«Für fast jede*n»? Gendersterne stossen auf viel Ablehnung. Das bekommen auch Marketingabteilungen zu spüren Die Zürcher Stadtverwaltung setzt aufs Gendern. In den Marketingabteilungen grosser Unternehmen setzt derweil ein Umdenken ein.
Die Zürcher Stadtverwaltung setzt aufs Gendern. In den Marketingabteilungen grosser Unternehmen setzt derweil ein Umdenken ein.
«Zürcher*innen haben mehr Lego als Basler*innen» – «Glattbrugger*innen kaufen mehr Reithosen als alle anderen». Mit einer Kampagne, die prominent auf Gendersterne setzte, sorgte der Versandhändler Digitec Galaxus vor zwei Jahren für Aufsehen – und Kritik. Während die einen die originelle Idee lobten, störten sich andere an der prominenten Platzierung des Sterns. «Lasst es sein», lauteten einige Kommentare online. «Als Unternehmen sollte man auf solche Trends nicht aufspringen.»
Der Genderstern erhitzt die Gemüter. Am kommenden Sonntag stimmt die Zürcher Bevölkerung sogar über ihn ab: Die Initiative «Tschüss Genderstern» fordert, dass die Zürcher Stadtverwaltung künftig auf Formulierungen wie «Bürger*innen» oder «Polizist*innen» verzichtet. Laut einer NZZ-Befragung im vergangenen Jahr sind 54 Prozent der Zürcher «überhaupt nicht damit einverstanden», dass in öffentlichen Dokumenten gegendert wird.
Auch in der Kommunikation von Unternehmen hat sich das Sternchen – oder verwandte sprachliche Formen – in den vergangenen Jahren einiger Beliebtheit erfreut. Eine Umfrage der «FAZ» und der Hochschule Darmstadt aus dem Jahr 2021 ergab, dass immerhin 16 der 30 DAX-Konzerne Gendersprache befürworten. In Deutschland wird laut einer Befragung des Münchner Ifo-Instituts in jedem dritten Unternehmen sogenannte genderneutrale Sprache verwendet.
Migros erntet Kritik auf Social Media
Auch hierzulande taucht der Genderstern immer wieder in der Kommunikation von Unternehmen auf. Die Migros verwendet ihn etwa in ihren deutschsprachigen Social-Media-Posts – und stösst damit bei vielen auf Ablehnung. Nach zahlreichen negativen Online-Kommentaren sah sich das Unternehmen Anfang des Jahres genötigt, ein Video zu veröffentlichen, in dem die Gleichstellungsbeauftragte des Kantons St. Gallen den Sinn und Zweck des Genderns erklärt. Die Reaktion: noch mehr verärgerte Kommentare.
So wie der Migros ergehe es einigen Unternehmen, erklärt der Markenforscher Oliver Errichiello. «In der Werbebranche hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass Kunden sensibel für bestimmte gesellschaftliche Themen sind – und dass man sich als Unternehmen positionieren muss.» Gerade beim Genderstern könne das aber auch nach hinten losgehen: «Das Symbol ist inzwischen so stark politisch aufgeladen, dass Gendern ein politisches Statement ist. Unternehmen machen sich also mit politischen Positionen gemein.»
Laut Errichiello geht eine solche politische Positionierung an den Bedürfnissen der Kunden vorbei. Zwar kreuzten viele in Befragungen Werte wie «Nachhaltigkeit» und «Diversität» an, wenn sie angeben müssten, was ihnen beim Konsum wichtig sei. «Doch fragt man die Leute spontan und ohne Antwortvorgaben, worauf sie beim Einkauf achten, sagen sie Qualität und Preis. Das schlägt sich auch im Kaufverhalten nieder.» Und auch den Unternehmen gehe es ja nicht darum, zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beizutragen, sondern vor allem darum, mehr Kunden zu gewinnen.
Nicht alles muss eine politische Botschaft haben
Für den Markenforscher ist klar: Ein Unternehmen sollte sich gut überlegen, ob ein Symbol wie der Genderstern zur eigenen DNA passt. «Für Unternehmen, die in diesem Milieu von Anfang an verankert waren und eine sehr politische Zielgruppe ansprechen, ist es vollkommen richtig, solche Signale zu senden.» Wer zum Beispiel vegane Produkte oder nachhaltige Kleidung herstellt, hat in aller Regel eine junge, urbane Kundschaft, die auch bei Gender-Themen sensibel reagiert. «Wenn man hingegen wie die Migros einfach auf diesen Zug aufspringt, schmückt man sich mit Federn, die man gar nicht wirklich trägt.»
Für Errichiello ist das eine Gefahr. «Wenn der Kauf einer Mayonnaise, eines Mineralwassers oder eines Kaugummis ein gesellschaftliches Statement ist, dann ist irgendwann nichts mehr unpolitisch.» Dabei gebe es für Unternehmen viel bessere Wege, ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erfüllen: «Nämlich indem sie sinnvolle, qualitativ hochwertige Produkte herstellen, ihren Angestellten anständige Löhne bezahlen und ihre Lieferanten fair behandeln.»
Marketingabteilungen denken um
Doch Errichiello sagt auch, er sehe einen Wandel. Schritt für Schritt setze in den Marketingabteilungen ein Umdenken ein. «Immer mehr Unternehmen rücken vom sogenannten Purpose-Marketing ab. Selbst grosse internationale Konzerne wie Procter & Gamble und Unilever haben hier in jüngster Zeit ihre Marketingstrategie geändert.»
In der Schweiz war die Migros-Tochter Digitec Galaxus das erste Unternehmen, das in seinen Werbekampagnen mit dem Genderstern experimentierte. Seit 2019 verwendet der Online-Händler den Claim «Fast alles für fast jede*n» – allerdings steht dieser nur klein gedruckt am Rande der Werbeplakate.
Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, der Genderstern sei nicht fester Bestandteil der externen Kommunikation, sondern werde nur für einzelne Kampagnen eingesetzt. In Bereichen wie Kundendienst, Produktmarketing oder Medienmitteilungen verzichte das Unternehmen auf den Stern, um den Lesefluss der Texte nicht zu stören. Die Migros teilt auf Anfrage mit, ihr sei es beim Sprachgebrauch wichtig, dass sich alle angesprochen fühlten. Wie das in der Praxis umgesetzt werde, könne «je nach Kommunikationskanal verschieden sein».
Komik statt Gendern
Für Errichiello ein klares Zeichen, dass der Wind dreht. In der Werbebranche habe der Wandel bereits eingesetzt: «Bei den Kreativpreisen, die in der Branche verliehen werden, hat Sinnhaftigkeit in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren. Stattdessen stehen wieder Witz und Komik im Vordergrund.»
Was allerdings passieren kann, wenn man Themen wie Gender und Komik miteinander kombiniert, durfte vergangenes Jahr der Tilsiter Käse erfahren. Werbeplakate mit dem Spruch «Alle sind jetzt non-binär und lieben diversen Tilsit*er» sorgten für einige Kritik – etwa von Queer Thurgau. Auch in der Transgender-Szene wurde der Spruch als diskriminierend empfunden.
In diesem Jahr legte Tilsiter nach und titelte: «Alle drei Geschlechter, ungelogen, geniessen den Tilsiter-Regenbogen». Eine versöhnlichere Formulierung – und ganz ohne Stern