Strompreisschub für Bäcker, Hoteliers und Industriebetriebe: Wie der Staat leidenden Firmen unter die Arme greifen könnte Der massive Anstieg der Energiepreise hat laute Rufe nach staatlicher Abfederung ausgelöst. Ein Aussprachepapier mit möglichen Massnahmen kommt demnächst in den Bundesrat. Eine Auslegeordnung der Optionen – vom Harmlosen bis zum Giftigen.

Der massive Anstieg der Energiepreise hat laute Rufe nach staatlicher Abfederung ausgelöst. Ein Aussprachepapier mit möglichen Massnahmen kommt demnächst in den Bundesrat. Eine Auslegeordnung der Optionen – vom Harmlosen bis zum Giftigen.

 

Der Bundesrat entscheidet demnächst über mögliche Massnahmen zur Abfederung des Strompreisschubs. Bild: unsplash

Ein Hotelbetrieb hat für Strom etwa 5000 Franken pro Jahr bezahlt. Heuer erhielt er eine Offerte zur Stromlieferung für das kommende Jahr – für über 80 000 Franken. Ein Metallbauunternehmer zahlte dieses Jahr knapp 60 000 Franken für seinen Strom und soll für das nächste Jahr über 900 000 Franken auf den Tisch legen. Solche Beispiele verbreiten Gewerbevertreter zur Illustration der Lage der Unternehmen, die sich im freien Strommarkt eindecken. Im Bundesparlament hagelte es während der Sessionen vom Juni und September Vorstösse und Anfragen zur «Abfederung» des Energiepreisschubs für Unternehmen und Privathaushalte. Der Bundesrat hatte vorderhand keinen Handlungsbedarf geortet. Er stellte aber für den Oktober einen Bericht einer Arbeitsgruppe des Bundes über mögliche Massnahmen in Aussicht.

Das Geschäft dürfte nächste Woche in die Regierung kommen. Im Fokus stehen vor allem die Unternehmen. Seit 2009 dürfen Stromkunden mit einem Jahresverbrauch ab 100 000 Kilowattstunden in den freien Markt wechseln; der Schwellenwert entspricht einem Verbrauch von etwa dreissig vierköpfigen Privathaushalten. Ein Wechsel ist laut Gesetz endgültig – es gibt also kein Hin und Her. Die Verbraucher im freien Markt erhielten meist deutlich günstigere Preise als die Konsumenten im «gebundenen» Bereich, doch mit dem Schub der Marktpreise seit 2021 hat sich das Bild umgekehrt.

34 000 Firmen im freien Markt?

Im gebundenen Bereich, in dem sich die Anbieter nach ihren Gestehungskosten ausrichten müssen, beträgt 2023 der mittlere Anstieg der Stromtarife (Median) für typische Privathaushalte «nur» etwa 64 Prozent, während die Marktpreise an den Strombörsen um den Faktor 5 bis 15 gestiegen sind. In den letzten Wochen sind die Börsenpreise (Spotmarkt) zwar deutlich vom Spitzenwert des Spätsommers heruntergekommen, doch sie liegen immer noch ein Vielfaches über dem Niveau von 2021 (vgl. Grafik). Das gilt erst recht für die Terminpreise für das erste Quartal 2023 – die heikelste Phase gegen Ende der Wintersaison.

Aufgrund einer Teilerhebung hatte die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) ermittelt, dass 2021 mindestens 23 000 Unternehmen im freien Markt waren. Die effektive Zahl dürfte aber höher liegen; die Elcom sprach jüngst auf Anfrage von «bis zu 34 000 Unternehmen». Die Auswahl ist für diese Verbraucher theoretisch gross: Laut Elcom haben schweizweit rund 110 Anbieter mindestens zehn Kunden im freien Markt – und wer als Verbraucher zum Beispiel in Genf oder Bern sitzt, kann sich im Prinzip auch bei einem Anbieter im Wallis oder Bündnerland eindecken.

Viele der Grossverbraucher im freien Markt haben Mehrjahresverträge abgeschlossen und sind auch für 2023 zu den früheren Preisen abgedeckt. Laut einem Marktbeobachter dürfte dies für das heikle erste Quartal bei den meisten Firmen zutreffen. Dennoch ist es gut möglich, dass etwa 5000 bis 10 000 Unternehmen in einem preislich sehr ungünstigen Moment mit der Eindeckung für den kommenden Winter konfrontiert sind – und dass dies für einige tausend Firmen schmerzhaft wird.

Deshalb kamen rasch Rufe nach staatlichen Hilfsmassnahmen in Anlehnung an die Corona-Notprogramme. Doch mindestens drei Unterschiede zur Corona-Krise stechen im vorliegenden Kontext ins Auge: Den Energiepreisschub kann man nicht irgendwelchen «Zwangsschliessungen» des Bundesrats anlasten; die Breite der Betroffenheit von Unternehmen dürfte wesentlich geringer sein als während der Pandemie; und die Firmen konnten ihren Grad der Betroffenheit durch eigenes Verhalten (Vertragsabschlüsse und Ausmass des Stromverbrauchs) selber erheblich beeinflussen.

