Verein Women for the board: Sie warten nicht, bis sie entdeckt werden Während die Schweizer Grossunternehmen verstärkt Frauen fördern, besetzen KMU den Verwaltungsrat häufig aus ihrem persönlichen Netzwerk – und damit mit Männern. Der Verein Women for the board will das ändern. Es ist die jüngste, aber nicht die einzige Initiative in diesem Bereich.
Während die Schweizer Grossunternehmen verstärkt Frauen fördern, besetzen KMU den Verwaltungsrat häufig aus ihrem persönlichen Netzwerk – und damit mit Männern. Der Verein Women for the board will das ändern. Es ist die jüngste, aber nicht die einzige Initiative in diesem Bereich.
Bekannt ist es seit langem, beklagt zum Teil auch, doch die Realität ist beharrlich: Noch immer sind die Verwaltungsräte von Schweizer Unternehmen überwiegend Männer, vor allem in den KMU. Der Veränderung wollen nun Alexia Hungerbühler und Ramona Urwyler neuen Schub geben. Sie haben zusammen mit vier anderen Frauen den Verein Women for the board gegründet, ein Netzwerk von Frauen, die sich für neue oder weitere Verwaltungs- und Stiftungsratsmandate interessieren.
«Wir wehren uns gegen das Argument, dass es zu wenig qualifizierte Frauen gebe», sagt Hungerbühler. Oft würden die Unternehmen auch sagen, dass sie nicht wüssten, wo sie geeignete Frauen finden könnten. «Das wollen wir mit unserer Initiative ändern.»
Kennengelernt hatten sich die Frauen im Oktober 2021 bei einer Weiterbildung an der Ostschweizer Fachhochschule. Dort kam die Idee auf, eine gemeinsame Plattform zu gründen, um sich gegenseitig beim Finden von geeigneten Mandaten zu unterstützen. Lanciert haben Hungerbühler und ihre Mitstreiterinnen die Initiative im vergangenen Juni – und stiessen damit sofort auf grosses Interesse.
Sie wollten sich nicht ärgern, sondern etwas ändern
Auf ihrer Online-Plattform findet man mittlerweile die Profile von über 150 Kandidatinnen. «Und wir bekommen täglich mehr Anfragen», so Hungerbühler. Um abzuschätzen, ob eine Kandidatin zur Gruppe passt, führen die Gründerinnen mit allen Interessentinnen Bewerbungsgespräche. «Allerdings geht es dabei nur um die Haltung, wir prüfen keine Qualifikation», so Hungerbühler. Ob genügend Führungserfahrung vorhanden ist, entscheidet nicht das Netzwerk, sondern die Interessentin selbst. Das ist innovativ, führt aber auch dazu, dass jede mitmachen kann, die sich berufen fühlt, es aber nicht zwingend ist.
Geld verdienen die Gründerinnen mit der Plattform nicht; Kandidatinnen zahlen lediglich einen Mitgliederbeitrag von 50 Franken. Unternehmen, Firmen und Headhunter können auf der Website gratis «stöbern» und schauen. «So machen wir uns sichtbar», erklärt Hungerbühler. Potenzial ortet die Gruppe vor allem bei den KMU. Während grosse Firmen professionelle Headhunter engagieren, ist das Budget für die Suche nach geeigneten Kandidaten bei den KMU in der Regel beschränkt.
Attraktive Tätigkeit – viele Bewerbungen
Grundsätzlich ist es nicht einfach, an Verwaltungsratsmandate zu kommen. «Es ist eine interessante Tätigkeit, man kann strategisch arbeiten und Einfluss nehmen, und das erst noch in einem Teilzeitpensum», sagt Ramona Urwyler, eine der Gründerinnen. Die Kombination aus anspruchsvoller Aufgabe mit einem zeitlich begrenzten Einsatz macht die Mandate attraktiv. Rund 150 Bewerbungen würden Unternehmen im Schnitt auf eine ausgeschriebene Stelle erhalten, so Urwyler.
Erste Erfolge kann das Netzwerk inzwischen vorweisen. Vier Frauen hätten via das Netzwerk Mandate erhalten, viele weitere seien in Gesprächen. Der Ansatz von Women for the board ist offensiv. Sie machen sich nicht rar, sondern sichtbar, und sie sagen, dass sie wollen. «Wir sagen: Hier bin ich», führt Hungerbühler aus.
