Das grosse Fressen: Schweizer Supermärkte schalten im Wettbewerb um die besten Preise in den Kampfmodus Lieferanten und Bauernvertreter beklagen den harten Wettbewerb im Schweizer Detailhandel. Für Konsumenten zeichnen sich dafür endlich günstigere Preise ab.
Lieferanten und Bauernvertreter beklagen den harten Wettbewerb im Schweizer Detailhandel. Für Konsumenten zeichnen sich dafür endlich günstigere Preise ab.
Dieses Willkommensgeschenk wurde gekühlt serviert. Per 31. August kündete der Discounter Aldi Suisse an, die Preise sämtlicher Fleischwaren massiv zu senken. Von einem Tag auf den anderen kosteten Poulet, Rind und Schwein bis zu 36 Prozent weniger.
Strategisch ist es ein Coup: Fleisch dient Händlern als Lockvogel. Die Leute kommen deswegen in den Laden und kaufen – so das Kalkül – noch anderes. Die Aldi-Konkurrenz wurde auf dem falschen Fuss erwischt.
Denn nur einen Tag darauf, am 1. September, hatte Florian Decker seinen ersten Arbeitstag in der Schweiz – seines Zeichens neuer Einkaufschef der Migros-Gruppe. Auch Deckers Nominierung war ein Paukenschlag. Er kommt aus Hamburg und war davor Eigenmarken-Chef bei Edeka, dem grössten Lebensmittelhändler Deutschlands.
Mit ihm vollzieht die Genossenschaft einen Strategiewechsel: Statt wie bisher getrennt kaufen die Migros, die Discount-Tochter Denner, der Schnellverpflegungsspezialist Migrolino sowie der Online-Supermarkt künftig gemeinsam ein. Damit hat die Migros bei Preisverhandlungen einen längeren Hebel. Deckers Job ist es, diesen maximal zu nutzen. Er ist gestählt vom deutschen Einzelhandel, welcher als der gnadenloseste – und folglich der billigste – in ganz Europa gilt. Viele Anbieter kämpfen um die Gunst der äusserst preisbewussten Käuferschaft. Loyale Kunden wie die sogenannten Migros-Kinder gibt es in Deutschland nicht. Eingekauft wird, wo es am billigsten ist.
Auch die Migros geht hart zur Sache
Aldi schreibt, dass die Preissenkungen von langer Hand geplant und der Zeitpunkt blosser Zufall sei. So oder so: Der Vorstoss verfehlte seine Wirkung nicht. Denner sah sich umgehend zum Reagieren gezwungen und verkauft ein halbes Kilo Rindfleisch nun auch für 6 Franken – ein Preisabschlag von 25 Prozent. Lidl bietet ein halbes Kilo gemischtes Hack derzeit sogar für nur 4 Franken an. Und auch die Migros blieb nicht untätig: «In den letzten Tagen wurden viele Fleischpreise gesenkt», bestätigt das Unternehmen auf Anfrage.
Die Schweizer Supermärkte haben in den Kampfmodus geschaltet. Massgeblich dafür verantwortlich ist die Migros, die Nummer eins im hiesigen Detailhandel. Der CEO Mario Irminger, selbst lange Jahre Denner-Chef, spricht offen davon, dass sich die Migros in Sachen Preise Richtung Discount verschieben wolle. Damit setzt sich die Migros gleich selbst unter Druck. Denn Preise sind leicht zu vergleichen. Irminger muss liefern.
Die Migros schreibt: «Die Migros hat als Gruppe Potenzial, um zu besseren Konditionen einzukaufen. Dieses Potenzial wollen wir in Zukunft noch besser nutzen.»
Das lässt bei den Lieferanten die Alarmglocken läuten. «Die Migros will vermehrt auf Eigenmarken setzen. Das könnte für einen Teil unserer Mitglieder gravierende Folgen haben – nämlich dann, wenn sie aus den Regalen ausgelistet werden», sagt Anastasia Li, Geschäftsführerin des Verbands Promarca. In ihm sind die Produzenten fast aller grossen Alltagsgütermarken vereinigt: von Barilla über Kägi fret bis hin zu Zweifel.
