Die Verzweiflung wächst: Die westlichen Autohersteller verlieren in China massiv Umsatz Im grössten Automarkt der Welt werden chinesische Marken immer erfolgreicher. Hersteller aus Japan, Südkorea und Europa geraten in Rücklage – und überlegen sich Gegenmassnahmen.

Im grössten Automarkt der Welt werden chinesische Marken immer erfolgreicher. Hersteller aus Japan, Südkorea und Europa geraten in Rücklage – und überlegen sich Gegenmassnahmen.

(Bild: Unsplash)

Für viele europäische und asiatische Hersteller war China jahrelang das Paradies. Das Wachstum auf dem grössten Automarkt der Welt schien unbegrenzt, der Profit ebenso. Doch seit einiger Zeit ändert sich das Bild dramatisch. Die Umsatzzahlen für das erste Halbjahr 2024 dürften in vielen Konzernzentralen die Alarmglocken noch schriller läuten lassen als bisher. Sie sind durchwegs schlecht und für manche Marken gar verheerend.

Die deutschen Autobauer Volkswagen, BMW und Mercedes setzten im ersten Halbjahr in China weniger Fahrzeuge ab. Volkswagen etwa lieferte nicht mehr 1,5 Millionen Fahrzeuge aus wie noch im ersten Semester des Vorjahres. Sondern nur noch 1,3 Millionen. Besonders hart traf es Porsche: Die Edelmarke des Mutterkonzerns VW setzte ein Drittel weniger Fahrzeuge ab, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Die Folge: Der Sportwagenhersteller senkte seine Prognosen für Jahresumsatz und Rendite.

Grosse Aufgabe für den VW-Chef

Für den Volkswagen-Konzern ist diese Entwicklung besonders bitter. Als er Porsche im Herbst 2022 separat an die Börse brachte, herrschte Euphorie. Denn die Edelmarke galt als lukrativster Teil des weltweit erfolgreichen Autobauers. Zeitweise stieg der Porsche-Aktienkurs auf 120 Euro. Heute ist der Titel noch etwas mehr als die Hälfte wert.

Der Porsche-Chef Oliver Blume, der gleichzeitig CEO des Mutterkonzerns Volkswagen ist, steht vor einer doppelten Herausforderung: Er muss nicht nur Volkswagen auf die richtige Spur zurückbringen. Sondern auch seine bisher als Erfolgsbastion geltende Marke Porsche.

Es gibt immerhin eine Sache, welche die deutschen Autohersteller freuen kann: Anderen Marken ergeht es ebenso schlecht – oder noch schlechter. Verheerend ist etwa die Entwicklung bei Hyundai aus Südkorea. Die Marke verkauft heute in China nur noch ein Fünftel so viele Fahrzeuge wie vor sechs Jahren.

Bei Toyota, Honda und Nissan aus Japan ist die Tendenz ähnlich. Nissan setzt in China weniger als halb so viele Autos ab wie noch 2018. Die drei Marken haben inzwischen die lokale Autoproduktion heruntergefahren, sowohl Nissan als auch Honda werden Fabriken in China schliessen.

Der wichtigste Grund für die Entwicklung ist der Erfolg chinesischer Marken. Der amerikanische Fahrtenvermittler Uber gab vor wenigen Tagen eine globale Partnerschaft mit dem chinesischen Elektroautobauer BYD bekannt. Das Ziel: Bei Uber sollen 100 000 neue Fahrzeuge von BYD zum Einsatz kommen.

Das beweist: Immer mehr chinesische Autos können sich inzwischen an der Konkurrenz aus Südkorea, Japan und Europa messen. 18 der 20 meistverkauften Elektroautos in China sind einheimische Modelle, wie der Autoexperte Michael Dunne erklärt. Die übrigen zwei sind Teslas.

Doch selbst Tesla kriselt. Die Marke galt lange als Vorreiterin der Elektromobilität mit einem fast uneinholbaren Vorsprung bei Reichweite und Bedienerfreundlichkeit. Doch obwohl China unter den bedeutenden Automärkten derjenige ist, der sich am schnellsten elektrifiziert, kann Tesla immer weniger mithalten. In drei der letzten vier Quartale sank der Umsatz.

Westliche Marken geben Gegensteuer

Weil die chinesischen Autobauer zunehmend ins Ausland drängen, schützt die EU ihre heimische Industrie mit Importzöllen. Aufgrund fehlender Nachfrage in China beginnen GM, Ford und Hyundai, in ihren nicht mehr benötigten chinesischen Fabriken Autos für den Export zu bauen. Die beiden japanischen Konzerne Nissan und Honda besiegelten vor wenigen Tagen eine erstmals im März angekündigte umfassende Zusammenarbeit. Die beiden Rivalen wollen gemeinsam Software für Elektroautos entwickeln und sich gegenseitig mit Batterien beliefern.

«In den Bereichen Elektrifizierung und Intelligenz übersteigt die Geschwindigkeit des Wandels bei weitem unsere Erwartungen», sagte Hondas Vorstandsvorsitzender Toshihiro Mibe laut der «Financial Times» an einer gemeinsamen Pressekonferenz in Tokio. Die beiden Marken müssten sich jetzt bewegen, fügte er an – sonst würden sie nicht in der Lage sein, den Rückstand aufzuholen.

 

Jürg Meier, «Neue Zürcher Zeitung»

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