Rentenreform – was nach einem Nein passieren würde Die Pensionskassen könnten ein Scheitern der Reform der beruflichen Vorsorge an der Urne finanziell verkraften. Eine rasche neue Reform wäre unwahrscheinlich. Die gesetzliche Mindestvorgabe für die Renten würde zunehmend irrelevant.

Die Pensionskassen könnten ein Scheitern der Reform der beruflichen Vorsorge an der Urne finanziell verkraften. Eine rasche neue Reform wäre unwahrscheinlich. Die gesetzliche Mindestvorgabe für die Renten würde zunehmend irrelevant.

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Jede Referendumsabstimmung ruft im Vorfeld des Urnengangs nach einer Standardfrage: Was würde nach einem Volks-Nein passieren? Diese Frage ist auch bei der umstrittenen Pensionskassenreform bedeutend.

Die Reform soll im Kern zwei Ziele erreichen. Zum einen ist im Obligatorium der beruflichen Vorsorge (BVG) das gesetzliche Rentenminimum rechnerisch viel zu hoch. Pro 100 000 Franken Vorsorgekapital bei der Pensionierung muss eine Jahresrente von mindestens 6800 Franken fliessen (Umwandlungssatz von mindestens 6,8 Prozent). Dies bewirkt eine versteckte Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern. Die Reform will diese Quersubventionierung durch Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent reduzieren. Die im Paket ebenfalls enthaltenen Rentenzuschläge für 15 Übergangsjahrgänge bewirken aber, dass die Umverteilung erst sehr langfristig zurückgehen würde.

Das zweite Kernziel ist der Ausbau des obligatorischen Versicherungsschutzes bei tiefen Einkommen einschliesslich der Teilzeitbeschäftigten. Das würde insbesondere viele Frauen betreffen. Die Reform führt bei den tieferen Einkommen per saldo zu höheren Renten. Dies zum Preis von entsprechend höheren Lohnabzügen.

Gespaltene Branche

Die Pensionskassenbranche ist bei dieser Reform gespalten. Der Ausbau des Versicherungsobligatoriums bei tieferen Einkommen stösst grossenteils auf Zustimmung, die Reduktion des Mindestumwandlungssatzes wird weitherum begrüsst, doch das Ausmass der Rentenzuschläge für die Übergangsjahrgänge stösst auf viel Kritik. Letztgenanntes, weil damit die Umverteilung von Jung zu Alt vorübergehend sogar noch zunehmen dürfte und weil die Kassen erheblichen administrativen Zusatzaufwand befürchten.

Der Branchenverband Inter Pension verzichtet mangels klarer Mehrheit auf eine offizielle Abstimmungsparole. Dieser Verband vertritt Sammelstiftungen und Gemeinschaftseinrichtungen. Das sind Vehikel, welche die Vorsorgepläne vieler Klein- und Mittelbetriebe gemeinsam verwalten; denn für viele KMU lohnt sich eine firmeneigene Pensionskasse nicht.

Der Pensionskassenverband Asip, der nebst Sammelstiftungen auch viele firmeneigene Pensionskassen vertritt, hat trotz vielen Zweifeln bei Mitgliedern die Ja-Parole zur Reform herausgegeben. Ein Volks-Nein wäre aber für die Pensionskassen «keine Katastrophe», sagt der Asip-Geschäftsführer Lukas Müller-Brunner. «Finanziell wäre dies tragbar», sagt auch Nico Fiore, Geschäftsführer von Inter Pension.

Erster Grund: Für die meisten Pensionskassen ist die rechnerisch überhöhte Rentengarantie im Obligatorium nicht bindend, weil das Gros der Versicherten genug überobligatorisches Vorsorgekapital angespart hat. Im Überobligatorium gibt es keine gesetzliche Mindestrente, so dass die Kassen in einer Mischrechnung in den meisten Fällen schon heute rechnerisch korrekte Renten auszahlen können.

Direkt gebunden durch den gesetzlichen Mindestumwandlungssatz sind etwa 15 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen. Diese verwalten nur wenig oder gar kein überobligatorisches Kapital. Der Jargon spricht von «BVG-nahen» Kassen. Diese haben bisher die überhöhten Rentengarantien im Obligatorium durch Quersubventionierung zulasten der Jüngeren finanziert: Die Verzinsung des Vorsorgekapitals der Erwerbstätigen war tiefer, als es sonst möglich gewesen wäre, und/oder die Beiträge der Erwerbstätigen etwa zur Versicherung von Invaliditätsrisiken waren höher als nötig.

