Der Bund will die Klimaziele für Firmen verschärfen – nun schlägt die Wirtschaft Alarm Unternehmen, die am freiwilligen Klimaschutzsystem des Bundes teilnehmen, sollen neu zu einer jährlichen, fixen CO2-Reduktion verpflichtet werden. Economiesuisse warnt vor drastischen Folgen.

Unternehmen, die am freiwilligen Klimaschutzsystem des Bundes teilnehmen, sollen neu zu einer jährlichen, fixen CO2-Reduktion verpflichtet werden. Economiesuisse warnt vor drastischen Folgen.

(Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Als das Parlament im März dieses Jahres das CO2-Gesetz revidierte, war sich der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse über eines im Klaren: Die Schweizer Unternehmen werden ihre Anstrengungen verstärken müssen, um die ehrgeizigen neuen Ziele zu erreichen. Die Industrie etwa soll ihren CO2-Ausstoss bis 2030 um 35 Prozent senken.

Doch die Verordnung, mit welcher der Bund das Gesetz nun umsetzen will, schickt Schockwellen durch die Wirtschaft. Economiesuisse nehme mit «Erstaunen und grossem Unverständnis» Kenntnis von «fundamentalen Änderungen an den gesetzlichen Grundlagen», heisst es dazu in einem Papier des Verbandes.

Werde das Gesetz in dieser Form erlassen, seien mittelfristig Produktionsstandorte in der Schweiz «wegen ungenügender Wettbewerbsfähigkeit existenziell gefährdet».

Kleine und mittlere Unternehmen betroffen

Betroffen von der Änderung sind insbesondere energieintensiv produzierende kleine und mittelgrosse Firmen. Sollten die Pläne des Bundes tatsächlich umgesetzt werden, befürchtet das Economiesuisse-Geschäftsleitungsmitglied Alexander Keberle, «dass wir in gewissen Branchen eine Deindustrialisierung sehen werden, wie sie in grösserem Ausmass in Deutschland bereits zu beobachten ist».

Stein des Anstosses sind die vom Bund geplanten Änderungen im sogenannten Zielvereinbarungssystem. Mit diesem im Jahr 2000 geschaffenen Klimaschutz-Instrument können sich energieintensive Unternehmen dazu verpflichten, ihre Emissionen zu reduzieren.

Im Gegenzug wird ihnen die CO2-Abgabe vollständig rückerstattet. Diese Abgabe wird auf Brennstoffen erhoben, insbesondere Heizöl und Erdgas. Sie beträgt heute 120 Franken pro Tonne CO2 und gehört damit zu den höchsten weltweit.

Aus Sicht der Wirtschaft hat das Zielvereinbarungssystem bisher sehr viel erreicht. Es ermöglichte den Unternehmen, in den Klimaschutz zu investieren, ohne deswegen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Doch nun stellt das zuständige Bundesamt für Umwelt (Bafu) das System praktisch auf den Kopf, wie Alexander Keberle kritisiert.

Mit dem vom Volk 2023 verabschiedeten Klimaschutzgesetz wurde unter anderem ein sogenannter Absenkpfad für die Industrie festgelegt: Die Unternehmen müssen ihren CO2-Ausstoss nicht linear verringern. Vielmehr ist die Gangart bis 2040 gemächlicher. Danach beschleunigt sich das Tempo, um 2050 die vom Stimmvolk im Gesetz verankerte CO2-Neutralität zu erreichen.

Verbindliches Ziel

Das Bafu will nun von diesem Grundsatz abrücken und ein verbindliches Ziel festlegen. Die Unternehmen sollen neu pro Jahr ihren CO2-Ausstoss um mindestens 2,5 Prozent verringern. Nur: Für viele Industrieunternehmen ist das gar nicht möglich, wie Keberle erklärt. Der Grund: Viele der dazu nötigen Technologien sind noch gar nicht im grossen Massstab verfügbar.

Das ist etwa beim Erdgas der Fall. Viele Firmen setzen den fossilen Brennstoff ein, weil sie in ihrem Produktionsprozess sehr hohe Temperaturen benötigen, zum Beispiel für das Bearbeiten von Metall. Für solche Unternehmen gibt es aus heutiger Sicht praktisch nur eine Alternative: das Erdgas durch Wasserstoff zu ersetzen, der mit grünem Strom hergestellt wird.

Doch bereits heute ist klar: Bis solcher Wasserstoff in der Schweiz erhältlich sein wird, werden noch Jahre vergehen. Zwar wurden in den letzten Jahren weltweit Dutzende Projekte für die Produktion von grünem Wasserstoff angekündigt. Doch die allermeisten davon haben bis heute keine Investoren gefunden. Das führt dazu, dass vielen Unternehmen bis auf weiteres schlicht die Möglichkeit fehlt, ihren CO2-Ausstoss rasch zu senken.

Keberle warnt noch vor weiteren Folgen der Änderung. Im CO2-Gesetz wurde kürzlich festgelegt, dass neu alle Unternehmen am System der Zielvereinbarungen teilnehmen können. Müssen sie nun zwingend ihren CO2-Ausstoss jedes Jahr um mindestens 2,5 Prozent senken, werde das System besonders für solche Unternehmen unattraktiv, die bereits erhebliche Reduktionen erreicht hätten. «Die vom Bundesamt geplante Änderung bestraft die Vorreiter», sagt Keberle.

«Alle Hebel in Bewegung setzen»

Zugleich bestehe die Gefahr, dass Unternehmen, die heute mit dabei sind, aus dem System ausscheiden. Die Folge: Das System der Zielvereinbarungen wird künftig nicht etwa wie vom Gesetz vorgesehen mehr Wirkung erzielen als bislang. Sondern weniger.

Die politische Vernehmlassung für die Gesetzesanpassung ist inzwischen abgeschlossen, der Bund wird die Antworten in einem Bericht zusammenfassen. Bis dieser erscheint, will das Bundesamt für Umwelt die Kritik nicht kommentieren, wie es auf Anfrage heisst.

Laut Keberle braut sich in der gesamten Wirtschaft heftiger Widerstand gegen die Anpassung zusammen. «Wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, um zeigen, dass dieser Weg nicht gangbar ist.»

Jürg Meier, «Neue Zürcher Zeitung»

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