Schweizer Bergbahnen: So wirken sich der fehlende Schnee und die Rückkehr chinesischer Touristen auf ihre Aktien aus Die Regionen Titlis-Engelberg und Jungfraujoch sehen wieder massiv mehr Besucher. Die Öffnung Chinas verspricht weiteren Schub, doch grosse Investitionen sind nötig, um als Destination attraktiv zu bleiben.
Die Regionen Titlis-Engelberg und Jungfraujoch sehen wieder massiv mehr Besucher. Die Öffnung Chinas verspricht weiteren Schub, doch grosse Investitionen sind nötig, um als Destination attraktiv zu bleiben.
Die Schneesituation ist in vielen Schweizer Skigebieten prekär. Im populären, hoch gelegenen Skigebiet Engelberg etwa waren am Freitag nur 14 von 29 Anlagen offen. Am Berg, immerhin bis 3000 Meter hoch, betrug die Schneehöhe mickrige 66 Zentimeter, im Januar-Durchschnitt wären es gut zwei Meter mehr. Von idealen Wintersport-Verhältnissen ist man meilenweit entfernt.
Für Bergbahnbetreiber, die auf den Bergtourismus als Haupteinnahmequelle angewiesen sind, klingt das nach einem Horrorszenario. Doch das ist nicht für alle der Fall. Die Titlis-Bergbahnen, eine börsenkotierte Firma, die in der Region Engelberg Bahnen, Hotels und Gastronomie betreibt, florieren wieder. 2022 haben sie mit 827 616 Besuchern 64 Prozent mehr Gäste als im Vorjahr verzeichnet – wobei dieses noch stark von den Einschränkungen der Pandemie geprägt war.
Das Tourismusunternehmen sieht sich jedenfalls «zurück auf dem Weg zur Normalität», wie es in der Mitteilung zum Jahresergebnis schreibt. Im Geschäftsjahr 2022, das im Oktober endete, wurde seit Corona zum zweiten Mal in Folge wieder Gewinn geschrieben. Die Aktien der Titlisbahnen reagierten vergangene Woche mit einem Kurssprung auf die guten Jahres- und Besucherzahlen. Diese Gegenbewegung ist eher ungewöhnlich. Denn in den letzten Jahren haben diese wenig liquiden Titel beständig an Wert verloren.
Weniger vom Schnee abhängig
Dabei profitiert Engelberg von seiner Höhenlage, besonders wenn der Schnee andernorts fehlt. «Wenn tiefer gelegene Skigebiete noch geschlossen haben, kommen die Gäste zu uns, weil wir über 1800 Meter sind. Kurzfristig wirkt sich der Schneemangel eher positiv aus», sagt Norbert Patt, Chef der Titlis-Bergbahnen. Mit den Eintritten im Bereich Schneesport bewege man sich praktisch auf dem Niveau des starken Vorjahres. Trotzdem sei die Stimmung nicht nach Skifahren, nur die Cracks seien am Berg. «Biken oder Wandern ist eher angesagt», sagt der Bergbahn-Chef.
Auch andere Touristik-Hotspots erleben trotz Schneemangel eine Renaissance. Auf das Berner Jungfraujoch wurden vergangenes Jahr 625 000 Besucher befördert, das sind 71 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Jungfrauregion, die sich unbescheiden «Top of Europe» nennt, bringt damit ihren Fokus auf ausländische Gäste zum Ausdruck. Die Betreiber der Jungfraubahnen dürften sich deshalb besonders über die Öffnung Chinas freuen.
Chinesen kommen im Frühsommer
Die Aktien dieser ebenfalls börsenkotierten Bahnbetreiberin erleben seit Mitte Dezember jedenfalls einen steilen Kursanstieg. Doch grosse Bergbahnen wie Jungfraujoch, Pilatus oder Titlis-Engelberg sind privilegiert. Denn im Gegensatz zu weniger breit aufgestellten Gebieten machen sie einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes mit internationalen Reisegruppen. «Sie sind weniger vom Wintergeschäft abhängig», sagt Jürg Stettler, Leiter des Instituts für Tourismus und Mobilität an der Hochschule Luzern.
«Mit dem Fallen der Reiserestriktionen kann die Reisenachfrage aus Märkten wie China oder Indien rapide ansteigen. Die Erholung kann sehr schnell erfolgen», sagt Stettler. Das globale Wachstumspotenzial sei enorm. «In China wurden vor Corona rund 150 Millionen Auslandreisen gemacht, davon gingen nur 6 Millionen Reisen nach Europa und nur eine Million in die Schweiz», sagt der Tourismus-Experte.
