Sieben Tipps, wie man den Büroalltag stilvoll übersteht Überall wird geduzt, man kommt mit den Flip-Flops in die Sitzung, junge Leute feiern die Work-Life-Balance: In vielen Unternehmen regiert eine neue Lässigkeit. Doch aufgepasst!

Überall wird geduzt, man kommt mit den Flip-Flops in die Sitzung, junge Leute feiern die Work-Life-Balance: In vielen Unternehmen regiert eine neue Lässigkeit. Doch aufgepasst!

Illustrationen: Riikka Laakso für NZZ Folio

Flip. Flop. Flip. Flop. So klingt es, wenn der eine Kollege im Sommer durchs Büro läuft. Der andere hat gerade seine Sportsocken zum Trocknen ans Fenster gehängt, jetzt packen sie ihre Tupperware aus. Mittagessen zwischen zwei E-Mails mit Sauce zwischen der Tastatur. Das Büro ist ein zweites Zuhause geworden. Wo einst Anzüge Pflicht waren und Privates nur mit der engsten Kollegin geteilt wurde, sitzen wir heute im Hoodie in Meetings und erzählen dem Chef vom Wochenende. Moderne Unternehmen diktieren keine Umgangsregeln mehr, sie diktieren Lockerheit. Aber casual zu sein ist noch kein Verhaltenskodex. Im Gegenteil: Die neue Lässigkeit führt zu neuen Herausforderungen. Was geht und was nicht? Es braucht eine neue Büro-Etikette.

Handschlag, Umarmung oder nur Hallo?

Die erste Handlung am Morgen: Wie begrüssen wir uns bei der Arbeit? Die Hand schütteln? Man möchte ja nicht antiquiert wirken. Küsschen? Passt allerhöchstens bei Leuten, die auch privat befreundet sind. Katrin Künzle ist Knigge-Expertin und unterrichtet Menschen zum richtigen Umgang im Büro. Sie rät: «Lassen Sie den Ranghöheren den ersten Schritt machen. Wenn keine Hand angeboten wird, lieber nichts tun.»

Und wie verhält man sich, wenn sich das Team nach dem Feierabend noch auf ein Bier trifft? Manche Männer entscheiden sich für halb Handschlag, halb Umarmung, Bromance. Aber was machen Frauen und Männer, die sich nicht umarmen mögen? Wer keine Lust auf Körperkontakt hat, könnte den Gruss aus Asien übernehmen: Hände falten, Kopf leicht beugen, fertig. Sonst gilt es, die Leere mit einem entspannten Zunicken zu füllen.

Wer bietet wem wann das Du an?

Früher konnte das Du bei der Arbeit einen Fauxpas bedeuten, den niemand begehen wollte, heute ist es in vielen Unternehmen die Regel. Alles ist zum Du verkommen. Du, Chef. Du, Verwaltungsrat. Doch Vorsicht: Nur weil sich viele duzen, heisst das nicht, dass es alle tun. Da gibt es meist immer noch ein paar Kollegen, die Hierarchien und Distanz in der Sprache ausdrücken, und Chefs, die es wünschen, gesiezt zu werden. «Der oder die Ranghöhere bietet das Du an», sagt Knigge-Expertin Künzle. «Diese Regel gilt immer noch, auch wenn sie oft ignoriert wird.»

Bedeutet also: Besser erst mal siezen, bis einem etwas anderes angeboten wird. Sind zwei Kollegen auf der gleichen Hierarchiestufe, bietet der Ältere dem Jüngeren das Du an. Keine Rolle spielt das Alter hingegen, wenn der Ranghöhere der Jüngere ist: Die Hierarchie hebelt alle anderen Regeln aus. Eine Ausnahme sollte man nur machen, wenn die Firma eine Du-Regel auf allen Stufen hat. Das sei gerade in Unternehmen mit vielen jungen Mitarbeitern und Startups der Fall, sagt Künzle. Wer hier jemanden siezt, fällt auf wie ein Schlipsträger im Coworking-Space.

Kleider trocknen, schmatzen, schniefen?

Die Pandemie ist schon lange vorbei, und doch hat sie ihre Spuren hinterlassen. Für Videocalls mussten wir zu Hause nicht einmal eine Hose anziehen. Smalltalk an der Kaffeemaschine? Der Einzige, dem wir dort begegneten, war der Mitbewohner. Mittags konnten wir unser Essen selbst zubereiten und danach alles stehenlassen. Zwischendurch gingen wir joggen und setzten uns dann ungeduscht wieder an den Schreibtisch. Im Homeoffice waren wir Alleinherrscher.

