«Ich fühle mich angegriffen, überholt, blossgestellt, outsmartet»: Weshalb sich manche Manager mit Frauen im Gremium schwertun – und Managerinnen zurücktreten Welche Konflikte entstehen, wenn Frauen und Männer in der Geschäftsleitung zusammenarbeiten? Ein Blick hinter die Kulissen in den Chefetagen.

Welche Konflikte entstehen, wenn Frauen und Männer in der Geschäftsleitung zusammenarbeiten? Ein Blick hinter die Kulissen in den Chefetagen.

 

«Old-Boys-Club» oder gelebte Diversität? In Führungsgremien halten sich einige alte Regeln hartnäckig. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

Die frühere Youtube-Chefin Susan Wojcicki hat den Konzern verlassen, um sich auf ihre Familie, ihre Gesundheit und persönliche Vorhaben zu konzentrieren. Die ehemalige Chief Operating Officer von Meta, Sheryl Sandberg, treibt jetzt gemeinnützige Projekte voran, und jüngst trat die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern zurück, weil ihr die Kraft fehle, um weiterzumachen.

Weibliche Führungskräfte in den USA hätten so häufig den Job gewechselt wie seit Jahren nicht mehr, heisst es in einer Studie von McKinsey und dem Frauennetzwerk Lean In. Für jede Frau, die auf Direktionsstufe befördert werde, würden zwei Managerinnen den Konzern verlassen. Sie seien mit Gegenwind konfrontiert: Ihre Kompetenzen würden stärker angezweifelt, und ihr grosser Einsatz für Arbeiten, die dem gesamten Unternehmen zugutekämen, werde weniger honoriert. Ausserdem sind sie laut der Studie gestresster: 43 Prozent der Frauen gaben an, sich ausgebrannt zu fühlen, verglichen mit 31 Prozent der Männer.

Alpha-Mann und Alpha-Frau

Auch wenn in den vergangenen Jahren Bewegung in die Führungsetagen gekommen ist, sind Managerinnen an den Konzernspitzen nach wie vor gering präsent. Laut dem Schilling-Report liegt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber bei 19 Prozent. «Viele Frauen bleiben im mittleren Management, weil sie eine Balance zwischen Berufs- und Privatleben behalten wollen», sagt Bettina Al-Sadik-Lowinski, Wirtschaftswissenschafterin, Autorin und international tätiger Coach für Führungskräfte (MCC).

Für ihr jüngst erschienenes Buch «Alpha-Mann und Alpha-Frau: Internationale Topmanager über Gender-Diversität und gemischte Führungsspitzen» hat sie 28 männliche Geschäftsleitungsmitglieder aus 11 Ländern zum Thema Diversität interviewt. Die Topmanager gaben an, sich für Diversität im Konzern einsetzen zu wollen. Ihre anonymen Aussagen werden im Buch mit den anonymen Schilderungen weiblicher Führungskräfte gespiegelt.

Kampf gegen vorherrschende Regeln

Die Manager sehen keinen Unterschied in der Leistung zwischen weiblichen und männlichen Führungskräften. Sie gelangen aber zum Schluss, dass Frauen exponierter seien und etwa bei Rücktritten kritischer hinterfragt würden als Männer. Weitere Gründe dafür, dass Frauen die Führungsetage wieder verlassen, sehen die männlichen Führungskräfte darin, dass die Managerinnen wenig Verständnis für die vorherrschenden Regeln hätten.

Vereinzelt haben die Konzernleitungsmitglieder auch erlebt, dass Frauen systematisch ausgeschlossen und vom Informationsfluss abgeschnitten wurden. Ein deutscher Manager spricht von einem «Old-Boys-Club», einer Kultur des «Augen-Zumachens» und einer «Eine-Hand-wäscht-die-andere-Mentalität». Plötzlich sei jemand reingekommen, der nicht dazugehöre: Das sei ein allergischer Schockzustand gewesen. «Das konnte gar nicht gut gehen», sagt er.

Was denken Topmanager über ihre Kolleginnen? Bettina Al-Sadik-Lowinski, Wirtschaftswissenschafterin, Autorin und international tätiger Coach für Führungskräfte (MCC), hat sie interviewt. Bild: PDKritik von Frauen ist schwerer zu ertragen

Die Interviewten beschreiben das typisch männliche Verhalten als eines von «Haien». Zwar wandle es sich im modernen Umfeld, im Kern bestünden die alten Regeln allerdings nach wie vor: Die Gruppe akzeptiert die Dominanz des Anführers. Ausserdem bekämpfen sich die Mitglieder mit allen Mitteln, vertragen sich wieder und machen bei nächster Gelegenheit gemeinsame Sache.

