In Frankreich ist der Senf knapp. Ein Familienunternehmen im Burgund profitiert davon mehr, als es dem Patron lieb ist Die Krise begann im Frühsommer, und sie ist noch nicht ausgestanden: In Frankreichs Supermärkten fehlt der Senf. Dem ältesten Produzenten des Landes beschert dies einen Kundenansturm, der ihm allerdings nicht nur recht ist.
Die Krise begann im Frühsommer, und sie ist noch nicht ausgestanden: In Frankreichs Supermärkten fehlt der Senf. Dem ältesten Produzenten des Landes beschert dies einen Kundenansturm, der ihm allerdings nicht nur recht ist.
Das Haus an einer Ausfallstrasse des alten Stadtkerns von Beaune würde nicht weiter auffallen, wäre da nicht die Fassade. Ein zartes Senfgelb und darauf die in Dunkelgrün gehaltenen Worte «Moutarderie Fallot» verraten, was hinter der grossen Holztür seit 1840 hergestellt wird.
1928 hat der Unternehmer Edmond Fallot die Senfmanufaktur übernommen. Seither ist sie in Familienhand geblieben, und Marc Désarménien, Fallots Enkel, ist ausnehmend stolz auf diese Tradition. Er hat daraus auch das Narrativ einer Marke gemacht, die sich im Feinschmeckersegment etabliert hat: nicht nur in Frankreich, sondern in rund 110 Ländern der Welt. Die USA und Kanada, aber auch Deutschland und Japan zählen zu den wichtigsten Abnehmern.
Nicht mehr als ein Glas pro Kunde
Die Produktion – inzwischen zwar automatisiert – befindet sich seit mehr als 180 Jahren in demselben Hinterhaus, rund zwanzig Personen sind dort beschäftigt. In einem erst kürzlich eingeweihten Büroneubau, der gleich neben den historischen Gebäuden liegt, erzählt Désarménien, dass bis heute die Rezepte seines Grossvaters befolgt würden. Dazu gehört nicht nur die richtige Mischung von braunen Senfkörnern, Salz und Essig, sondern auch die Verarbeitung. Bei Edmond Fallot werden die Körner nach wie vor durch grosse Mühlsteine zerkleinert. Deren Herkunft gehört zum Betriebsgeheimnis.
Der Senfmarkt ist ein stabiles Geschäft, der Markt ist leicht im Wachstum begriffen. Senf gehört zu den am häufigsten verwendeten Würzstoffen weltweit. Kommt er in westlichen Ländern in der Regel als Paste zum Einsatz, wird er in Asien eher in Form von Öl verwendet. Doch all diesen Konstanten zum Trotz macht Désarménien derzeit eine Erfahrung, die keiner seiner Vorfahren erlebt hatte: Er muss sein Produkt rationieren.
Zwei Gläser pro Kunde und pro Tag – so steht es auf Französisch und Englisch auf A4-Blättern am Eingangstor. Bis vor kurzem war sogar nur noch ein Glas pro Tag erlaubt. Denn in dem Fabrikladen haben sich zu Beginn des Sommers denkwürdige Szenen abgespielt. Viele Kunden kamen bereits morgens und kauften in grossen Mengen, so dass die Regale bisweilen am frühen Nachmittag leer waren und der Laden geschlossen werden musste. Manche kamen extra aus Paris angereist, andere versuchten ihr Glück mit regelmässigen Besuchen.
Die ersten Lücken in den Senfrayons der grossen Supermärkte zeigten sich im Mai. Und im Verlauf des Sommers blieben sie bisweilen ganz leer. Auch derzeit ist es beim Einkauf ein Glücksfall, Senf im Regal zu finden. Und dies ausgerechnet in Frankreich, das mit rund 90 000 Tonnen pro Jahr als grösster Senfproduzent Europas gilt. Im Fabrikladen von Edmond Fallot in Beaune fanden verzweifelte Konsumenten dagegen eine Quelle, die nie vollends versiegte.