Nun leiden wir darunter, wenn die Kollegen ihr Curry am Pult verschlingen, das wir mit ihnen teilen, und ihre nassen Kleider nach dem Mittagssport über die Heizung hängen, als wäre das Büro eine Waschküche. Und dann sind da natürlich noch die Gemütlichen, die Hippies. Sie ziehen die Schuhe aus und spazieren barfuss durchs Büro.

Und was tun, wenn der Kollege nebenan gähnt und schmatzt und schnieft, weil er vergisst, dass er nicht mehr alleine ist? Katrin Künzle sagt: «Wenn es stört, sollte man es ansprechen. So unangenehm das sein mag.» Zur Vorbereitung könne es helfen, sich in die Situation des anderen zu versetzen. Selbst würde man ja auch wissen wollen, wenn man die Mitmenschen belästigt. Beim Gespräch rät Künzle zu einer versöhnlichen Herangehensweise, etwa so: «Ich wollte dir mal sagen: Du hast da ein kleines Mödeli.»

Krawatte oder kurze Hosen?

In modernen Büros gibt es keine Regeln und schon gar keinen Dresscode – stimmt das wirklich? Jeder, der sich bereits über das schräge Outfit eines Kollegen gewundert hat, weiss, dass die Realität anders ist: Was man trägt, entscheidet über den ersten Eindruck – und der soll weder langweilig noch unangenehm sein. Katrin Künzle sagt, es sei klar, dass man im Büro keinen Dreiteiler mehr anziehe. Auch eine Krawatte sei ausserhalb von Privatbanken ein Statement. Der Graubereich von dem, was als angemessen gilt, ist riesig. Aber: «Eine gewisse Basis sollte vorhanden sein» – besonders wenn im Unternehmen Kunden ein und aus gehen.

Was aber, wenn ein Kollege in Flip-Flops und kurzen Hosen an einen Kundentermin kommt? Outfit und Auftreten von anderen zu kommentieren, kann schnell unangebracht wirken.

In solchen Fällen, findet Künzle, darf man auch den Chef um Hilfe bitten. «Die Ansage muss ja nicht allzu streng sein. Aber der Vorgesetzte sollte klarstellen, dass es im Büro gewisse Regeln gibt.» Ein Beispiel könnte sein, dass alle Mitarbeiter geschlossene Schuhe tragen sollten.

Wer als Chef keine strikten Regeln einführen möchte, kann es auch einfacher halten. Manch einem Kollegen würde schon eine einfache Ansage helfen: Barfuss im Büro? Bitte nicht!

Muss ich jeden Post vom Chef liken?

Was früher auf dem Gang oder in einer Sitzung besprochen wurde, findet heute meist online statt – und überschreitet schnell die Grenze zwischen Beruflichem und Privatem. Es geht bei Slack los, einem der gängigsten Chat-Tools in modernen Büros. Eine harmlose Anfrage wie «Schickst du mir deine Präsentation?» kann direkt in «Und, wie war dein Wochenende?» übergehen. Handynummern werden gedankenlos ausgetauscht. Doch Vorsicht: Kollegen, die unsere Nummer haben, sehen Status und Profilbild bei Whatsapp. Ob es dann noch in Ordnung ist, sich in Badehose und mit einem Cocktail am Strand von Thailand zu zeigen?

Komplizierter wird es, wenn einem der Chef eine Freundschaftsanfrage bei Facebook oder Instagram schickt. Die Dinge, die man dort teilt, sind oft nicht für die Augen eines Vorgesetzten bestimmt. Knigge-Expertin Katrin Künzle sagt darum: «Ein guter Chef macht so etwas nicht.» Tue er es doch, habe man das Recht, die Anfrage abzulehnen. Auch hier liegt der Schlüssel in der sorgfältigen Kommunikation: Wer erklärt, dass er Privates und Berufliches lieber trennen will, stösst hoffentlich auf Verständnis.

Bei Linkedin hingegen, dem professionellen unter den sozialen Netzwerken, ist es sinnvoll, mit dem Chef befreundet zu sein. Doch auch hier stellen sich Fragen: Muss man alles liken, was er postet? Seinen Beitrag sogar noch teilen und kommentieren? Wichtig ist, die Balance zu halten. Sonst fällt man schnell als Heuchler auf.

