Gefällt es ihnen bei uns nicht mehr? Die Zahl der chinesischen Touristen könnte sich nie mehr erholen Vor fünf Jahren kamen die Chinesen in gigantischen Reisegruppen in die Schweiz. Touristiker hoffen auf ein Comeback.

Vor fünf Jahren kamen die Chinesen in gigantischen Reisegruppen in die Schweiz. Touristiker hoffen auf ein Comeback.

(Bild: Mario Heller auf Unsplash)

Im Mai 2019 wurde die Schweiz von der «chinesischen Welle» («Tages-Anzeiger») überrollt. Eine Mega-Reisegruppe von 12 000 chinesischen Touristen durchquerte das Land. An einem Tag brachten 95 Busse 4000 von ihnen nach Luzern.

Gemäss der Marketingorganisation Schweiz Tourismus handelte es sich hierzulande um die grösste Reisegruppe aller Zeiten. Wo die Chinesen auftauchten, herrschte helle Aufregung. «Stürmischer Auftritt der Chinesen», titelte der «Bote der Urschweiz», «Luzern wird China Town» die «Luzerner Zeitung». Die Schweiz erlebte ihren China-Höhepunkt, den «Peak China».

2019 waren die Chinesen die drittgrösste Besuchergruppe in der Schweiz nach den Deutschen und den Amerikanern. Sie generierten 1,8 Millionen Logiernächte. Weil sie so geballt auftraten und das Wachstum so steil war, sahen manche bereits schwarz. So sagte der amerikanische Tourist Bruce dem Online-Portal «Watson», dass ihm die Chinesen auf die Nerven gingen. Diese, so die Befürchtung, würden bald alles dominieren. Der Begriff «Over-Tourismus» wurde salonfähig.

Bekanntlich kam alles anders. Nach dem Ausbruch der Covid-Pandemie brach der Markt zusammen. Auch heute, fünf Jahre nach dem «Peak China» hat er sich nicht erholt. Und Touristiker gewöhnen sich langsam an den Gedanken, dass er das vielleicht nie mehr tun wird. Der Halbjahresbericht der Jungfraubahn hält nüchtern fest: «Während die Gästezahlen aus den USA und Indien weiterwachsen, liegen jene aus China und Japan hinter den Erwartungen zurück.»

Diese Beobachtung teilt die ganze Industrie. «Seit Corona kommen noch vereinzelt Individualtouristen aus China. Die Rückmeldungen, die wir von den Reisefirmen haben, deuten nicht darauf hin, dass sich der Markt bald erholt. Sicher nicht in den nächsten zwei bis vier Jahren», sagt Marco von Euw, Direktor des Hotels Metropole in Interlaken. 2019 seien noch zehn Prozent seiner Gäste Chinesen gewesen.

Die Chinesen blieben der Party fern

Chinesische Touristen würden fast immer in Gruppen reisen und nicht direkt, sondern über Zwischenhändler buchen, sagt von Euw. «Gruppenreisen sind kein Last-Minute-Geschäft. Deshalb sehen wir schon jetzt, dass die Zurückhaltung anhält.»

 

Die Reiseindustrie hat sich nach Corona viel schneller erholt als vorausgesagt. Der sogenannte «Revenge Travel», also das Nachholen der während zwei Jahren quasi verbotenen Ferien, hat der Branche eine grosse Party beschert. Die Chinesen blieben ihr allerdings weitgehend fern.

Nimmt man das erste Halbjahr 2024 als Massstab, so liegt die Zahl der chinesischen Gäste in der Schweiz derzeit etwa so hoch wie 2014. Das ist nicht schlecht, aber weit weg von den Boomjahren 2018 und 2019. Schweiz Tourismus spricht von einer «soliden Entwicklung». Kommendes Jahr hoffe man wieder auf 80 bis 100 Prozent des Vor-Corona-Niveaus.

Auf die Frage, ob es möglich sei, dass die Rekordzahlen von 2019 nie mehr erreicht würden, schreibt Schweiz Tourismus: «Dieses Szenario ist durchaus denkbar. Unser Ziel ist es, dass wir zwar weniger Gäste als 2019 haben, diese aber länger bleiben.»

Aber was ist los mit den Chinesen? Gefällt es ihnen in der Schweiz nicht mehr? Es gibt gleich mehrere Gründe dafür, dass der Markt lahmt.

Chinesische Touristen brauchen für den Schengenraum, dem auch die Schweiz angehört, ein Visum. Weil sich China während der Pandemie dermassen abgeschottet hat, haben viele Länder ihre Visa-Sektionen abgebaut. Diese Kapazitäten werden erst wieder aufgebaut.

Bei Touristikern beliebt

Es gibt auch viel weniger Direktflüge von und nach China als noch 2019. Rechnet man Hongkong zu China, dann betreibt die Swiss derzeit zwei Destinationen im Reich der Mitte. Die Hauptstadt Peking wird nicht mehr angeflogen.

Zudem hat während Corona die chinesische Regierung ihre Bevölkerung dazu angehalten, Ferien im eigenen Land zu machen. Tourismus- und Freizeitprojekte werden gefördert. Das trägt Früchte. So wurde in Schanghai vergangene Woche die weltweit grösste Indoor-Skianlage eröffnet. In China rechnet man für 2024 mit einem neuen Rekord in Sachen Binnentourismus.

Vor allem aber haben weite Teile der chinesischen Bevölkerung gar nicht mehr die Mittel für eine Reise nach Europa. War der China-Boom vor Corona von einer äusserst zuversichtlichen chinesischen Mittelschicht getrieben, werden diese Menschen jetzt von Existenzängsten geplagt. Die Konsumentenstimmung liegt am Boden.

«Vor Corona gab es zwei Arten von chinesischen Gästen. Die aus Schanghai, Peking und Hongkong wohnten eher in Luzern. Die aus weniger grossen Städten wohnten aber vielleicht in Erstfeld», sagt Markus Conzelmann, Chef des Luzerner Radisson-Blu Hotels.

Letztere fehlen nun. Er selber sei deswegen weniger vom Rückgang der Chinesen betroffen, sagt Conzelmann. Doch die «Big Five» in Luzern hätten umdenken müssen. Dazu zählt er die Uhren- und Schmuckhändler Gübelin und Bucherer, die Schifffahrt sowie beiden Aussichtsberge Pilatus und die Rigi. «Die sind für grosse Volumen ausgelegt.»

In der Bevölkerung hatten die Chinesen nie den besten Ruf. Sie reisten in Grossgruppen an und waren nicht besonders diskret. Doch in Touristikerkreisen vermisst man sie sehr.

Weil sie weit im Voraus buchen, sorgen sie für eine gewisse Planungssicherheit. Chinesen reisen zudem gerne in der Nebensaison, was mithilft, Schweizer Betriebe besser auszulasten. Und sie sind spendabel. Sie geben im Schnitt über 300 Franken pro Tag aus – also weit mehr als Schweizer oder deutsche Touristen.

Trotz Reiseboom: Schweiz Tourismus warnt bereits, dass man sich hierzulande nicht in falscher Sicherheit wiegen dürfe. Dieses Jahr zeichnen sich nicht nur weniger Schweizer, sondern auch weniger europäische Touristen ab. Das kann zwar noch durch einen starken amerikanischen Markt aufgefangen werden. Aber was, wenn auch dieser Markt schwächelt?

Schweiz Tourismus schreibt schon fast mahnend: «Dann braucht es andere Fernmärkte, die die Lücke füllen können. Und das sind unter anderem auch wieder zahlreicher anreisende chinesische Gäste.»

Moritz Kaufmann, «Neue Zürcher Zeitung»

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