Wie Al-Sadik-Lowinski ausführt, erwarten die Männer von den Frauen, dass sie mit weniger harten Bandagen kämpften und rücksichtsvoller agierten. Obwohl sie selber schwere Geschütze auffahren würden und weibliche und männliche Teammitglieder öffentlich kritisierten, könnten sie das gleiche Verhalten von Frauen nur schwer ertragen.

Ein CEO sagt es so: «Ich fühle mich nicht wirklich wohl mit Frauen in der Gruppe. Ich fühle mich angegriffen, überholt, blossgestellt, outsmartet.» Er ist damit nicht allein. Wie die Gespräche zeigen, fürchten Männer in Geschäftsleitungen offenbar nichts mehr, als von Kolleginnen öffentlich blossgestellt zu werden. Gleichzeitig können sie damit leben, wenn die gleiche Kritik von ihren Kollegen kommt.

Die Männer geben an, nicht gegen Frauen kämpfen zu wollen. Sie erwarten von ihnen vielmehr, dass sie ihre Autorität anerkennen und im Gremium auf eine friedliche Gesprächsatmosphäre hinwirken. Ein Konzernleitungsmitglied drückt es so aus: Frauen müssten oft zwischen «wild gewordenen Jungs» moderieren.

Die Manager stehen Kolleginnen, die den geschlechtsspezifischen Stereotypen nicht entsprechen und aus ihrer Sicht zu aggressiv auftreten, kritisch gegenüber. Und wenn sie Gefahr witterten, vom Thron gestossen zu werden, reagierten sie heftig, sagt Al-Sadik-Lowinski. Managerinnen seien darauf häufig nicht vorbereitet. Sie konzentrierten sich in der Regel auf die Sache und weniger auf die Rangordnung, weshalb sie dann von der Gegenreaktion der Männer häufig völlig überrascht seien.

Im «Haifischbecken» bestehen

Die Dynamik der Diskussionen verändert sich, wenn Frauen ins Männergremium stossen. Eine Frau allein im Team macht aber in der Regel noch keinen Unterschied. Wie Erfahrungen zeigen, braucht es mindestens zwei weibliche Führungskräfte, damit sich die Gesprächskultur ändert. Dies hat auch Marion Fengler-Veith, Partnerin und Leiterin der Schweizer Niederlassung des Executive-Search-Unternehmens Heidrick & Struggles, erfahren. In ihrer internationalen Karriere hat sie auch schon erlebt, dass sie sich als einzige Frau am Tisch diskriminierende Sprüche anhören musste.

Marion Fengler-Veith, Partnerin und Leiterin der Schweizer Niederlassung des Executive-Search-Unternehmens Heidrick & Struggles, berichtet über ihre Erfahrungen. Bild: PD

In solchen Fällen lohnt es sich aus ihrer Sicht, die tonangebenden Manager zu identifizieren und mit ihnen das Gespräch unter vier Augen zu suchen. Die Erfahrung habe gezeigt, dass es den meisten Männern gar nicht bewusst sei, dass ihre Äusserungen verletzend sein könnten. Künftig würden sie dies unterlassen – mit der Folge, dass auch die Mitglieder, die ihr Verhalten an den Kollegen ausrichteten, damit aufhörten.

Um im «Haifischbecken» bestehen zu können, denken weibliche Führungskräfte manchmal, sie müssten besonders forsch und hart auftreten. Nach verschiedenen Gesprächen mit Frauen im Topmanagement sagt Al-Sadik-Lowinski: «Viele sehen die offene Konfrontation mit den Männern im Rückblick als Fehler.»

Heute würden sie vermehrt auf ihre Stärken setzen, Allianzen schmieden und ihre eigenen Strategien im Umgang mit männlichen Entscheidungsträgern entwickeln. Eine Personalleiterin beispielsweise, die ihren Vorgesetzten in der Vergangenheit mehrfach öffentlich kritisiert hat, vermeidet dies heute und sichert sich in solchen Situationen vorher die Unterstützung ihres Vorgesetzten und anderer Entscheidungsträger.

Bessere Ergebnisse dank Diversität

Als Gründe dafür, dass Frauen in Führungspositionen wenig präsent sind, gelten erstens die bestehenden Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie traditionelle Geschlechterrollen, die Frauen eher familiäre Aufgaben zuschreiben. Zweitens geht es um die geschlechterspezifische Wahl von Berufen und Branchen, drittens um unbewusste Vorurteile, wonach Frauen weniger zugetraut wird, eine Führungsrolle zu übernehmen, als Männern sowie viertens um fehlende Netzwerke und mangelnde Unterstützung im Unternehmen. Die Frauen, die Al-Sadik-Lowinski interviewt hat, berichten auch von sexistischen Sprüchen und Diskriminierungen (etwa in Bezug auf die fachliche Kompetenz oder Mutterschaft), sowohl durch Männer als auch durch Frauen.