Es gilt auch, sich zu überlegen, wie man sich selbst auf der Karriereplattform zeigen will. Interessiert, ambitioniert, verbissen? Linkedin ist längst zum Ort der Selbstdarsteller verkommen. Nutzer sezieren ihre Arbeitswoche in viel zu langen Posts, Pressesprecher bejubeln jede noch so irrelevante Aktion ihrer Firma. Konjunktur haben gerade Beiträge, in denen Mitarbeiter «zehn Key-Learnings» aus ihrer «Focus-Week» vorstellen. Raketen-Emojis inklusive, bei ihnen geht es schliesslich nur aufwärts. Doch aufpassen: Wer zu viel postet, erweckt schnell den Eindruck, mehr Zeit auf Linkedin als mit der Arbeit zu verbringen. Künzle empfiehlt drei bis fünf Beiträge pro Woche. Wichtig auch: «Keine Interna über die Firma ausplaudern oder angeben, dass man ‹offen für eine neue Aufgabe› ist.»

Am besten also vor jedem Posting nicht nur darüber nachdenken, wie man vor seinen Followern dasteht, sondern auch, was Chef und Kollegen davon halten könnten.

Wie fährt man richtig Lift?

Auch wenn sich in der Arbeitswelt viel verändert hat – manche Situationen bleiben immer gleich unangenehm. Ein Klassiker ist die Liftfahrt mit Kollegen, Kader-Mitarbeitern oder – Worst Case – dem Chef. Sollen wir ein Gespräch anfangen? In die Luft schauen oder aufs Handy? Und wo stellen wir uns am besten hin?

Es gebe ein paar grundlegende Regeln für die Liftfahrt, sagt die Knigge-Trainerin. Die wichtigste gilt auch im Zug oder Bus: Erst aussteigen lassen, dann einsteigen. Und «Wenn schon sehr viele Leute drin sind, den nächsten nehmen. Ranghöhere Personen oder Kunden vorlassen.»

Im Lift selbst, sagt Künzle, sei Telefonieren ein No-Go. Sie empfiehlt, den Blick entspannt Richtung Tür zu richten. Steht man mit einem Vorgesetzten in der Kabine, sollte man bedenken: Es gibt auch für ihn angenehmere Situationen, denn «der Chef ist auch nur ein Mensch». Beide müssen da jetzt durch, und die kurze Liftfahrt kann man perfekt mit Smalltalk überbrücken.

Smalltalk, ausgerechnet. Man liebt ihn oder hasst ihn, und für die Mehrheit scheint Letzteres zu gelten. «Wichtiger als das Thema ist die Erkenntnis, dass wir Smalltalk brauchen», sagt Künzle. Er sorgt dafür, dass Menschen, die sich nicht sonderlich gut kennen, sich miteinander wohl fühlen. Der Inhalt des Gesprächs darf ruhig banal sein: das Wetter, das Essen, eine Aktualität aus dem Tag, der bevorstehende Betriebsapéro.

Muss ich an die Firmenfeier?

Der Apéro ist der letzte Punkt auf der Liste der betrieblichen Peinlichkeiten. Wir alle kennen diesen einen Kollegen, der immer bis zum Schluss bleibt und mindestens ein Bier zu viel trinkt. Umgekehrt gibt es die Leute, die den Apéro oder die Weihnachtsfeier wie einen Pflichttermin behandeln und schnellstmöglich wieder verschwinden. Bei Anlässen nach Feierabend, an denen auch noch getrunken wird, entsteht viel Raum für Verunsicherung: Muss ich da wirklich hin? Wenn ja, wie viel soll ich trinken? Und: Wie komme ich lustig und entspannt rüber, ohne negativ aufzufallen?

Der grösste Fauxpas bei Firmenfeiern sei es, nicht hinzugehen, findet Katrin Künzle. «Der Anlass wurde schliesslich extra organisiert. Und dann sollte man auch nicht mit einer Stimmung hingehen, als gehe es an eine Beerdigung.» Spass zu haben sei etwas, das man sich gezielt vornehmen könne.

Und noch etwas kann man im Vorfeld entscheiden: wie viel man am Abend trinkt und worüber man spricht. Ganz wichtig, findet Künzle: Nicht jammern, sondern schätzen, was geboten wird. Damit tut man nicht nur den anderen einen Gefallen, sondern vor allem: sich selbst.

Nelly Keusch, Janique Weder, dieser Artikel stammt aus dem NZZ Folio vom Januar 2025: «Arbeitsklima»

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