In einem Klubhaus in Zürich bereitet sich eine Gruppe von Frauen darauf vor, in Verwaltungsräte einzuziehen. Kann so der Wandel gelingen? Die Verwaltungsräte von Schweizer Unternehmen sind noch immer männlich dominiert. «The Boardroom» will das ändern – mit einem umfangreichen Schulungsprogramm und einem mächtigen Netzwerk.

Die Verwaltungsräte von Schweizer Unternehmen sind noch immer männlich dominiert. «The Boardroom» will das ändern – mit einem umfangreichen Schulungsprogramm und einem mächtigen Netzwerk.

 

Bilder: Eleni Kougionis

«Warum wollen wir mehr Diversität in Verwaltungsräten haben? Nicht einfach nur, damit dort mehr Frauen sitzen. Sondern weil diverse Verwaltungsräte bessere Entscheidungen treffen.»

Es ist ein Dienstagabend Ende Mai in Zürich. Draussen ist es, nach der langen Zeit des Regens, fast schon anstrengend warm, aber im Klubhaus an der Rämistrasse merkt man davon wenig.

Knapp zwei Dutzend Frauen haben sich im Salon versammelt und lauschen der Geschäftsführerin von Blackrock Schweiz, Mirjam Staub-Bisang. Sie spricht über nachhaltige Investments, Diversität in Unternehmen, die täglichen Herausforderungen einer Führungskraft – und darüber, wie ein Verwaltungsrat ihrer Ansicht nach zu sein hat.

«Das Wichtigste ist es, etwas zu tun, was eurer Leidenschaft entspricht. Das Leben könnte kurz sein. Ich denke immer darüber nach, ob das, was ich tue, mit meiner Vorstellung von Sinnhaftigkeit vereinbar ist.»

Das Ziel: ein Mandat als Verwaltungsrat

Die Frauen, die an diesem Abend in der Villa Chiodera, einem Jugendstilhaus im Universitätsquartier, zusammengekommen sind, haben beruflich schon viel erreicht: Sie sitzen in den Geschäftsführungen von Schweizer Unternehmen, sind Personalchefinnen, Finanzchefinnen und CEO. Doch sie haben ein grösseres Ziel: Sie wollen in den Verwaltungsrat – um das Gremium diverser zu machen.

Die Frauen sind Mitglieder von «The Boardroom», einem exklusiven Klub, der es sich zum Ziel gesetzt hat, ein (zumindest aus der Sicht seiner Mitglieder) grosses Manko in der Schweizer Wirtschaft zu bekämpfen: die Frauenquote in Verwaltungsräten.

Die Aufsichtsgremien der Schweizer Unternehmen sind derzeit zu etwa 30 Prozent mit Frauen besetzt. 70 Prozent der Verwaltungsräte sind demnach Männer, im Durchschnitt sind sie 60 Jahre alt.

Das Gefühl, die Einzige zu sein

Als Diana Markaki ihr erstes VR-Mandat erhielt, war sie 36. «Ich war mit Abstand die Jüngste – und eine von nur zwei Frauen. Ich war in einer Situation, in der ich ständig das Gefühl hatte, die Ausnahme zu sein», erzählt die Griechin, die vor zehn Jahren als Expat in die Schweiz kam. Sie wurde in den Verwaltungsrat eines börsenkotierten internationalen Baukonzerns berufen, nachdem sie ein für das Unternehmen wichtiges Pipelineprojekt in Zug geleitet hatte.

 

Diana Markaki gründete «The Boardroom», um das Gefühl der «Onliness» zu bekämpfen.

Sie beschreibt das, was sie damals empfand, als «Onliness» – das Gefühl, die Einzige zu sein. Die einzige Frau, die Einzige unter 40, die einzige Ausländerin. Dieses Gefühl verstärkte sich, als sie später zu einer Schweizer Firma wechselte. «Auf meiner Führungsebene waren viel weniger Frauen. Und mir wurden Fragen gestellt, die ich nicht gewohnt war, etwa zu meinem Privatleben. Ob ich Kinder haben wolle, warum ich so lange arbeite.»

Durch ihre «Einzigkeit» verspürte Markaki einen grossen Druck, sich beweisen zu müssen. «Ich wusste, dass ich mir als Verwaltungsrätin nur Anerkennung verschaffen konnte, wenn ich doppelt so hart und doppelt so gut arbeite.»

Wer sich in einer Führungsposition allein auf weiter Flur fühlt, läuft schnell Gefahr, das sogenannte «Impostor-Syndrom» zu verspüren. Man stellt sich Fragen wie: «Gehöre ich hierhin? Warum wurde ich in diese Position berufen? Bin ich überhaupt gut genug dafür?»

Wie wird man ein gutes Verwaltungsratsmitglied?

