Das bargeldlose Leben erscheint in Zeiten der Energiekrise plötzlich als Risiko – denn ohne Strom funktioniert nur noch Bares In Österreich bewirbt der Staat das Bargeld mit schrillen Werbespots. In Schweden mehren sich Zweifel an der cashfreien Vision. Und auch in der Schweiz wird angesichts eines drohenden Strommangels immer deutlicher, dass elektronische Zahlungsmittel nicht ohne Risiken sind.
In Österreich bewirbt der Staat das Bargeld mit schrillen Werbespots. In Schweden mehren sich Zweifel an der cashfreien Vision. Und auch in der Schweiz wird angesichts eines drohenden Strommangels immer deutlicher, dass elektronische Zahlungsmittel nicht ohne Risiken sind.
Noch vor kurzem schien der Siegeszug des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ungebremst. In den Industrieländern griffen immer weniger Personen auf Banknoten oder Münzen zurück. Und die Corona-Pandemie verlieh dem Trend aus Gründen der Hygiene weiteren Schub. Nun führt aber die drohende Strommangellage mancherorts zu einem Überdenken. Denn elektronisches Geld bedingt eine funktionierende Stromversorgung – und diese erscheint derzeit fraglicher denn je.
Österreich – ein bargeldaffines Land
In Österreich läuft gar eine Kampagne, die sich für nichtelektronische Bezahlformen einsetzt. Man wolle die Gesellschaft im Umfeld multipler Krisen stärker für das Thema des Bargeldes sensibilisieren, sagt Robert Holzmann, der Gouverneur der Österreichischen Nationalbank (ÖNB). Ende September ist daher die Plattform «Euro-Bargeld 360 Grad» ins Leben gerufen worden. Sie setzt sich zum Ziel, «attraktive Rahmenbedingungen für den Erhalt des Euro-Bargeldes» zu schaffen.
Sekundiert wird Holzmann von Ewald Nowotny, seinem Vorgänger an der Spitze der ÖNB. Dieser rät der Bevölkerung, nicht nur Kerzen, Zündhölzer und Mineralwasser zu Hause zu halten, sondern auch eine «signifikante Menge an Bargeld». Dies sei vernünftig für den Fall eines Blackouts. In die Bargeld-Kampagne eingebunden sind verschiedene weitere Gruppierungen, etwa die Prägeanstalt Münze Österreich, Konsumentenschützer, Arbeitnehmervertreter, der Seniorenrat und der Gemeindebund.
Ihre Argumente tönen teils vernünftig, teils ein wenig schrullig. Neutral bleibt selbstverständlich die ÖNB. Die Notenbank anerkenne die Unverzichtbarkeit von Bargeld, sagt der ÖNB-Direktor Matthias Schroth nüchtern; der digitale Euro sei bloss komplementär und damit «eine sinnvolle Ergänzung». Die Münze Österreich, eine Tochtergesellschaft der ÖNB, wirbt dagegen mit Emotionen. Bei der Bargeldbezahlung verwende man ein regional produziertes Zahlungsmittel, lautet einer ihrer Slogans. Es fördere den Standort Österreich und sichere damit Jobs.
In eigens produzierten – und ziemlich schrillen – Werbespots spricht die Münze diverse Bedenken an, die wohl viele Benutzer von Kreditkarten zu Recht plagen: Die Daten der Konsumenten bei ihren elektronischen Zahlungen seien für Firmen «extrem» wertvoll, heisst es. Und um zu verhindern, dass sie für unerwünschte Zwecke verwendet würden, solle man stets bar bezahlen – denn nur Bares sei Wahres.
Fraglich bleibt, ob solche Werbung überhaupt nötig ist. Denn in Österreich hängen noch immer so viele Menschen am Bargeld wie wahrscheinlich in keinem anderen europäischen Land ausserhalb Deutschlands. An der Kasse im Lebensmittelladen kramen nach wie vor unzählige Käufer ihre Münzen zusammen, und ausserhalb Wiens kommt man ohne Bargeld nicht weit. In Läden und dörflichen Gaststätten werden Bezahlkarten oft nicht akzeptiert.
