Die Nachfrage nach Schweizer Uhren schwächelt: «Die Schnelligkeit des Rückgangs war extrem überraschend» Rapide Abnahme der Nachfrage bei Uhren der mittleren und unteren Preisklasse: Die Zulieferer im Jurabogen müssen den Sommer mit Kurzarbeit überbrücken.

Rapide Abnahme der Nachfrage bei Uhren der mittleren und unteren Preisklasse: Die Zulieferer im Jurabogen müssen den Sommer mit Kurzarbeit überbrücken.

(Bild: Piotr Janus auf Unsplash)

Um die 40 Unternehmen haben in den letzten Wochen beim Kanton Jura Anträge für Kurzarbeit gestellt – Anfang Jahr seien es gerade einmal fünf gewesen, sagt Pierre-Alain Berret, Leiter der Industrie- und Handelskammer Jura. Zudem sei die Zunahme an Anträgen sehr schnell erfolgt.

Potenziell 1500 bis 2000 Personen könnten im Kanton Jura demnächst Kurzarbeitsentschädigung beziehen. Betroffen sind verschiedene Branchen, wie etwa die Elektroindustrie, aber auch andere exportorientierte Industriezweige – insbesondere die Uhrenindustrie. Mehrere Unternehmen haben ihren Angestellten die Kurzarbeit bereits angekündigt, so etwa die Uhrengehäusehersteller Louis Lang und MRP.

Bei Louis Lang, mit 550 Angestellten einer der grössten privaten Arbeitgeber des Kantons, wird der Betrieb ab Ende Woche bis Anfang September eingestellt. Auch bei MRP wird an die Betriebsferien noch Kurzarbeit angehängt, so dass die Arbeit ebenfalls erst Anfang September wieder aufgenommen wird.

Das Unternehmen Recomatic, das Industriemaschinen hauptsächlich für die Uhrenindustrie herstellt, griff bereits im Monat Juni auf Kurzarbeit zurück, betroffen waren 20 Prozent von den insgesamt 140 Angestellten. Im Juli und August werde gearbeitet, heisst es vonseiten der Firma, doch im September könnte es womöglich erneut zu Kurzarbeit kommen.

Schwächelnder Markt in Asien

Grund für die fehlende Arbeit ist die tiefe Nachfrage im Uhrenmarkt. Seit Monaten blieb diese unter den Erwartungen – Inflation, schwächelnde Konjunktur, geopolitische Lage sowie ungünstige Wechselkurse haben dazu beigetragen. Gerade in China, Hongkong und Macau sei die Nachfrage stark eingebrochen, das betonen sowohl die Swatch Group als auch der Genfer Schmuck- und Uhrenkonzern Richemont in ihren kürzlich publizierten Geschäftszahlen.

Fluktuationen ist die Branche zwar gewohnt. «Die Verlangsamung in zwei der wichtigsten Märkte für die Schweizer Uhrenindustrie – China und Hongkong – hat sich schon letzten Sommer abgezeichnet», sagt Jean-Philippe Bertschy, Leiter Research Schweizer Aktien bei der Bank Vontobel: «Die Schnelligkeit und Grösse des Rückgangs waren aber extrem überraschend.»

Doch auch wenn die Uhrenmarken den Rückgang spüren, benötigen sie für ihre Produktion in der Schweiz bislang keine Kurzarbeit – im Gegenteil: In einigen Uhrenproduktionsfirmen der oberen Preisklasse soll es derzeit sogar viel Arbeit geben, wie in der Branche zu vernehmen ist. Spürbar ist der Nachfragerückgang vor allem bei der mittleren und unteren Preisklasse. Und dies hat Konsequenzen für die ganze Lieferkette: «Wenn einige Marken ihre Bestellungen um 50 oder gar 70 Prozent senken, dann trifft das die Lieferanten brutal», so Bertschy.

Dies hat einen einfachen Grund: Nach der Corona-Pandemie habe sich die Branche rasch wieder erholt, die Produktion stieg stark, die Zulieferer produzierten en masse. So konnten die Uhrenmarken ihre Lager füllen. Doch während sie nun mit der Produktion der Uhren beschäftigt sind, brauchen sie wegen des Lagervorrats sowie der weltweit tieferen Uhrennachfrage keine neuen Gehäuse, Teile und Zubehör mehr.