Um diese «Einzigkeit» zu bekämpfen und anderen Frauen den Druck zu nehmen, hat Diana Markaki im Alter von 40 Jahren «The Boardroom» gegründet. Die Organisation einfach nur als Klub zu bezeichnen, greift zu kurz. «The Boardroom» ist ein Programm, eine Art Bootcamp, in dem die Mitglieder lernen, wie man ein gutes Verwaltungsratsmitglied wird – genau so, wie es Markaki als junge Frau selbst lernen musste. «Ich wollte das beste Verwaltungsratsmitglied sein, das es je gab. Ich habe alle möglichen Weiterbildungen und Coachings besucht, um meinen Output so weit wie möglich zu steigern», erzählt sie. Dieses Wissen will sie nun weitergeben.

Die Frage, was einen guten Verwaltungsrat ausmacht, ist mit dem Untergang der Credit Suisse wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten. Schliesslich war das Gremium, in dem bei der CS schon lange auch Frauen sitzen, mitverantwortlich für die jahrelangen Versäumnisse und die miserable Risikokultur, die zum Ende der Bank führten. Die Wege in einen Verwaltungsrat sind vielfältig, es gibt kein klares Anforderungsprofil. Oft werden Ämter innerhalb von Netzwerken an alte Bekannte gegeben.

Dabei bringt das Amt einige Herausforderungen mit: Ein Verwaltungsrat muss stets informiert sein, auch über neue technologische Entwicklungen. Er muss unabhängige Entscheidungen treffen können, genug Zeit für sein Amt haben und sich trauen, auch unbeliebte Entscheidungen zu treffen.

Die richtigen Leute in den richtigen Positionen

Diana Markakis Programm ist nicht speziell auf Frauen ausgelegt. Sie betont im Gespräch, dass es vor allem wichtig sei, die «richtigen Leute in die richtigen Positionen» zu bringen. Und doch: Sie ist überzeugt vom Potenzial divers besetzter Gremien: «Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen bringen auch unterschiedliche Perspektiven mit, diverse Teams sind besser in der Lage, in komplexen Stationen Entscheidungen zu treffen.» Sie vereint darum ihr Konzept zur Ausbildung von VR-Mitgliedern mit ihrer persönlichen Mission, mehr Frauen in diese Ämter zu bringen, und bietet ihr Programm vorerst nur Frauen an.

 

Im Klubhaus an der Rämistrasse ist die Stimmung gelöst. Nach den Vorträgen stehen die Frauen beisammen, lachen und unterhalten sich.

«The Boardroom» startete vor bald zwei Jahren mit 74 Frauen, den Gründungsmitgliedern. Zurzeit läuft das Auswahlverfahren für den dritten Jahrgang. Um Mitglied zu werden, muss man nominiert werden, in der Regel von dem Unternehmen, bei dem man arbeitet, oder von einem anderen Mitglied. Die Unternehmen sind es meist auch, die den Mitgliedsbeitrag bezahlen. Keine der Frauen sitzt zu dem Zeitpunkt, zu dem sie Mitglied wird, bereits in einem Verwaltungsrat. Nach drei bis vier Jahren sollen die Frauen das Programm absolviert haben und Alumnae werden.

Das Programm ist dabei äusserst umfangreich: Mal laden die Frauen Rednerinnen und Redner aus der Schweizer Wirtschaft zu sich ins Klubhaus ein, mal führen sie Seminare durch, mal treffen sie sich zu Verwaltungsrats-Simulationen unter der Leitung von echten Mandatsträgern, bei denen sie Probleme lösen müssen. Jede Frau ist zudem Teil eines kleineren Kreises, des «Inner Circle», der sich zum gegenseitigen Beratschlagen und Unterstützen trifft. Auch zu diesem Zweck können sie das Klubhaus an der Rämistrasse nutzen.

Ein Ort, um sich auszuprobieren

An diesem Abend sind wieder einige Frauen im Klubhaus zusammengekommen. Im Schnitt sind sie einmal pro Woche hier, je nachdem, wie ihre sonstigen Verpflichtungen es zulassen. Die Stimmung ist gelöst, die Frauen umarmen sich zur Begrüssung und stehen nach der Veranstaltung plaudernd und lachend in kleinen Gruppen zusammen.

Eine von den Frauen ist Jacqueline Hess. Sie hat an diesem Abend das Gespräch mit der Blackrock-CEO geleitet. Hess ist Amerikanerin und seit Anfang des Jahres Vizepräsidentin des Verwaltungsrats von Vontobel Swiss Financial Advisers. Zuvor leitete sie das US-Vermögensverwaltungsgeschäft der Vontobel Swiss Wealth Advisors. Den Einzug in den Verwaltungsrat habe sie «The Boardroom» zu verdanken, sagt sie.

 

Jacqueline Hess ist eines der Gründungsmitglieder von «The Boardroom». Seit kurzem hat sie ein Mandat als Verwaltungsrätin.

