Detailhändler wehren sich gegen Vorwürfe der Abzockerei Laut einer neuen Studie sind die hohen Schweizer Preise im internationalen Vergleich voll mit höheren Kosten zu erklären – und nicht etwa mit höheren Gewinnmargen.

Laut einer neuen Studie sind die hohen Schweizer Preise im internationalen Vergleich voll mit höheren Kosten zu erklären – und nicht etwa mit höheren Gewinnmargen.

(Unsplash/Clark Street)

Die Preisinsel Schweiz ist in der Politik ein vieldiskutiertes Phänomen. Laut der EU-Statistikbehörde lagen 2023 die Preise von Gütern und Dienstleistungen für Privathaushalte in der Schweiz im Mittel 74 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Die enorm hohe Schweizer Kaufkraft, die hohen Kosten im Inland, der relativ kleine Markt, Handelsbarrieren und Regulierungen dürften wesentliche Faktoren dahinter sein.

 

Der Schweizer Detailhandel kämpft laut eigenen Angaben gegen das Image, «überhöhte» Preise zu verlangen. Der Branchenverband Swiss Retail Federation hat deshalb das Basler Wirtschaftsforschungsinstitut BAK mit einer Studie zur Erklärung der relativ hohen Detailhandelspreise in der Schweiz beauftragt. Das am Dienstag vorgelegte Papier sagt im Prinzip das Gewünschte. Die Schweizer Detailhändler sind in dieser Lesart keine «Abzocker». Vielmehr sei das hohe Preisniveau durch die hohen Kosten zu erklären.

Weit höhere Importpreise

Laut der Analyse waren die Detailhandelspreise 2023 im Mittel 35 Prozent höher als im Durchschnitt der vier Nachbarländer Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Der erste Erklärungsfaktor: Die Warenbeschaffungskosten der Schweizer Detailhändler sind viel höher.

Der Wareneinkauf macht in der Branche knapp zwei Drittel der Gesamtkosten aus. Für Importgüter zahlen die Schweizer Detailhändler im Mittel 49 Prozent mehr als ihre Branchenkollegen in den Nachbarländern. Bei den Lebensmitteln ist die Differenz etwas kleiner als im Non-Food-Sektor. Bananen waren zum Beispiel im Mittel 32 Prozent teurer als in den Vergleichsländern, Aprikosen 40 Prozent, Schuhe 97 Prozent, Hemden 125 Prozent.

Zwei mögliche Ursachen dieser grossen Differenzen: Die Lieferanten verlangen wegen der höheren Kaufkraft in der Schweiz höhere Preise. Zudem begrenzt das relativ geringe Marktvolumen in der Schweiz die Verhandlungsmacht von Schweizer Nachfragern. Hinzu kommen Handelsbarrieren einschliesslich Zölle.

Auch der Wareneinkauf im Inland ist für die Schweizer Detailhändler viel teurer als für die Händler der Nachbarstaaten – im Mittel um 52 Prozent.

Jenseits des Wareneinkaufs fallen noch viele andere Kosten an, etwa für Logistik, Energie, Mieten, Werbung, Finanzdienstleistungen und Wirtschaftsprüfung. Die BAK-Studie spricht hier von «Vorleistungen». Dieser Kostenblock ist laut der Studie in der Schweiz ebenfalls über 50 Prozent grösser als im Mittel der Nachbarländer.

Überhöhte Löhne?

Und ja: Die Schweizer Detailhändler zahlen viel höhere Löhne als die Branche in den Vergleichsländern. Die gesamten Arbeitskosten einschliesslich Sozialversicherungsbeiträge waren laut den BAK-Autoren 2021 mehr als doppelt so hoch wie im Mittel der Nachbarländer (122 Prozent höher). Die Arbeitsproduktivität ist zwar im Schweizer Detailhandel deutlich höher als in den Nachbarstaaten, doch der Produktivitätsunterschied ist bei weitem nicht so gross wie die Lohndifferenz. So lagen die Arbeitskosten pro Franken Wertschöpfung (im Jargon: Lohnstückkosten) in der Schweiz 46 Prozent höher als im Mittel der Vergleichsländer.

Böse gesagt: Gemessen an der Arbeitsproduktivität verdienen die Angestellten des Schweizer Detailhandels im Vergleich zu ihren Kollegen in den Nachbarländern «zu viel». Das relativ hohe Schweizer Lohnniveau ist zu erklären mit der insgesamt hohen Arbeitsproduktivität der Volkswirtschaft. Die Produktivität ist vor allem getrieben durch exportorientierte Sektoren wie Pharma und Finanzsektor. Das hohe Lohnniveau in jenen Sektoren färbt auf die weniger produktiven Binnensektoren wie den Detailhandel ab. Letztere müssen bis zu einem gewissen Grad mitziehen bei den Löhnen, um genügend Arbeitskräfte halten zu können.

Die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität ist zum Teil durch wenige Branchen getrieben, wie der BAK-Forscher Michael Grass betont. So hätte es laut Grass in der Schweiz von 2012 bis 2022 ohne die Beiträge der Sektoren Pharma, Finanzbranche und Grosshandel per saldo keinen Produktivitätsfortschritt gegeben.
 

Ähnliche Gewinnmargen

Zurück zum Detailhandel. Die vier genannten Kostenblöcke (Warenbeschaffung Inland, Warenbeschaffung Ausland, Arbeitskosten und Vorleistungen) würden laut der BAK-Analyse zusammen eine Kostendifferenz im Vergleich zu den Nachbarländern von rund 50 Prozent erklären. Im Vergleich dazu sieht die Preisdifferenz von «nur» 35 Prozent schon fast wieder gut aus. Doch die Schweizer haben auch gewisse Kostenvorteile. Dazu gehört die tiefere Mehrwertsteuer. Einschliesslich Mehrwertsteuer beträgt die Kostendifferenz laut BAK noch etwa 40 Prozent. Mögliche Kostenvorteile haben die Schweizer auch bei den Unternehmensgewinnsteuern und den Zinskosten. Zahlen dazu enthält die Studie aber nicht.

Die Gewinnmargen im Schweizer Detailhandel fallen im internationalen Vergleich nicht aus dem Rahmen. Laut dem BAK-Papier erreichten die Schweizer von 2016 bis 2021 im Mittel eine Nettogewinnmarge von 2,2 Prozent des Umsatzes. Das ist etwas mehr als in Frankreich (1,9 Prozent) und Italien (1,8 Prozent), aber weniger als in Deutschland (3,5 Prozent). Immerhin bringt eine Gewinnmarge auf einem Hochpreisprodukt in absoluten Zahlen mehr als eine prozentual gleich hohe Marge auf einem günstigeren Produkt.

Zur Effizienz des Schweizer Detailhandels im internationalen Vergleich macht das Papier keine Aussage. Es verweist aber auf die relativ hohe Filialdichte in der Schweiz. 2020 kam hierzulande auf 175 Einwohner eine Detailhandelsfiliale. In Deutschland, Österreich und Frankreich war es je eine Filiale auf 200 bis 250 Einwohner. Nur Italien hatte eine noch grössere Dichte als die Schweiz – mit einer Filiale pro 80 Einwohner.

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