Nicht nur der Kanton Jura spürt dies. Auch in anderen Kantonen spielt die Uhrenindustrie wirtschaftlich eine wichtige Rolle. In der Schweiz sind neun von zehn Personen, die in dieser Branche arbeiten, im Jurabogen – auch «Uhrenbogen» genannt – beschäftigt, der sich über die Kantone Jura, Bern, Solothurn, Neuenburg, Waadt und Genf erstreckt. Im Kanton Jura ist vor allem der Anteil an Zulieferfirmen sehr hoch; Uhrenmarken sind hier relativ wenige ansässig. Deshalb sind die Konsequenzen sehr spürbar.

«Kurzarbeit ist ein effizientes Instrument»

Es ist aber nicht das erste Mal, dass diese Unternehmen auf Kurzarbeit zurückgreifen. «Die Kurzarbeit ist ein effizientes Instrument, um diese Schwankungen abzufedern», sagt Jacques Gerber, der freisinnige Wirtschaftsdirektor des Kantons Jura. Der Bundesrat hat kürzlich beschlossen, die Höchstbezugsdauer von Kurzarbeitsentschädigung ab dem 1. August 2024 von 12 auf 18 Monate zu verlängern. Auch wenn die Kurzarbeit der Uhrenfirmen im Kanton Jura wenige Wochen betragen dürfte, so ist sie für Gerber dennoch ein wichtiges Mittel, um die Wirtschaftsstruktur des Kantons zu erhalten.

Gleichzeitig sei die Kurzarbeit aber auch für die Unternehmen selbst höchst nützlich – nicht nur, um Fachkräfteschwund zu vermeiden: «Durch die Kurzarbeit bleibt die Motivation und Treue zum Unternehmen hoch, weil man angestellt bleibt. Wir stellen fest, dass die Arbeitnehmer sehr leistungsstark sind, wenn sie die Arbeit wieder aufnehmen.» Weil der Bund nur für 80 Prozent des Lohns aufkommt, bezahlen einige Unternehmen zudem den fehlenden Betrag.

Allzu grosse Sorgen macht man sich in der Branche derzeit nicht, man geht nur von einer temporären Durststrecke aus. Schweizer Uhren dürften attraktiv bleiben, sagt auch Bertschy. «Die Nachfrage in anderen asiatischen Märkten und auch in Europa bleibt solid, im amerikanischen Markt sogar sehr hoch.» Auch würde es nicht alle Marken gleich treffen: «Die starken Marken mit einer hohen Preissetzungskraft schneiden viel besser ab – die Begehrlichkeit der Marken und das Kundenerlebnis der Kunden in den Läden sind entscheidend.»

Rückgang auf hohem Niveau

Auch ein von Kurzarbeit betroffener langjähriger Mitarbeiter beim Uhrengehäusehersteller MRB macht sich keine Sorgen. Die Firma habe beispielsweise geplante Investitionen nicht gestoppt. Auch Pierre-Alain Berret von der Industrie- und Handelskammer bemerkt, dass zahlreiche Unternehmen an ihren Entwicklungs- und Erweiterungsprojekten festhielten, in allen Sektoren: «Das ist ein Zeichen dafür, dass die Unternehmen Vertrauen in die Zukunft haben.» Bezüglich Uhrenindustrie rechnen Experten damit, dass die Nachfrage Ende Jahr oder Anfang nächstes Jahr wieder steigen dürfte.

Analyst Bertschy fügt an: «Was zudem gerne vergessengeht: Es ist ein Rückgang auf sehr hohem Niveau.» Nach der Corona-Pandemie kam es zu einem sehr grossen Anstieg von Uhrenverkäufen, höher als vor der Pandemie. Unter anderem hätten etwa junge Menschen zum Aufschwung der Branche beigetragen. Die grössere Fallhöhe mache den Rückgang jetzt deshalb umso stärker spürbar. Bei Richemont Specialist Watchmakers lägen die Verkaufszahlen heute aber immer noch 20 Prozent höher als 2019, sagt Bertschy. «Es gibt keinen Grund zur Panik. Zumindest für die starken Marken.»

Eva Hirschi, «Neue Zürcher Zeitung»

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