Soll eine Firma ihren verschuldeten Mitarbeitern Kredite gewähren? Nur im Ausnahmefall, rät der Schuldenexperte In anderen Ländern übernehmen Arbeitgeber eine immer wichtigere Rolle bei der Unterstützung von überschuldeten Mitarbeitern. Auch in der Schweiz helfen manche Firmen ihren Angestellten aus. Das kann sinnvoll sein, doch es kommt stark auf die Art der Hilfe an.
In anderen Ländern übernehmen Arbeitgeber eine immer wichtigere Rolle bei der Unterstützung von überschuldeten Mitarbeitern. Auch in der Schweiz helfen manche Firmen ihren Angestellten aus. Das kann sinnvoll sein, doch es kommt stark auf die Art der Hilfe an.
Steuerschulden, fällige Krankenkassenprämien und Konsumkredite: Viele Schweizer kämpfen mit Privatschulden. Das geriet während der Pandemie in Vergessenheit, weil staatliche Hilfsprogramme und Zahlungsaufschübe für Linderung sorgten. Die düsteren Prognosen während des ersten Lockdowns 2020, dass eine grosse Wirtschafts- und Schuldenkrise bevorstehe, bestätigten sich nicht (siehe Grafik).
Dennoch wurden in der Schweiz 2021 etwa 1,64 Millionen Pfändungen vollzogen, 60 Prozent mehr als 2000. Nun sind Corona-Hilfsprogramme ausgelaufen; und steigende Zinsen setzen Schuldner unter Druck: Die Konsumkredit-Banken haben ihre Zinskonditionen für Privatkredite verschärft, wie die Vergleichsplattform Moneyland kürzlich vermeldet. Vor allem Personen mit schlechter Bonität müssen für einen Privatkredit nun oft wieder das gesetzlich zulässige Maximum von 9,9 Prozent Jahreszins zahlen.
Max Klemenz von der Schuldenberatung Kanton Zürich sagt, dass derzeit zwar keine Krise herrsche. Aber die Zahl der Personen, die Hilfe suchen, habe zumindest wieder auf Vor-Corona-Niveau zugenommen.
Dein Arbeit- und Kreditgeber
Dramatischer ist die Situation in Grossbritannien. Eine rekordhohe Inflation, getrieben durch stark steigende Energiekosten, bringt selbst einen Teil des Mittelstands in Zahlungsnöte. Wie die «Financial Times» jüngst schilderte, verleitet dies immer mehr Unternehmen dazu, sich aktiver um die finanzielle Lage ihrer Mitarbeiter zu kümmern. Sie gewähren Lohnvorschüsse oder gar günstige oder zinslose Darlehen; eine Reihe von externen Dienstleistern wie Wagestream oder Salary Finance bieten Firmen hierfür mittlerweile pfannenfertige digitale Lösungen an.
Die Unternehmen bringen zum Teil soziale Gründe vor. Anstatt dass sich die Mitarbeiter bei Kredithaien zu Wucherkonditionen verschulden, sollten sie sich besser an ihren Arbeitgeber wenden. Man helfe auch, weil die Arbeitsleistung der Angestellten unter dem finanziellen Stress leide, argumentierte die «Director of Happiness» des Detailhändlers Timpson gegenüber dem britischen Finanzblatt.
Die Situation in der Schweiz unterscheide sich stark von Grossbritannien oder den USA, sagt Gery Bruederlin. Er ist Professor für Personalmanagement an der Fachhochschule Nordwestschweiz und war zuvor lange Zeit für die Grossbank UBS in HR-Führungsrollen tätig. «Dass sich die Unternehmen in einer solchen Form einmischen, sehe ich hierzulande nicht», sagt er. «Unser soziales Netz ist dichter gespannt. Zudem sind die Schweizer besser versichert.» Natürlich sei Überschuldung auch hierzulande ein relevantes Problem, hält Bruederlin fest. Aber eine Verschärfung der Lage mache er derzeit nicht aus.
Hinzu kommt die Zurückhaltung der Schweizerinnen und Schweizer, über ihre private finanzielle Situation zu sprechen. Bruederlin sieht zwar einen anhaltenden Trend hin zu mehr Lohntransparenz – etwa, dass Unternehmen in Stellenanzeigen die Bandbreite angeben, in welcher sich der Lohn für einen bestimmten Job bewegen wird. Aber über die eigene Situation spricht niemand gern. «Wer Schulden hat, probiert das Problem meistens ohne Arbeitgeber zu lösen, solange das geht.»
Ein Darlehen der Firmenstiftung
Doch auch manche Schweizer Unternehmen gehen das Thema Schulden sehr offen an. Eines davon ist die Familie Wiesner Gastronomie (FWG). Das Dübendorfer Unternehmen ist einer der grössten Gastronomiebetriebe in der Schweiz und betreibt etwa die Restaurantketten Negishi, The Butcher oder Miss Miu. In 34 Restaurants beschäftigt die FWG rund 1000 Mitarbeitende.
Wenn Restaurantgäste ein bestimmtes Spezialmenu bestellen, geht davon bis zu einem Franken in die 2020 gegründete FWG-Foundation. Die firmeneigene Solidaritätsstiftung finanziert zwar in erster Linie Aus- und Weiterbildungen und caritative Projekte. Doch auch Angestellte in Not können sich an diese Stiftung wenden. «Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter kein Geld hat, um seine kranke Mutter in Thailand zu besuchen, zahlen wir das Flugticket», sagt Manuel Wiesner, der das Familienunternehmen in zweiter Generation seit drei Jahren zusammen mit seinem Bruder Daniel führt.
Die FWG gewähre auch Lohnvorschüsse, sagt Wiesner, und über die Stiftung hin und wieder auch zinslose Darlehen an verschuldete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: 36-mal im vergangenen Jahr, im Schnitt betrug das Darlehen rund 3000 Franken. In seltenen Fällen habe man sogar einen Beitrag à fonds perdu gezahlt, um zu helfen, wieder schuldenfrei zu werden.
«Bei grösseren Beträgen oder wenn Mitarbeiter wiederholt zu uns kommen, helfen wir aber nur, wenn sie sich von der Schuldenberatung des Kantons Zürich begleiten lassen», sagt Wiesner. Der Angestellte zeige dadurch, dass er nachhaltig am Problem arbeite. Wenn die Schuldenberatung dann auf die Stiftungsräte der FWG-Foundation zukomme und sage, dass ein Darlehen einer Mitarbeiterin helfen könne, ihr Problem zu lösen, unterstütze man das gern.
Wer sich verschuldet
Dass eine Restaurantkette besonders mit dem Thema konfrontiert ist, überrascht nicht. Tendenziell geraten eher junge und schlecht ausgebildete Mitarbeiter, die einen tiefen Lohn beziehen, in eine Schuldenfalle. Aber auch Gutverdiener können auf zu grossem Fuss leben oder eine Spielsucht entwickeln.