In Schweden hält man wenig von Cash
Ganz anders liegen die Dinge in Schweden, das auf dem Weg in eine bargeldlose Zukunft als Vorreiter gilt. Aufschriften wie «Hier sind wir bargeldfrei» sind omnipräsent. Sie zieren Cafés, Hotels und Läden, die sich nicht mit Cash herumschlagen wollen. Bargeld gilt als umständlich und als Sicherheitsrisiko. Lieber zahlt man mit Karte oder der Bezahl-App Swish, dem schwedischen Pendant zum schweizerischen Zahlungssystem Twint. Auch Strassenmusikanten haben sich darauf eingerichtet. Statt eines Kässelis oder Huts präsentieren sie ihre Swish-Nummer auf einem Stück Karton.
Wie einer Statistik der schwedischen Nationalbank zu entnehmen ist, gaben im Jahr 2010 noch knapp 40 Prozent der Bevölkerung in einer Umfrage an, ihren jüngsten Einkauf bar bezahlt zu haben. 2020 waren es bereits weniger als 10 Prozent. Eine umfassende Untersuchung von über 200 Ländern zeigte ausserdem vor zwei Jahren, dass in Schweden der Bargeldumlauf von 2009 bis 2019 um 43 Prozent geschrumpft war, während ausser Norwegen (–23 Prozent) alle anderen Länder Zuwächse verzeichnet hatten.
Doch selbst in Schweden machen sich dieser Tage Zweifel breit. Dass ein Stromausfall die elektronischen Bezahlmethoden abstürzen lassen könnte und wie man dann noch schnell den Notvorrat einkaufen würde, darüber machte man sich in dem Land, das sich so schnell wie kein anderes vom Bargeld entwöhnt hat, lange Zeit keine Gedanken. Doch mit einem Krieg in der osteuropäischen Nachbarschaft, einer Energiekrise und dem Winter vor der Tür ist das Thema plötzlich aktuell.
Das Amt für Zivilschutz und Krisenbereitschaft (MSB) hat daher einen Leitfaden publiziert mit Tipps zum Bargeld-Notvorrat. Damit die Botschaft ankommt, wird sie begleitet vom Bild zweier Hände, die im Lichtschein einer Öllampe ein Bündel Banknoten sortieren. Es geht um Wissen, das offensichtlich nicht mehr als selbstverständlich erachtet wird in der modernen schwedischen Gesellschaft. Zum Beispiel, dass Bargeld ein Zahlungsmittel sei, das ohne elektronische Hilfsmittel, Karten oder Passwörter auskomme und ohne Zwischenstation den Besitzer wechseln könne. Oder dass der Nominalwert von Noten und Münzen durch die Nationalbank garantiert sei.
Eine klare Empfehlung, wie viel Bargeld man für den Krisenfall zu Hause haben sollte, geben weder das MSB noch die schwedische Zentralbank ab. «Eine Reserve in kleineren Noten», heisst es dazu im MSB-Leitfaden lediglich. Konkreter wird man bei Themen wie: «Warum soll ich Bargeld zu Hause haben?», «Wie komme ich zu Noten in kleineren Denominationen?» oder «Wie soll ich Bargeld zu Hause aufbewahren?». Allein die Fragestellungen zeigen, wie weit sich Schweden schon vom Bargeld entfernt hat. Gefiel man sich lange in dieser Rolle, zeigt sie nun auch Schattenseiten.
Die Schweiz empfiehlt eine Reserve in kleinen Scheinen
Die Schweiz liegt bezüglich ihrer Affinität zum Bargeld wohl irgendwo zwischen Schweden und Österreich. Für unregelmässige Zahlungen ist das Bargeld noch immer das am häufigsten eingesetzte Zahlungsmittel, wie eine 2021 veröffentlichte Umfrage der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zeigte. Der Nutzungsanteil ist aber zwischen 2017 und 2020 stark zurückgegangen, und zwar von 70 auf 43 Prozent. Besonders bargeldaffin sind dabei Tessiner, Personen mit einem Alter von mehr als 55 Jahren und Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen.