«Viele Markenhersteller haben investiert, um in die Regale der Migros zu kommen. Und Markenartikel werden oft als Steigbügel für Eigenmarkenprodukte verwendet», sagt Li. Umso mehr erwarte sie, dass sie nun von der Migros nicht einfach fallen gelassen würden.
Die Migros hat vor einem Jahr einen Grossumbau gestartet, welchem selbst Traditionsunternehmen wie das Reisebüro Hotelplan zum Opfer fallen. Das Ziel: mehr Fokus auf das Kerngeschäft der Migros. Sprich: die Supermärkte. Dafür wurde extra eine neu geschaffene Einheit gegründet, die Supermarkt AG. Sie kümmert sich um zentrale Bereiche wie Einkauf oder Marketing. Und auch bei der Migros Supermarkt AG stehen Kostensenkungen an oberster Stelle.
«Die Supermarkt AG der Migros verschärft den Ton beim Einkaufen, was wir über unsere Meldestelle schon mehrfach erfahren haben. Wir haben vor kurzem Rückmeldungen bekommen, dass die Migros-Einkäufer bei den Verhandlungen besonders hart verhandeln», sagt Stefan Flückiger, Geschäftsführer von Faire Märkte Schweiz. Einem Verein, der sich für Transparenz und gegen Wettbewerbsverzerrungen im Schweizer Lebensmittelsektor einsetzt.
Eigenmarken sind in, bio ist out
Besonders die Fleischoffensive von Aldi mache ihm Sorgen, sagt Flückiger. Zwar sei es tatsächlich so, dass der Discounter die Preisabschläge selber trage und nicht auf die Lieferanten überwälze. «Aber Aldi hat auch keine marktmächtige Position», sagt Flückiger.
Doch die Konkurrenz werde reagieren. Die Migros beispielsweise habe die nötige Grösse, um Preisnachlässe durchzudrücken. «Gerade in der jetzigen Phase werden die Mengen und Preise für 2025 verhandelt. Dort hat die Migros die Möglichkeit, Druck auf den Preis oder Label-Preiszuschläge zu machen.»
Und wenn die Lieferanten dann nachgäben, werde sich das ganze Preisgefüge nach unten verschieben. «Dann wird Aldi sicher auch nicht mehr bezahlen als die Konkurrenz», sagt Flückiger. Aldi schreibt dazu: «Es ist bedauerlich, falls unsere Mitbewerber nun Druck auf die Lieferanten ausüben. Wir hoffen, dass sie sich nicht gezwungen sehen nachzugeben.»
Grund für den harten Wettbewerb ist die sinkende Kaufkraft der Bevölkerung. Der Inflationsschub nach Corona hat die Preise massiv in die Höhe getrieben. Gemäss dem Bundesamt für Statistik kosten Nahrungsmittel heute rund 8 Prozent mehr als im Dezember 2020. Hinzu kommen stark gestiegenen Gesundheitskosten und Mieten.
Das hat Folgen: Konsumentinnen und Konsumenten setzen vermehrt auf günstige Produkte statt auf Premiummarken oder Bioprodukte. Und sie decken sich auch wieder in grossem Stil im Ausland ein. Wer also nicht in günstige Lebensmittel investiert, verliert Marktanteile – so wie die Migros jüngst.
Dabei haben die Supermärkte die Preiserhöhungen lange mitgetragen. «Direkt nach Corona hatte die Landwirtschaft eine massive Teuerung: Düngemittel, Energie – alles kostete mehr», sagt Leo Müller, Nationalrat für die Mitte. Der Landwirtschaftsvertreter sagt, dass damals vonseiten der Händler viel Verständnis da war. «Doch es scheint, als habe jetzt der Wind gedreht.»
Einzig Coop scheint sich dem harten Preiskampf ein wenig entziehen zu können. Er ist der wichtigste Kanal für Marken- und Bioartikel in der Schweiz. Das spricht eine Klientel an, welche andere Prioritäten hat als die gestiegenen Preise. Aber auch Coop sah sich gezwungen, die Günstig-Eigenmarke «Prix Garantie» stark auszubauen. Diese wuchs vergangenes Jahr um mehr als 15 Prozent.
Für die Kunden sind das erst einmal gute Nachrichten. In den Supermärkten zeichnet sich eine Preiswende ab – zumindest wenn die Händler ihre Versprechen einhalten. Die Konsumenten werden sie daran messen. So viel ist sicher.