Schweiz stillgelegt werden.
Der Turnaround gelang. Doch jüngst wurden die Bande zwischen Familie und Calida lockerer. Vor Jahresfrist erklärte die Familie, man finde für Erich Kellenberger, der seit 1970 bei Calida engagiert war, keine Nachfolge «mit der notwendigen industriellen Expertise». Der 75-Jährige hatte einst in zweiter Generation die Firma operativ geführt. Als 2001 das Überleben von Calida auf dem Spiel stand und Abteilungen geschlossen sowie Mitarbeiter entlassen werden mussten, gab Kellenberger die Leitung ab. Hartes Durchgreifen entsprach nicht seinem Naturell. In der Folge vertrat er die Familie nur noch im Verwaltungsrat.
Verkauf als Ganzes oder in Teilen
Nun fehlte im Verwaltungsrat nach der zweiten Generation aber eine dritte. Dass sich Gründerfamilien aus ihren Unternehmen zurückziehen, kommt vor; das muss noch keinen Streit auslösen. Doch die Geschäftsführung und der Verwaltungsrat sahen aufgrund der Verkaufspläne die Zukunft von Calida als ein unabhängiges börsenkotiertes Unternehmen in Gefahr. Dies deshalb, weil die Kellenbergers offenliessen, ob sie ihr Paket als Ganzes oder in Teilen abstossen würden. Und hätte ein Konkurrent die Beteiligung als Ganzes gekauft, wäre aus Calida wohl ein Tochterunternehmen geworden. Mit der Unabhängigkeit wäre es dann vorbei gewesen.
Dass es zu Spannungen mit dem Management kommen könnte, zeichnete sich schon bei der Ankündigung der Verkaufspläne ab. So teilten die Firma und die Familie die Nachricht in zwei separaten Communiqués mit, was sehr irritierend wirkte: Während die Familie – wie erwähnt – ankündigte, ihre knapp 34 Prozent «als Ganzes oder in Teilen» abzustossen, betonte die Firma das Ziel, die Gruppe «als unabhängiges börsenkotiertes Unternehmen erfolgreich weiterzuentwickeln». Das eine war mit dem anderen schlecht vereinbar, was potenziellen Investoren kaum verborgen blieb.
Das waren ungünstige Voraussetzungen. Der Verkauf gestaltete sich denn auch schwieriger als angenommen. Im März dieses Jahres brach die Familie Kellenberger die Übung überraschend ab. Man wolle die Verantwortung als Ankeraktionär nun doch weiterhin wahrnehmen und beabsichtige, mittelfristig bei Calida engagiert zu bleiben, hiess es. Mit dem Sohn von Erich Kellenberger, dem 1982 geborenen Allan, konnte gar ein neuer Familienvertreter für den Verwaltungsrat aus dem Hut gezaubert werden.
War damit wieder alles beim Alten? Mitnichten. Denn gleichzeitig mit der Rückkehr der Gründerfamilie wurde auch der Rücktritt von Timo Schmidt-Eisenhart als CEO mitgeteilt, obwohl dieser seinen Posten erst vor zwei Jahren angetreten hatte. Damit nicht genug. Auch der Verwaltungsratspräsident (VRP) Hans-Kristian Hoejsgaard zog sich zurück. Seine Nachfolge übernahm ein Altbekannter, und zwar Felix Sulzberger, der in den 2000er Jahren als CEO die Restrukturierung von Calida orchestriert und danach eineinhalb Jahrzehnte das Unternehmen operativ geleitet hatte.
Beim Verwaltungsratspräsidium bleibt es nun aber nicht. Wie am Donnerstag mitgeteilt wurde, wird der zu Calida zurückgekehrte Sulzberger per Juli ad interim auch die operative Führung übernehmen. Dies deshalb, weil Schmidt-Eisenhart, anders als zunächst geplant, mit seinem Abgang doch nicht so lange zuwarten wird, bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden ist, sondern schon per Ende Juni ausscheidet. Eine langfristige Lösung sei dieses Doppelmandat als exekutiver VRP aber nicht, sagt der bereits 72-jährige Sulzberger.
Vorwurf der Obstruktion
Bleibt die Frage, warum der ehemalige VRP und der Geschäftsführer überhaupt zurückgetreten sind. Vordergründig scheinen sie ihr Ziel ja erreicht zu haben: Die Familie bleibt Ankeraktionärin, was Stabilität verspricht. Die Beteiligung wird also nicht en bloc verkauft, und das Szenario, dass Calida unter die Fittiche eines Konkurrenten gerät und seine Eigenständigkeit sowie seine Kotierung verlieren könnte, scheint vorderhand abgewendet. Mission erfüllt, könnte man meinen.
