Deutlich mehr Konkurse als im Vorjahr, von einer Pleitewelle kann jedoch keine Rede sein Im Jahr 2022 ist die Zahl der Konkurse gegenüber 2021 angestiegen. Eine NZZ-Datenanalyse zeigt jedoch, dass derzeit weniger Firmen insolvent sind als noch vor der Corona-Krise. Besonders im Handel und im Gastgewerbe gibt es grosse «Konkurslücken».

Im Jahr 2022 ist die Zahl der Konkurse gegenüber 2021 angestiegen. Eine NZZ-Datenanalyse zeigt jedoch, dass derzeit weniger Firmen insolvent sind als noch vor der Corona-Krise. Besonders im Handel und im Gastgewerbe gibt es grosse «Konkurslücken».

 

In der Gastronomie gibt es viel weniger Konkurse als zu Beginn der Corona-Krise befürchtet. Bild: unsplash

«Konkurswelle erfasst die Schweiz mit voller Wucht.» So titelte die «Handelszeitung» Anfang Juli und stützte sich dabei auf eine Analyse des Wirtschaftsinformationsdiensts Creditreform. Im September wurde in den Medien nachgedoppelt. Das Newsportal Nau verkündete: «Wegen Inflation & Co.: Schweizer Konkurswelle rollt weiter». Grundlage war auch hier eine Mitteilung von Creditreform, wonach die Zahl der Firmenpleiten deutlich über dem Vorjahresniveau liege.

Vergleich mit Vorkrisenniveau ausschlaggebend

Dabei ergab sich der drastische Anstieg der Konkurszahlen vor allem dadurch, dass einzig 2021 als Vergleichsjahr herangezogen wurde. Nur beiläufig wurde erwähnt, dass sich das Bild jeweils stark relativiert, wenn man die neusten Zahlen mit den Jahren vor der Corona-Krise vergleicht.

Die NZZ hat daher alle Handelsregistereinträge zu Auflösungen von Unternehmen aufgrund von Konkursen seit 2017 ausgewertet. Um sie mit den neuen Zahlen zu vergleichen, verwenden wir Durchschnittswerte der Jahre 2017 bis 2019.

Ein Konkurs wird eröffnet, wenn ein Unternehmen seine Schulden nicht mehr zurückzahlen kann. Während der Corona-Krise unternahmen Bund und Kantone daher viel, um zu verhindern, dass Restaurants und kleine Dienstleistungsunternehmen wegen Schutzmassnahmen und Zwangsschliessungen in Zahlungsschwierigkeiten gerieten. Laut dem Eidgenössischen Finanzdepartement wurden seit März 2020 mehr als 35 000 Unternehmen mit Härtefallhilfen unterstützt.

Zudem galt ein vereinfachtes Verfahren für die Anmeldung von Kurzarbeit. Selbständigerwerbende wurden für Erwerbsausfälle entschädigt. In der Anfangsphase der Pandemie entlastete der Bundesrat bestimmte Unternehmen zudem davon, bei einer Überschuldung unverzüglich das Konkursgericht zu benachrichtigen (Pflicht zur Überschuldungsanzeige). Somit erhielten die Unternehmen die Möglichkeit, den Betrieb trotz grossen Umsatzausfällen aufrechtzuerhalten.

Diese Massnahmen führten dazu, dass während der Corona-Krise deutlich weniger Firmen insolvent wurden, als dies zu erwarten gewesen wäre, weswegen sich 2020 und 2021 nicht als Vergleichsjahre eignen. Bereits nach Ende des ersten Lockdowns zeigte eine Analyse der NZZ, dass der Rettungsplan des Bundesrates offenbar Wirkung zeigte: Die Zahl der Konkurse und Liquidationen war während des Lockdowns eingebrochen. Nachdem Geschäfte und Restaurants wieder hatten öffnen können, erreichte die Zahl zwar rasch wieder das Vorjahresniveau, explodierte aber nicht.

Die Auswertung der neuen Daten zeigt, dass die Zahl der Firmenkonkurse bisher nur in den Monaten Mai, Juni und September 2022 über den entsprechenden Durchschnittswerten der Jahre 2017 bis 2019 lag. Im Oktober löste sich die vermeintliche «Konkurswelle» jedoch wieder in Luft auf. Es gab ungefähr 6 Prozent weniger Firmenauflösungen wegen Konkursen als im Durchschnitt der drei Vorkrisenjahre.

Insgesamt wurden 2022 bislang über 4700 Firmen insolvent, das sind genauso viele wie in den Monaten Januar bis Oktober in den Jahren 2017 bis 2019, das Konkursgeschehen hat sich also vollständig normalisiert. Der Effekt der Corona-Jahre zuvor war beträchtlich: In den Jahren 2020 und 2021 wurden jeweils 19 beziehungsweise 15 Prozent weniger Firmen wegen Konkursen aufgelöst als in den Jahren zuvor.

Der Rückgang während der Corona-Jahre war so stark, dass es gegenwärtig eine grosse «Konkurslücke» gibt. Es sind also Unternehmen weiterhin im Markt tätig, die normalerweise schon längst zahlungsunfähig geworden wären. Dementsprechend ist es möglich, dass einige Insolvenzen doch noch «nachgeholt» werden, insbesondere, da derzeit noch rund 97 000 Covid-19-Kredite laufen, die irgendwann fällig werden.