Die Initiative von Women for the board ist lediglich der jüngste, aber längst nicht der einzige Effort, um mehr Diversität in die Verwaltungsräte auch der kleineren und mittleren Schweizer Unternehmen zu bringen. Die Executive-Search-Boutique Get Diversity unterstützt seit 2007 Firmen dabei, die Vielfalt in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten auszubauen. «Mit Kreativität und Hartnäckigkeit», so heisst es auf der Website des Unternehmens, würde es gelingen, die geeigneten Personen zu finden. Mindestens die Hälfte aller Vorschläge seien Frauen. Der Ansatz ist diskreter; öffentliche Informationen über die Suchenden gibt es nicht. Vielen ist das lieber so.
Esther-Mirjam de Boer, CEO und Teilhaberin der Executive Search Boutique Get Diversity, betont, dass es darauf ankomme, was das Unternehmen erreichen wolle und worin die Lücke im Verwaltungsrat bestehe. «Wir suchen dann die Person, die die Lücke füllt.» Frau zu sein, sei allein kein Qualifikationsmerkmal.
Dass Headhunter wie sie mit der Suche nach einem Verwaltungsrat beauftragt werden, ist in der KMU-Szene eher die Ausnahme. Rund 90 Prozent der Positionen würden aus dem persönlichen Netzwerk besetzt, lediglich 10 Prozent der Mandate professionell vermittelt, schätzt de Boer.
Bewegung bei den Grossen
Nicht alle Firmen sehen einen wirklichen Mehrwert darin, mehr Frauen in den Verwaltungsrat zu holen. Bewegung hat es deshalb vor allem bei den börsenkotierten Schweizer Unternehmen gegeben. Es gibt zwar anders als in der EU keine starre Frauenquote. Jedoch gilt seit der 2020 vom Parlament beschlossenen Aktienrechtsrevision eine sogenannte «Frauenquote light». Es handelt sich um einen Richtwert von 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 20 Prozent Frauen in der Geschäftsleitung. Werden diese Anteile nicht eingehalten, müssen die Unternehmen Gründe angeben und Massnahmen zur Verbesserung treffen. Für Verwaltungsräte gilt dies ab 2026, für die Geschäftsleitung gibt es eine längere Übergangsfrist bis 2031.
Wegen dieser Vorschriften haben vor allem die grösseren Firmen in den letzten Jahren vorwärtsgemacht. Bei den 100 grössten Schweizer Firmen sind gemäss dem Schilling-Report 29 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder und 19 Prozent der Geschäftsleitungsmitglieder Frauen. «Das Wollen ist auch von äusserlichem Druck beeinflusst und nicht immer intrinsisch», weiss de Boer. Betrachtet man alle 231 börsenkotierten Firmen, sind die Anteile mit 19 beziehungsweise 11 Prozent deutlich tiefer. Wenn mittelständische Unternehmen, die diesem regulatorischen Druck nicht unterliegen, bewusst nach einer Frau suchten, seien häufig gute persönliche Erfahrungen mit durchmischten Teams die Motivation, so de Boer.
Frauen sind dabei längst nicht mehr die Nadeln im Heuhaufen. Es gäbe zwar noch den Mythos, dass es für bestimmte Profile keine geeigneten Frauen gäbe. «Aber wir haben immer eine geeignete Person gefunden», so de Boer.
Das mag auch daran liegen, dass es mehr willige Verwaltungsräte gibt als Firmen, die diese suchen. Die rund 8000 Schweizer Aktiengesellschaften mit mehr als 50 Mitarbeitenden haben insgesamt rund 26 000 Verwaltungsräte. Diese bleiben gemäss dem Diversity-Report 2022 im Schnitt rund zehn Jahre auf ihren Posten, so dass jährlich rund 2500 Positionen neu besetzt werden.
Viele davon würden aber nicht ausgeschrieben, sondern an Familienmitglieder oder geschäftlich verbundene Personen wie den Hausanwalt vergeben. Traditionell handelte es sich häufig um Ehrenmandate mit Statuswirkung. Von dieser Positionierung sei noch einiges hängengeblieben, so de Boer. Die Realität ist heute weniger ehrenvoll. Man müsse zupacken und widersprechen können, um einen Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen.
Attraktiv ist die Tätigkeit trotz tendenziell stagnierender Bezahlung für viele dennoch. Wer viel Berufserfahrung gesammelt hat, kann diese weitergeben und sich zusätzlich zur eigenen operativen Tätigkeit Einblick in eine zweite oder dritte Unternehmensrealität verschaffen. Zudem gibt ein Portfolio verschiedener Verwaltungsratsmandate ihren Inhabern einkommens- und zeitmässig eine gewisse Flexibilität und wird häufig als schöne Abschlussphase des Erwerbslebens empfunden.
