Elektrisch in die Luft: Schwedens «Auto-Stadt» Göteborg erhält nun auch noch eine Flugzeugfabrik Das schwedische Startup Heart Aerospace aspiriert auf eine Pionierrolle beim Bau von Elektroflugzeugen für den kommerziellen Verkehr. Es hat dafür namhafte Investoren aus Industrie und Luftfahrt gewonnen und auch schon erste Bestellungen eingesammelt. Nun rüstet man sich für den grossen Sprung.
Das schwedische Startup Heart Aerospace aspiriert auf eine Pionierrolle beim Bau von Elektroflugzeugen für den kommerziellen Verkehr. Es hat dafür namhafte Investoren aus Industrie und Luftfahrt gewonnen und auch schon erste Bestellungen eingesammelt. Nun rüstet man sich für den grossen Sprung.
ES-30 heisst das Ding, mit dem das schwedische Unternehmen Heart Aerospace in der näheren Zukunft den Markt für den regionalen Luftverkehr aufmischen will. Hinter dieser Typenbezeichnung versteckt sich ein 30-plätziges Flugzeug, das elektrisch fliegen soll. Etwa 2026 als Prototyp, im regulären Verkehr sodann ab 2028.
Ursprünglich hatte Heart Aerospace das Produkt etwas kleiner geplant, nämlich als 19-Plätzer, der dafür schon zwei Jahre früher in die Lüfte hätte steigen sollen. Doch weil die Marktforschung zeigte, dass die interessierten Fluggesellschaften einen etwas grösseren Typ wünschten, ging man nochmals über die Bücher.
Das Interesse zieht an
Mit Erfolg, denn inzwischen hat das Göteborger Startup mit Air Canada und SAS zwei bekannte Airlines als Partner an Land gezogen, die das Flugzeug kaufen wollen. Air Canada will 30 Einheiten erwerben und hat sich zudem eine Minderheitsbeteiligung an Heart Aerospace gesichert, während SAS sich mit den Zahlen noch bedeckt hält. Der Hersteller selbst spricht von insgesamt fast 100 eingegangenen Bestellungen. Zum Kreis der Interessenten gehören auch Finnair und United Airlines sowie Leasingfirmen.
Vor diesem Hintergrund hat man sich bei Heart zum grossen Sprung entschieden. Die Belegschaft wird von derzeit 130 Angestellten auf 500 aufgestockt, und es wird eine Fabrik errichtet, in der das Flugzeug dann gebaut wird.
Standort der Produktionsbasis, die den Namen Northern Runway erhält, ist der Flughafen Säve nordwestlich von Göteborg. Dieser war einige Zeit von Budget-Airlines angeflogen worden, hat inzwischen aber den Linienbetrieb eingestellt und wird nur noch von Kleinflugzeugen genutzt. Man baue dabei nicht nur eine Fabrik, sagte der Gründer und CEO von Heart Aerospace, Anders Forslund, recht selbstbewusst. Sondern man lege den Grundstein für einen ganz neuen Industriezweig.
In einem Communiqué bezeichnet das Startup Northern Runway als weltweit erste Fabrik für den Bau elektrischer Linienflugzeuge dieser Grösse für den kommerziellen Betrieb. Göteborg, die grösste Stadt an der schwedischen Westküste und bisher vor allem bekannt durch den Automobilbau und den Markennamen Volvo, erhält damit eine prestigeträchtige Erweiterung des industriellen Portfolios. Die Verankerung der Stadt im Maschinenbau dürfte im Übrigen auch den Standortentscheid für Heart beeinflusst haben. Denn mit der Technischen Universität Chalmers ist eine renommierte akademische Institution Teil des Göteborger Industrie-Ökosystems.
Auch Saab kommt an Bord
Ferner wird Heart Aerospace auch auf die Expertise des schwedischen Aviatik- und Rüstungskonzerns Saab zurückgreifen können. Wie Air Canada ist Saab als Minderheitsaktionär beim Startup eingestiegen. Zwar hat man die Produktion von Verkehrsflugzeugen schon vor Jahren auslaufen lassen. Nach wie vor baut der Konzern aber Militärjets, und laut Analytikern könnte er für das Göteborger Startup ein wichtiger Berater sein für die Zertifizierung des neuen Elektroflugzeugs.
Der Wunsch der interessierten Airlines nach einem grösseren Modell als dem ursprünglich geplanten Typ ES-19 hat zu einer Veränderung des Konzepts geführt: Der ES-30 ist nun als hybrides Flugzeug ausgelegt. Distanzen bis 200 Kilometer können allein mit Batterien bewältigt werden, und für ihre Aufladung soll eine Standzeit von unter einer Stunde ausreichen.
Für längere Strecken jedoch muss ein Stromgenerator helfen, der mit Kerosin betrieben wird. Zur Anwendung soll allerdings nachhaltig produzierter Treibstoff kommen, im Jargon SAF (Sustainable Aviation Fuel) genannt. So steigt die Reichweite laut Herstellerangaben auf 400 Kilometer oder, wenn nur 25 Passagiere an Bord genommen werden, sogar auf gegen 800 Kilometer.
Es sei zudem zu erwarten, dass diese Werte sich in Zukunft in positiver Richtung verändern würden, sagt der CEO Forslund. Verbesserte Batterietechnik könnte bis Ende 2030 Reichweiten von 400 beziehungsweise 600 Kilometern ermöglichen.
Nordeuropa – ein spezifischer Regionalmarkt
Es kommt nicht von ungefähr, dass mit Air Canada, SAS und Finnair Fluggesellschaften Interesse am Göteborger Elektroflugzeug zeigen, die beim Regionalverkehr eine ganze Reihe kürzerer Routen zu kleinen Flughäfen in ihrem Streckennetz haben. Verspricht der Hersteller nicht zu viel, müsste der ES-30 gerade für solche Verbindungen günstiger zu betreiben sein als ein Flugzeug auf Kerosin-Basis.
Die Verkehrsanbindung ländlicher Regionen ist in Nordeuropa seit je eine Herausforderung. Kleine und günstig zu betreibende Maschinen könnten für abgelegene Siedlungen eine bedeutende Verbesserung bringen, weil sie häufigere Verbindungen ermöglichen. Die norwegische Regionalfluggesellschaft Wideröe will bereits ab 2026 erste Strecken elektrisch befliegen. Sie setzt dafür auf das 11-plätzige Flugzeug P-Volt des italienischen Herstellers Tecnam ein.
Nicht zuletzt wollen die am ES-30 interessierten Fluggesellschaften ihren Willen zum Übergang auf einen klimaneutralen Flugbetrieb bezeugen – auch wenn es dafür noch Zeit brauchen wird. Der Heart-CEO Forslund wiederum frohlockt, dass mit dem elektrischen Fliegen der in Schweden geprägte Ausdruck «Flugscham» dann wieder aus dem Vokabular gestrichen werden könne.