Auslaufmodell?

Nach einem Volks-Nein ginge diese Umverteilung weiter, sagt Lukas Müller-Brunner: «Das BVG-Obligatorium wäre ohne Quersubventionierung weiterhin nicht finanzierbar.» Dies verstärke die Tendenz zur Abkehr von Vorsorgeplänen mit rein obligatorischer Abdeckung: «Es wäre gut denkbar, dass es in zehn Jahren kaum mehr Pensionskassen ohne überobligatorisches Kapital gäbe.»

Ähnliches sagen auf Anfrage auch diverse externe Pensionskassenexperten. Reine BVG-Minimalpläne würden zu einem «Auslaufmodell», mutmasst Christian Heiniger von der Beratungsfirma Willis Towers Watson. «Dieser Trend lässt sich bereits beobachten.» Vor allem zwei Wege führen ins Überobligatorium und damit zu mehr Spielraum für Rentengarantien ohne Quersubventionierung: versicherte Lohnteile über dem gesetzlichen Minimum und prozentuale Lohnabzüge über dem Minimum.

Reformblockade

Scheitert die BVG-Reform, wäre damit nach 2010 und 2017 bereits der dritte Versuch zu einer Senkung der rechnerisch überhöhten Rentengarantien im Obligatorium an der Urne aufgelaufen. Der naheliegende Schluss daraus: Eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes zur Reduktion der versteckten Umverteilung von Jung zu Alt ist politisch nicht mehrheitsfähig, weil die Älteren keine Rentensenkung zugunsten der Jüngeren wollen.

Doch wäre eine neue Reform möglich, die sich auf den Ausbau des Versicherungsobligatoriums bei tiefen Einkommen beschränkt und damit vor allem viele teilzeitbeschäftigte Frauen ansprechen könnte? Versuche dazu würde es wohl geben, wie die grünliberale Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy andeutet. Sie ist Co-Präsidentin der Frauenorganisation Alliance F und kämpft stark für die jetzige Reform.

Doch ob eine abgespeckte Reform mehrheitsfähig wäre, ist zweifelhaft. Aus Gewerbekreisen wäre wohl noch grössere Skepsis als bei der jetzigen Vorlage zu erwarten, weil der Ausbau des Versicherungsschutzes zu Mehrkosten via Lohnbeiträge führt und die vom Gewerbe gewünschte Senkung des Mindestumwandlungssatzes nicht mehr im Paket wäre.

Anderseits sollte theoretisch der Widerstand der Linken geringer sein. Doch die Linke hat ein Grundsatzproblem mit dem Prinzip der beruflichen Vorsorge («man spart für die eigene Rente»). Jeder Ausbau der zweiten Säule ginge aus dieser Sicht in die falsche Richtung.

Lukas Müller-Brunner vom Pensionskassenverband Asip meldet derweil aus einer anderen Optik Skepsis an: «Es wäre paradox, wenn man feststellen muss, dass das Obligatorium ohne Quersubventionierungen nicht finanzierbar ist, aber trotzdem das Obligatorium ausbaut.» Befragte Mitte-Politiker mutmassen, dass nach einem Volks-Nein zur jetzigen Reform längere Zeit keine neue Reform kommen werde.

Ein oft gehörtes politisches Argument von Reformbefürwortern geht etwa wie folgt: Scheitert diese Vorlage, gebe es einen Ausbau der obligatorischen Altersvorsorge künftig nur noch via AHV. Der Urnengang von diesem März zur 13. AHV-Monatsrente hat illustriert, dass der Ausbau der AHV unabhängig von der zweiten Säule populär ist. Denn ein solcher Ausbau erhöht die versteckte Umverteilung von Jung zu Alt und von oben nach unten. Wegen dieser Quersubventionierungen wird die Linke in jeder Lebenslage für einen weiteren AHV-Ausbau sein und zusammen mit den Älteren auch weiterhin gute Chancen für Mehrheiten haben.

Hansueli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»

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