Weniger Konkurse in Gastronomie, Hotellerie und Handel

Am deutlichsten angestiegen ist die Anzahl der Konkurse im Jahr 2022 in der Medien- und Telekommunikationsbranche, im Grundstücks- und Wohnungswesen und bei Dienstleistungen. Während die Unternehmen in den beiden ersten Branchen während der Corona-Lockdowns normal arbeiten konnten, mussten zahlreiche Dienstleistungsbetriebe wie etwa Coiffeursalons wenigstens für kurze Zeit schliessen.

Im Dienstleistungssektor hatte die Anzahl der Konkurse im ersten Corona-Jahr verglichen mit den Vorjahren dennoch um mehr als 20 Prozent abgenommen, 2021 nahm sie dann noch um 6 Prozent ab. Mit dem diesjährigen Anstieg hat sich das Konkurslücke in dieser Branche weitgehend geschlossen.

Am härtesten von den Corona-Schutzmassnahmen getroffen wurden die Gastronomie und die Hotellerie sowie der Handel. Diese Branchen haben im Umkehrschluss aber auch am stärksten von staatlichen Hilfen profitiert. Die Zahl der Konkurse ging in der Folge im Jahr 2020 gegenüber den Vorkrisenjahren um 23 (Gastronomie und Hotellerie) beziehungsweise 21 Prozent (Handel) zurück. Anders als die Dienstleistungen verzeichneten die beiden Branchen im Jahr 2022 einen weiteren leichten Rückgang bei den Konkursen. Die Geschäfte sind dieses Jahr offenbar gut gelaufen, obwohl Gastrosuisse immer wieder davor gewarnt hatte, dass zahlreiche Betriebe wegen der Corona-Massnahmen wohl für immer schliessen müssten.

Regional betrachtet gibt es ebenfalls einige Unterschiede: In den Regionen Zürich und Espace Mittelland gab es dieses Jahr eine leichte Zunahme bei der Zahl der Konkurse gegenüber dem Vorkrisenniveau. In der Zentralschweiz, im Tessin und in der Nordwestschweiz war der Anstieg ausgeprägter. In der Genferseeregion und in der Ostschweiz gingen hingegen auch in diesem Jahr deutlich weniger Firme in Konkurs als 2017 bis 2019.

Bei der Interpretation muss allerdings berücksichtigt werden, dass in allen Regionen die Zahl der Konkurse in den Jahren 2020 und 2021 aussergewöhnlich niedrig war, so dass auch ein Anstieg in diesem Jahr in der Summe insgesamt nicht zu mehr Konkursen führt, als für den Zeitraum ab 2020 zu erwarten gewesen wäre.

Eine Studie des Statistischen Amts des Kantons Zürich hat die Konkurslücke für alle Schweizer Grossregionen berechnet. Demnach sind fast überall seit Krisenbeginn weniger Firmen in Konkurs gegangen als zur Vorkrisenzeit. Einzig in der Zentralschweiz hat sich die Lücke mittlerweile geschlossen, in der Ostschweiz öffnet sie sich hingegen weiterhin. Die Studie kommt denn auch zum Schluss, dass sich eine angebliche Konkurswelle für den Kanton Zürich statistisch nicht bestätigen lässt.

Auswirkungen der Energiekrise noch unklar

In den letzten Monaten haben die drohende Strom- und Gasmangellage sowie die explodierenden Energiepreise Corona als dominierendes Krisenthema abgelöst. Die Bedrohungslage ist für die Unternehmen eine andere als während der Lockdowns und dürfte aus den gestiegenen Kosten, die mit einer geringeren Nachfrage einhergehen, resultieren. Es ist noch offen, wie sich die Energiekrise in den kommenden Monaten auf die Konkurszahlen auswirken wird.

Obwohl auch in der Schweiz die Konsumentenstimmung an einem Tiefpunkt angelangt ist, dürfte sie wirtschaftlich besser als andere europäische Länder durch die Krise kommen. Die Prognosen gehen derzeit nur von einer Abschwächung des Wachstums aus, erwarten aber keine Rezession. Im Moment sieht es also nicht danach aus, dass die grosse Konkurswelle doch noch ins Rollen gerät.

Datenquellen

Die Konkursdaten stammen von der Datenschnittstelle des Zentralen Firmenindexes (Zefix). Die Einzelmeldungen wurden monatlich aggregiert. Die Brancheninformationen kommen vom Wirtschaftsinformationsdienst Moneyhouse. Daten zur täglichen Anzahl der Konkurse für die Schweiz und den Kanton Zürich gibt es auch beim Statistischen Amt des Kantons Zürich.

Unternehmen können sich auch durch eine Liquidation selbst auflösen, oder sie können wegen Mängeln in der Organisation von einem Gericht aufgelöst werden. In diesem Artikel fokussieren wir aber auf Konkurse, da hier klar ist, dass sich das betroffene Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten befindet.

Florian Seliger, «Neue Zürcher Zeitung»

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