Auch hierzulande erinnern die Behörden – konkret das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) – die Bevölkerung daran, dass «bei einem Stromunterbruch auch Bancomaten betroffen sind und elektronische Zahlungsmittel wie Debit- und Kreditkarten oder die Bezahlung via Smartphone ausfallen können». Unter dem mittlerweile schon mehr als 50 Jahre alten Slogan «Kluger Rat – Notvorrat» empfiehlt das BWL eine «minimale Bargeldreserve in kleinen Scheinen».
Die SNB schliesst sich dem Ratschlag an. Eine Bargeld-Kampagne wie in Österreich lanciert sie deshalb aber nicht. Und zur Höhe der empfohlenen Reserve wird auf Anfrage betont, dies müsse jeder Haushalt in Abhängigkeit seiner Grösse und seines Konsumverhaltens selber bestimmen. Wichtig sei, dass der Vorrat in kleinen Stückelungen von beispielsweise 10er- und 20er-Noten sowie allenfalls auch als Münzen gehalten werde. «In Strommangellagen können so die notwendigen Einkäufe einfach und betragsgenau bezahlt werden», meint die SNB.
Ob man diesen monetären Notvorrat in Zeiten fehlender Elektrizität weiterhin von Bancomaten beziehen kann, bleibt derweil unklar. Seitens der SIX, des wichtigsten Anbieters von Finanzinfrastruktur-Diensten in der Schweiz, heisst es, als Unternehmen sei man gut auf eine Strommangellage vorbereitet und könne eine interne Überbrückung in Form eines autonomen Betriebs gewährleisten. Doch der physische Betrieb von Bancomaten liege in der Verantwortung der jeweiligen Banken und somit ausserhalb des Einflussbereiches der SIX.
Bargeldzahlung als verfassungsmässiges Recht?
Wie sähe es beispielsweise bei den Automaten der Zürcher Kantonalbank (ZKB) aus? Würden sie weiter Geld ausspucken? Die Bank lässt sich nicht in die Karten blicken. Sie teilt mit, Bancomaten könnten bei einer Stromabschaltung nur unter zwei Bedingungen weiterbetrieben werden: Erstens brauche es eine Notstromversorgung, und zweitens dürfe die Netzwerkverbindung nicht unterbrochen werden. Ob dies bei den ZKB-Maschinen erfüllt ist, wird nicht gesagt. Informationen zu spezifischen Massnahmen gebe man bekannt, wenn sich eine konkrete Situation abzeichne, heisst es.
Branchenkenner betonen aber, dass bei Schweizer Bancomaten weder eine Notstromversorgung noch eine gesicherte Netzwerkverbindung flächendeckend vorausgesetzt werden könne. Dass daher viele Automaten ihren Dienst versagen würden, liegt nahe, wie dies ja auch das BWL in seiner Empfehlung andeutet. Die SNB bezeichnet eine allfällige Strommangellage ganz grundsätzlich als Herausforderung für den Finanzplatz. Alle Akteure des Finanzplatzes müssten sich daher eigenverantwortlich mit den Szenarien auseinandersetzen, um ihre Funktionsfähigkeit sicherzustellen und die Risiken auf ein tragbares Niveau zu reduzieren.
Vor dem Hintergrund der momentan noch schwer abschätzbaren Risiken erfährt Bargeld ein Comeback – in Österreich und Schweden ebenso wie in der Schweiz oder anderswo. In Österreich wird die Krise gar genutzt, um Fakten zu schaffen. So ist Ende September das Volksbegehren «Für uneingeschränkte Bargeldzahlung» eingereicht worden. Lanciert von einem Wiener Schreinermeister und unterschrieben von 531 000 Personen, hat es die notwendige Schwelle von 100 000 Unterschriften locker übersprungen. Nun wird das Parlament darüber beraten müssen, ob das Anliegen in die Verfassung aufgenommen werden soll.
Daniel Imwinkelried (Wien), Rudolf Hermann, Thomas Fuster «Neue Zürcher Zeitung»