So richtig mochte sich Marc Désarménien über diesen Ansturm allerdings nicht freuen. «Eigentlich suchen wir derzeit keine neuen Kunden», sagt er lächelnd. «Seit sechs Monaten sind wir in einer konstanten Überproduktivität.» Die Nachfrage könne dennoch nicht befriedigt werden. Man müsse treue Kunden vertrösten, um Geduld bitten – und habe den Preis in der ersten Jahreshälfte um rund 10 Prozent erhöhen müssen.
Der Grund für die Knappheit liegt in den Abhängigkeiten der französischen Produzenten. 80 Prozent der in Frankreich verarbeiteten Senfkörner stammen aus Kanada – und dort fiel die Ernte 2021 wegen einer aussergewöhnlichen Trockenheit ausnehmend schlecht aus.
Der Feind lauert in der Natur
Edmond Fallot ist davon nur indirekt betroffen. Seit drei Jahren werden in der kleinen Fabrik ausschliesslich Senfkörner aus dem Burgund verarbeitet. Mit einer gewissen Genugtuung erzählt Désarménien, dass er zu den Ersten gehörte, die Mitte der neunziger Jahre den Anbau von Senfpflanzen in der Region anstiessen. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren Senfkulturen dort weit verbreitet gewesen, wurden danach aber zugunsten von Raps und Sonnenblumen beziehungsweise Weizen aufgegeben.
Zu den grössten Senfkörnerproduzenten gehören heute einige asiatische Staaten wie Indien und Nepal, die allerdings kaum etwas exportieren. In Asien wie auch in Russland und der Ukraine wird zudem vor allem weisser Senf angebaut. In Frankreich wird ausschliesslich die braune Variante verarbeitet, die als schärfer gilt.
Der Weg zu befriedigenden heimischen Senfernten ist steinig. Anfänglich war die Kultur von Agrarsubventionen ausgeschlossen, dann galt eine Obergrenze für die Flächen. Und schliesslich tauchten auch noch Schädlinge auf. Sie dezimieren die Ernten, vor allem, seit der Einsatz von Pestiziden verboten worden ist.
Marc Désarménien will dennoch glauben, dass diese Herausforderungen vorerst gemeistert sind. Die Körner seien nicht das Problem, sagt er. Man experimentiere seit längerem mit Kreuzungen und habe eine gefunden, die den Schädlingen weniger schmecke, sagt er. Die Erträge in diesem Jahr – die Ernte findet jeweils im Frühsommer statt – sind laut Désarménien gut ausgefallen.
Doch auch wenn er natürlich grundsätzlich wachstumsorientiert arbeite, so habe er nicht die Kapazität, die Volumen beliebig zu erhöhen, sagt er. Und trotz der gestiegenen heimischen Nachfrage gehen weiterhin rund 50 Prozent seiner Produktion an ausländische Kunden, denn diese Beziehungen wollen schliesslich gepflegt werden. Allein die Lieferungen nach Russland hat Edmond Fallot im Frühjahr eingestellt – wegen des Überfalls auf die Ukraine.
Rund 2500 Tonnen Senf stellt die Manufaktur im Jahr her. Zusammen mit den touristischen Führungen – immerhin rund 40 000 Besucher im Jahr – bringt ihm das in diesem Jahr rund 10 Millionen Euro Umsatz ein. Damit gehört Edmond Fallot zwar zu den fünf wichtigsten Produzenten im Land. Aber im Vergleich mit den Platzhirschen Maille oder Amora, die zwei Drittel der Produktion stemmen, bleibt Fallot mit einem Anteil von rund 5 Prozent ein Zwerg. Oder ein David gegen Goliath in Gestalt von Unilever. Dem internationalen Konzern gehören die beiden Marken inzwischen; er beteiligt sich ebenfalls an der Wiedereinführung der lokalen Senfkulturen.