Das Programm habe ihr dabei geholfen, sich auf die Rolle vorzubereiten – aber nicht nur das. «‹The Boardroom› ist für mich ein Ort, an dem ich ungezwungen Ideen und Themen diskutieren kann. Dass wir regelmässig zusammenkommen, unsere Erfahrungen teilen und uns unterstützen, ist für mich sehr wichtig», erzählt Hess. Sie habe sich hier ein Netzwerk aufgebaut, das sie sehr schätze.

«Wir sind Freundinnen geworden»

Ähnlich sehen das die anderen Mitglieder. «Wenn man ein berufliches Problem hat, heisst es nie: ‹Das hättest du anders machen sollen›», sagt Franziska Gisiger, Compliance-Chefin bei der Glarner Kantonalbank. Stattdessen hätten die Frauen Verständnis füreinander. «Wir tauschen Tipps aus und vertrauen einander.»

Je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto enger werden die Verbindungen zwischen den Frauen. Manche sind Freundinnen geworden. «In zehn Jahren, wenn wir alle CEO oder Verwaltungsrätinnen sind, haben wir uns ein sehr mächtiges professionelles Netzwerk aufgebaut», sagt eine Teilnehmerin. «Weil wir einander unterstützen.»

Gerade bei Frauen sei das nicht selbstverständlich, da sind sich die Mitglieder einig. Es würden viel zu oft die Krallen ausgefahren, und man nehme sich gegenseitig als Konkurrenz wahr. «Aber nicht bei uns», sagen sie.

«The Boardroom» hat ein Buch herausgebracht, es trägt den Titel «Inspiration and Advice from Women That Made It to the Top» («Inspiration und Ratschläge von Frauen, die es an die Spitze geschafft haben»). Darin ist ein Zitat der ehemaligen amerikanischen Aussenministerin Madeleine Albright abgedruckt: «Es gibt einen speziellen Platz in der Hölle für Frauen, die anderen Frauen nicht helfen.»

 

In dem Buch, das der Klub herausgegeben hat, steht ein Zitat der ehemaligen amerikanischen Aussenministerin Madeleine Albright.

Der Klub wächst stetig

«Die neue Frauenseilschaft», so betitelte «Der Bund» 2021 seinen Bericht zur Gründung des Klubs. Indem sie einen Klub zum Netzwerken gründeten, würden die Frauen sich zu eigen machen, wovon lange nur Männer profitiert hätten, heisst es darin. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Im Zürcher Universitätsviertel scheint gerade ein Netzwerk heranzuwachsen, das den männerdominierten Lions oder Rotary Clubs ernsthaft Konkurrenz machen könnte. Man könnte aber auch sagen: ein weiterer elitärer Kreis, in dem Mandate einfach an gute Bekannte – oder Freundinnen – vergeben werden.

Im Juni publiziert «The Boardroom» ein Dokument mit dem Titel «Achievements», Errungenschaften. Darunter: zwei Ableger in Athen und Kopenhagen, 350 Mitglieder, 132 Partnerunternehmen und – das ist natürlich die wichtigste Zahl – 16 belegte VR-Mandate.

Kein schlechter Anfang – auch wenn noch einiges an Luft nach oben ist. Doch die Frauen würden eben auch nicht einfach jedes Mandat annehmen, das ihnen vorgeschlagen werde, erklärt Diana Markaki. «Sie wollen sichergehen, dass das Unternehmen und die Aufgabe zu ihnen passen. Und dass sie genug Zeit hatten, um sich vorzubereiten.» Sie will nicht mehr als fünfzig neue Mitglieder pro Jahr aufnehmen, um sicherzugehen, dass jede Frau genügend Betreuung erhält.

Bei der Credit Suisse waren sieben der zwölf Verwaltungsräte Frauen. «Auch nicht besser als die Männer?», fragte darum «20 Minuten». Die Antwort darauf ist klar: nicht automatisch. Aber die Frauen von «The Boardroom» bereiten sich darauf vor, es zu sein.

Frauenklubs in der Schweiz

«The Boardroom» ist nicht das einzige professionelle Netzwerk für Frauen in der Schweiz – aber das einzige mit einem Klubhaus. Netzwerke wie «KMU-Frauen», «Advance», «League of Leading Ladies» oder «Business and Professional Women» verfolgen verschiedenste Ansätze, von losen Verbindungen bis zu engen Gemeinschaften mit regelmässigen Ausbildungsblöcken. In der Initiative «Women for the Board» unterstützen Frauen sich gegenseitig beim Finden von geeigneten Mandaten. Und die Executive-Search-Boutique Get Diversity unterstützt seit 2007 Firmen dabei, die Vielfalt in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten auszubauen.

Nelly Keusch, «Neue Zürcher Zeitung»

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