Schmidt-Eisenhart und Hoejsgaard wollen sich auf Anfrage nicht äussern. Erich Kellenberger, der derzeit im Ausland weilt, war am Donnerstag nicht erreichbar. Dass zwischen der alten Führung und der Familie aber viel Geschirr zerschlagen worden ist, liegt nahe. Aus Gesprächen mit Leuten aus deren Umfeld wird deutlich, dass das gegenseitige Vertrauen stark gelitten hat. Im Raum steht dabei der Vorwurf an Schmidt-Eisenhart, er habe den Verkauf des Aktienpaketes bewusst behindert. Mit seinem Auftreten habe er Interessenten klargemacht, dass sie als Käufer des Gesamtpaketes nicht willkommen seien.
Ob CEO und VRP gegenüber Interessenten tatsächlich ablehnend auftraten und Calida schlecht verkauften, um diese abzuschrecken, bleibt offen. Sollte der Vorwurf zutreffen, wöge er schwer. So ist ein CEO kein Unternehmer, der eigene Ziele verfolgen kann, sondern ein Angestellter der Aktionäre. Aus dem Umfeld des abtretenden CEO weist man die Vorwürfe aber zurück. Die Gespräche seien eher an falschen Preisvorstellungen gescheitert und nicht an der Obstruktion durch das Management.
Interessenten für das Aktienpaket gab es durchaus. Etwa der israelische Wäschehersteller Delta Galil, zu dessen Marken seit 2012 auch Schiesser gehört. Das Unternehmen präsentierte im Herbst 2022 ein indikatives Kaufangebot (non-binding offer) zum Preis von rund 43 Franken pro Aktie. Dieses Angebot lehnte der Verwaltungsrat aber ab, angeblich ohne Rücksprache mit der Gründerfamilie, jedoch unter Einbezug des CEO. Als die Familie gegen dieses Ignorieren protestierte, kam es zu einem zweiten Angebot zu 47 Franken, von dem sich Delta Galil im Februar 2023 aber zurückzog. Am Donnerstag lag der Kurs, der seit Jahresanfang um 20 Prozent eingebrochen ist, bei rund 37 Franken.
Das Problem ist nur vertagt
Dass die Kellenbergers zu Calida zurückkehrten und mit Sulzberger die alte Garde an Bord holten, dürfte aber nicht nur mit dem Scheitern des Delta-Galil-Deals zusammenhängen. Man machte sich auch Sorgen um den Zustand von Calida. So hatte Schmidt-Eisenhart weder mit dem Kauf der deutschen Erlich Textil noch mit der Akquisition der amerikanischen Lingeriemarke Cosabella eine glückliche Hand. Der Umsatz von Erlich hat sich derart verschlechtert, dass man das Geschäft nun aufgibt. Und bei Cosabella liegt die Entwicklung weit unter den Projektionen beim Kaufabschluss.
«Nachdem das frühere Management stark auf Wachstum und Zukäufe gesetzt hat, werden wir in Zukunft wieder verstärkt den Cashflow und die operative Stabilität in den Fokus rücken», sagt Sulzberger. Ob man hierfür weiterhin eine Börsenkotierung braucht, ist für den neuen Chef nicht zentral. Die Situation für Micro-Caps wie die Calida-Gruppe, die 2022 mit 2500 Mitarbeitern einen Umsatz von 324 Millionen Franken erzielte, sei immer etwas schwierig. Die Frage der Börsenkotierung, die von den Aktionären entschieden werden müsse, stelle sich für ihn momentan aber nicht.
Offen bleibt die Zukunft der Kellenbergers als Ankeraktionäre. Zwar herrscht nun nicht mehr derselbe Zeitdruck wie noch vor Jahresfrist. Doch die Familie will weiterhin nur «mittelfristig», also ungefähr drei Jahre, bei Calida engagiert bleiben. Und auch Sulzberger macht klar, dass er nicht länger als diese Frist bei Calida bleiben will. In absehbarer Zukunft wird sich daher die Frage nach einem Verkauf der Beteiligung erneut stellen. Das Gezerre des vergangenen Jahres dürfte dann als Mahnung dienen, wie man einen solchen Rückzug besser nicht gestaltet.