Die Konzernleitungsmitglieder geben offen zu, dass es für Männer leichter sei, andere Männer zu befördern, die ihnen selbst ähnlich sind, weil es immer noch riskanter sei, eine Frau in ihrer Karriere zu unterstützen. Die Männer befürchten, dass die von ihnen geförderte Managerin scheitern könnte und dies dann nach dem Motto «das war ja klar» auf sie selbst zurückfallen könnte. Gleichzeitig spüren die Manager – vier Fünftel von ihnen sind Väter von Töchtern – die Verantwortung, die sie für die Förderung von Vielfalt im Konzern tragen.

Um ihre Kollegen von der Wichtigkeit der Diversität zu überzeugen, argumentieren sie nicht mit Chancengleichheit, sondern mit ökonomischen Fakten. Unternehmen, die auf Diversität beziehungsweise auf eine Zusammensetzung der Belegschaft mit verschiedenen Perspektiven, Erfahrungen und Hintergründen setzen, können sich besser auf die unterschiedlichen Kundenbedürfnisse ausrichten und wirtschaften erfolgreicher. Ausserdem verschaffen sich die Firmen damit einen Vorteil im Wettbewerb um die besten Talente.

Was Männer den Frauen raten

Die interviewten Männer geben Frauen auch bereitwillig Tipps, wie ein Aufstieg in die Chefetagen gelingen kann. Laut ihren Aussagen ist es insbesondere zielführend, die eigenen Interessen in den Gremien durchsetzen zu können, die beruflichen Ambitionen klar zu kommunizieren, die eigene Sichtbarkeit innerhalb des Unternehmens zu stärken, Machtstrukturen zu verstehen und zu wissen, wie man beziehungsweise Frau sich darin positioniert.

Aus Sicht der Männer investieren Frauen zu wenig Zeit, um Firmenpolitik zu betreiben und Verbündete zu finden, und zu viel Zeit, um ihre Fachkompetenz zu verbessern. Ausserdem heben sie hervor, dass es Frauen viel eher an Selbstbewusstsein mangle als Männern. Ein CEO aus Frankreich formuliert es so: «Frauen denken immer, nicht so gut zu sein wie andere, und in den meisten Fällen ist es nicht wahr. Wenn sie kein Selbstvertrauen haben, können sie andere Menschen nicht führen.»

Frauen schätzen ihre Fähigkeiten im Durchschnitt weniger positiv ein als Männer und bewerben sich beispielsweise seltener für Führungsrollen, weil sie denken, dass sie die dafür notwendigen Fähigkeiten nicht mitbringen. Allerdings ist nicht nur mangelndes Selbstbewusstsein für eine Leitungsposition hinderlich, sondern auch Selbstüberschätzung. Gerade in Chefetagen ist die Gefahr gross, dass Führungskräfte deswegen zu hohe Risiken eingehen.

«Wir müssen Brücken bauen»

Doch wie gelingt es, Widerstände zu überwinden und die Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern in den Führungsetagen zu verbessern? Laut Al-Sadik-Lowinski geht es derzeit in vielen Firmen darum, dass Frauen und Männer mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern besser umgehen und sich auf ihre Stärken fokussieren.

Später, wenn dies funktioniere, könnten die Unterschiede überwunden werden und sich aus der Zusammenarbeit eine integrative Kraft entwickeln, die Teams stärker und effizienter mache. «Wir müssen Brücken bauen», sagt ein Finanzchef. «Es muss ein Punkt in der Mitte der Brücke definiert werden, an dem sich weibliche und männliche Stärken automatisch verbinden zu einer gemeinsamen Führung mit besseren Ergebnissen.»

Wie es gelingt, die Kräfte zu bündeln

Will das Führungsteam bessere Geschäftsergebnisse erzielen, sollte es aber nicht von persönlichen Karriereüberlegungen der Konzernleitungsmitglieder dominiert sein, sondern sich am Gesamtinteresse des Unternehmens ausrichten. Es sollte sich von der Verantwortung für die Firmenentwicklung leiten lassen. Zentral dafür ist, dass Personen mit einer entsprechenden Grundhaltung bis in die Geschäftsleitung befördert werden und das Prinzip der Diversität nicht nur propagiert, sondern gelebt wird.

Dies bedeutet, dass Menschen mit unterschiedlichen Sichtweisen und Hintergründen im Leitungsgremium präsent sind, ihre Perspektiven und Argumente gehört werden und in die Entscheidfindungen einfliessen. Nicht persönliche Befindlichkeiten, Rangeleien und hemmende Machtkämpfe sind hierbei hilfreich, sondern vielmehr gegenseitiger Respekt, professionelle Arbeit im Team und die Fähigkeit, die Kräfte zu bündeln, um gemeinsam Strategien zu entwickeln.

Natalie Gratwohl, «Neue Zürcher Zeitung»

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