Dijonsenf ist keine geschützte Marke
Sein Vater habe noch versucht, mit der Nachfrage der grossen Detailhändler mitzuhalten, erzählt Désarménien. Er hat sich endgültig für die Nische entschieden: Qualität statt Quantität und zudem so lokal wie möglich. Denn Désarménien ist überzeugt, dass der Moutarde de Bourgogne, wie er ihn herstellt, nicht nur wegen der gegenwärtigen Lage weiter an Aufwind gewinnen wird. Die 2009 geschaffene Herkunftsbezeichnung, die für die Verarbeitung von ausschliesslich lokalen Zutaten steht – unter anderem auch rund 16 Prozent Wein –, komme auch einem Bedürfnis der Kunden entgegen, sagt er. Inzwischen gibt es im Burgund vier Produzenten, die nur noch lokale Zutaten verwenden.
Das neue Label ist auch ein Weg, sich trotz der örtlichen Nähe von Beaune zu Dijon vom Dijonsenf abzugrenzen. Die Leute interessierten sich schon seit ein paar Jahren vermehrt dafür, woher ihre Produkte stammten, sagt Désarménien. Und sie merkten häufiger, dass Dijonsenf nicht unbedingt aus Dijon und zuweilen nicht einmal aus Frankreich stamme. Er spielt damit darauf an, dass vor allem seine grossen Konkurrenten Dijonsenf auch in ihren Fabriken im Ausland herstellen. Das ist völlig legal, denn «Dijonsenf» ist keine geschützte Herkunftsbezeichnung. Erst seit dem Jahr 2000 ist zumindest in Frankreich gesetzlich definiert, was im Dijonsenf enthalten sein darf – und was nicht.
Allerdings weiss Désarménien auch, dass die französischen Anbauflächen weit davon entfernt sind, die Bedürfnisse der französischen Produzenten decken zu können. Mit den Ernten konnten bisher jeweils nur rund 20 Prozent des Bedarfs der Produzenten gedeckt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die mit Senfpflanzen bebauten Flächen in Frankreich seit 2017 eher abgenommen haben. Viele Bauern haben nach enttäuschenden Ernten und dem Ärger mit den Schädlingen das Handtuch geworfen. Um sie dennoch für die Senfkultur zu motivieren, haben Edmond Fallot und die drei anderen lokalen Produzenten nun einen Anreiz gesetzt. Sie haben den Bauern zugesagt, für ein Kilo Senfsamen im kommenden Jahr das Doppelte zu zahlen wie noch 2021. Ihr mittelfristiges Ziel lautet, die Anbauflächen für Senf zu verdreifachen.
Neue Preiserhöhung in Sicht
Die Senfknappheit in Frankreich wird sich frühestens Ende des Jahres entspannen – und auch nur, wenn die kanadische Ernte im Oktober besser ausfällt. Désarménien gibt allerdings zu bedenken, dass nicht nur knappe Senfkörner das Problem waren. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine hätten auch andere nötige Rohstoffe massiv verteuert: etwa Salz, Branntweinessig, aber auch Glas, Aluminium, Karton. Er geht daher davon aus, dass die Preise für Senf in diesem Jahr noch einmal ansteigen werden: im Falle von Edmond Fallot im zweistelligen Prozentbereich.
Dass ihm seine Kundschaft deswegen abspringt, befürchtet Désarménien indes nicht. Diese wisse, was sie an seinem Produkt habe, sagt er und erwähnt, dass schon sein Grossvater mit der preisgekrönten französischen Gastronomenfamilie Troisgros zusammengearbeitet habe. Edmond Fallot sei ein Bonvivant gewesen, und die Liebe zu gutem Essen verbinde ihn mit ihm. Er stehe zwar nicht jeden Tag selbst am Herd, sagt der Mittfünfziger. Aber niemals kämen ihm etwa Fertigsaucen für Salate auf den Tisch. Da schaudert es ihn: «Das ist ekelhaft!»