Spezialisiert auf die Vermittlung von Verwaltungsratsmandaten ist auch die Plattform VRMandat.com, die sich gemäss Website als «Parship» zwischen potenziellen Verwaltungsmitgliedern und Unternehmen sieht. Auch SwissVR, das Swiss Board Forum und VR-Management sind Plattformen bzw. Organisationen, über die sich Firmen und Kandidaten treffen können.
Anders als beim Verein Women for the board hat VRMandat.com ein Geschäftsmodell. Potenzielle Verwaltungsmitglieder bezahlen eine Registrierungsgebühr und danach eine bescheidene Jahresgebühr. Firmen lösen eine Jahresmitgliedschaft. Im Erfolgsfall wird eine Vermittlungsgebühr fällig.
Obwohl die Gebühren günstig sind, verzeichnet die Plattform nur wenige Vermittlungen pro Monat. Denn eine unbekannte Person in den Verwaltungsrat aufzunehmen, wird in vielen KMU immer noch als heikel empfunden. Einige Firmeninhaber scheuen davor zurück, Fremden tiefe Einsicht in ihr Unternehmen zu gewähren. Hinzu komme die Gefahr eines drohenden Machtverlusts, erklärt VR-Mandat.com-Gründer Dominic Lüthi. Möglicherweise stelle sich die ausgewählte Person in einer heissen Abstimmung gegen den Präsidenten und kritisiere diesen. Das sei nicht das, was sich die meisten Verwaltungsratspräsidenten wünschten, meint Lüthi. Ein weiterer Aspekt sei, dass eine externe Person zu hohe Salärvorstellungen haben und damit das gesamte Entschädigungsgefüge nach oben treiben könnte.
Wenn Unternehmer aber davor zurückschreckten, ausserhalb von ihrem eigenen Netzwerk zu suchen, würden sie sich eine wertvolle Aussensicht verbauen. Dadurch würden auch automatisch weniger Frauen angefragt, so Lüthi. Den wahren Flaschenhals für eine durchmischte Besetzung der Verwaltungsräte sieht er deshalb bei der Inhaberschaft.
«Die Frauen sind ready. Und hochqualifiziert», kommentiert Guido Schilling, Schweizer Frauenförderer auf Führungsebene der ersten Stunde. Bei den Neubesetzungen von Grossunternehmen würden mittlerweile fast gleich viele Mandate an Frauen vergeben, da sei man bald bei einem Anteil von 35 Prozent.
Es habe zwar lange gedauert, bis die Schweizer Unternehmen in Bewegung gekommen seien, so Schilling. Inzwischen aber hätten viele Firmen intern Frauen gefördert und aufgebaut. Das ist entscheidend, denn zwei Drittel der Führungspositionen werden durch interne Kandidaten besetzt. Die unteren Führungschargen dienen dabei als Pipeline für die nächste Stufe. Dass die Unternehmen hier einige Anstrengungen machen, ist offensichtlich. Schliesslich arbeitet ein Grossteil der Frauen Teilzeit (wenn auch inzwischen mit immer höheren Pensen). Sie sind damit a priori bei Beförderungen nicht unbedingt in der Schlüsselposition.
Bemerkenswerterweise ist die Schweiz nach Einschätzung von Schilling in diesem Bereich deutlich aktiver unterwegs als Deutschland. Dort gibt es zwar eine Frauenquote. Die Unternehmen seien in der Praxis aber weniger um den weiblichen Nachwuchs besorgt gewesen. Mit Blick zumindest auf die grösseren Schweizer Firmen meint Schilling darum: «Das Frauenthema hat sich erledigt.»
Esther-Mirjam de Boer sieht das anders – und erkennt damit keinen Grund für Entwarnung. Sie verweist darauf, dass der Frauenanteil in den Verwaltungsräten jenseits der börsenkotierten Firmen bei den KMU lediglich bei 15 Prozent liegt und 65 Prozent aller Aktiengesellschaften mit 50 und mehr Mitarbeitenden keine einzige Frau im Verwaltungsrat haben.
Einen Grund zur Entwarnung gebe es daher nicht. Überraschend frauenfreundlich ist die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Die Betriebe haben gemäss der Forschungsstelle für internationales Management der Universität St. Gallen einen Frauenanteil von 16 Prozent in den mittleren und oberen/obersten Kaderpositionen. Dies erreicht die MEM-Industrie trotz einer engen Pipeline von nur 19 Prozent Frauen im untersten und unteren Kader. Damit scheint die MEM-Industrie die weibliche Talent-Pipeline sehr gut auszuschöpfen.