Somit können diese Bergbahnen auf einen kontinuierlichen Nachfrageschub hoffen, auch aus Indien. Norbert Patt beobachtet, dass die internationalen Gäste nach Engelberg zurückkommen, «die Lücke zu 2019 schliesst sich langsam», sagt er. Die Inder machen dort derzeit 70 Prozent der Gäste aus, aber auch die Touristen aus Vietnam, Mexiko oder Südamerika sind zurück. Chinesische Gäste fehlen hingegen noch ganz, «sie werden im Frühsommer wieder da sein», sagt Patt überzeugt.
Dreiklassengesellschaft
Bei den Bergbahnen spricht Stettler von einer «Dreiklassengesellschaft». In die erste Klasse fallen bekannte Tourismusdestinationen wie das Jungfraujoch, Zermatt oder das Schilthorn. Diese sind in internationalen Fernmärkten etabliert und haben ein starkes Standbein im Sommertourismus. In der Mittelklasse befinden sich über die Grenzen hinaus bekannte, gut aufgestellte Destinationen wie Davos oder Lenzerheide, die sich noch auf ein solides Wintergeschäft abstützen können. In die dritte Klasse fallen Standorte, die weder international sind noch ein (schnee-)sicheres Wintergeschäft haben.
«Gebiete um 1500 Meter wie Flumserberg, Pizol, Sattel-Hochstuckli oder Sörenberg haben massive Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen. Sie kommen nicht ohne öffentliche Gelder aus», sagt Stettler. Noch tiefer gelegene Gebiete stehen mit dem Rücken zur Wand. Dabei sind fast alle Bergbahnen daran, ihr Geschäft vom Winter in den Sommer zu verlagern. Das Problem: Der Betrieb von Bergbahnen ist mit hohen Fixkosten verbunden. Das macht es schwierig, im Sommer Geld zu verdienen, weil die Leute dann eher weniger ausgeben als während der Winterferien.
Die meisten Betreiber haben deshalb grosse Mühe, profitabel zu arbeiten. Hinzu kommen hohe Investitionen in Schneekanonen für den Winter, um weniger von Höhenlage und Wetter abhängig zu sein. «Wegen der kontinuierlichen Erwärmung brauchen Bergstationen sehr leistungsfähige, moderne Beschneiungsanlagen mit genügend gespeicherten Wassermengen», bemerkt Stettler. Viele Schweizer Bergregionen hinkten in dieser Hinsicht der Konkurrenz in Österreich oder Italien hinterher.
Upgrade mit Herzog und de Meuron
Aber auch in der ersten Bergbahn-Liga kann man sich nicht zurücklehnen. Im Wettbewerb um die ausländischen Reisegruppen müssen sich die Top-Standorte mit Attraktionen herausstellen. So stehen bei den Titlis-Bahnen, aber auch bei den Schilthorn- und Rigi-Bahnen grosse Investitionsprojekte an. Auf dem Titlis soll im Rahmen des Projekts «Titlis 3020» eine neue, vom Star-Architektenbüro Herzog und de Meuron gestaltete Bergstation mit grossem Restaurant entstehen, ebenso neue Shops und ein Verbindungsstollen zum 70 Meter hohen Richtstrahl- und Aussichtsturm. Kostenpunkt: um die 140 Millionen Franken, über fünf Jahre verteilt.
«Wir machen das nicht als Selbstzweck», sagt Patt. Es gehe darum, das Ausflugserlebnis besser zu inszenieren. «Das wird ein unglaublicher Magnet für die ganze Region mit einer weltweiten Strahlkraft», meint er. Doch bis sich diese grosse Investition auszahlt, belastet sie das Unternehmen finanziell und übt weiter Druck auf dessen Aktien aus. Mit den Titlis-Papieren verloren Anleger in den letzten fünf Jahren fast die Hälfte ihres Einsatzes. Auch die Valoren der Schilthorn- und Rigi-Bahnen haben entgegen dem positiven Trend bei tourismusabhängigen Nebenwerten im letzten Jahr Boden verloren.
Gleichzeitig haben sich die Aktien der Weissen Arena Flims 2022 um 29 Prozent verteuert, jene des Grand Resort Bad Ragaz gar um einen Drittel. Und auch wenn die langfristigen Aussichten für die grossen Bergbahnen vielversprechend sind, sind diese wenig gehandelten Aktien vor allem für jene gedacht, die sich mit der entsprechenden Region verbunden fühlen und diese unterstützen wollen. Finanzielle Rendite allein sollte nicht im Vordergrund stehen.