Die Kosten des Wechsels

Dennoch sind Forderungen nach staatlichen Hilfsmassnahmen verbreitet. Doch selbst in der Politik scheint die ökonomisch dümmste aller Eingriffsvarianten wenig populär zu sein – die Verordnung eines künstlichen Strompreisdeckels. Ein solcher Deckel würde das wichtige Knappheitssignal des Marktes verzerren und damit die Sparanreize von Konsumenten sowie die Investitionsanreize von Anbietern dämpfen.

Ernsthaft diskutiert wird eine Forderung des Gewerbeverbands, die faktisch nahe an einen Strompreisdeckel herankommt: Die Unternehmen im freien Markt sollen in den gebundenen Bereich zurückkehren dürfen – und dabei einen Aufpreis gegenüber den anderen gebundenen Kunden von höchstens 10 Prozent zahlen. Doch dieser Fünfer-und-Weggli-Vorschlag sorgt weder bei anderen Wirtschaftsverbänden noch bei Ökonomen und der Bundesverwaltung für Begeisterung. Ein Kerneinwand: Die Verbraucher, die freiwillig oder gezwungenermassen im gebundenen Bereich geblieben sind, wären die Dummen. Die Anbieter müssten den zusätzlichen Strombedarf am freien Markt einkaufen, was zu Kostenerhöhungen für alle Kunden führen kann.

Immerhin gibt es eine mögliche Antwort auf diesen Einwand: Man macht den Wechsel zurück in den gebundenen Bereich sehr unattraktiv. Zum Beispiel, indem die betroffenen Grossverbraucher auch im geschützten Bereich so hohe Preise zahlen, dass die anderen gebundenen Kunden keine Zusatzkosten haben. Im Ergebnis mag dies aber für die Wechselfirmen annähernd auf das Gleiche hinauslaufen wie der Verbleib im freien Markt. In einer abgeschwächten Version würden die Wechselfirmen nach der Rückkehr im gebundenen Bereich zwar tiefere Preise bekommen als im freien Markt, aber die Preisdifferenz wäre als rückzahlbares Darlehen zu betrachten. Es ginge somit «nur» um Liquiditätshilfen.

Kantone könnten es richten

Ein ähnliches Modell wäre auch ohne direkte Einbindung der Stromanbieter denkbar. Die Stromproduzenten in der Schweiz sind typischerweise in öffentlicher Hand (Kantone und Gemeinden). Die Produzenten können aufgrund der stark gestiegenen Preise mit höheren Gewinnen rechnen. Die Eignerkantone könnten mit der Aussicht auf erwartete Zusatzdividenden schon heute Mittel für Überbrückungskredite an leidende Stromkonsumenten sprechen. Will man weiter gehen, wäre ein Kreditprogramm des Bundes à la Covid-Kredite der nächste Schritt. Noch weiter ginge ein Härtefallprogramm mit nicht rückzahlbaren Subventionen. Doch dies würde noch stärker als staatliche Kreditprogramme unangenehme Fragen über Fehlanreize, Ungleichbehandlungen und Wettbewerbsverzerrungen aufwerfen.

Zur Verfügung stehen auch in der Stromkrise die ordentlichen Hilfsinstrumente. Dazu gehört die Möglichkeit von Kurzarbeitsentschädigungen. Fährt ein Unternehmen seine Produktion herunter, weil die Überwälzung der gestiegenen Stromkosten auf die eigenen Verkaufspreise zu einem Nachfrageeinbruch führte, sind Kurzarbeitsentschädigungen grundsätzlich möglich. Zu den Bedingungen gemäss Gesetz zählt unter anderem, dass die Kurzarbeit voraussichtlich vorübergehend ist und der Betrieb dadurch die betroffenen Arbeitsplätze erhalten kann. Zudem muss die Kurzarbeit «unvermeidbar» sein. Das heisst hier vor allem: Betroffene Firmen müssen zeigen, dass sie die erhöhten Stromkosten nicht durch eigene Preiserhöhungen auffangen können.

Bei den Privathaushalten hat der Bundesrat gemäss ordentlichem Verfahren die AHV-Renten und Ergänzungsleistungen für 2023 erhöht. Das Parlament verlangt aber eine stärkere Erhöhung. Der Nationalrat fordert zudem eine Zusatzmilliarde zur Verbilligung der Krankenkassenprämien 2023. Der Ständerat lässt sich jedoch Zeit. Tendenz: Er dürfte die Version des Nationalrats abschwächen oder beerdigen.

Hansueli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: